Was für eine Woche: Da gab es zwei Ministerwechsel und neue Staatssekretäre, die Rückkehr des 35-jährigen Altkanzlers auf die Medienbühne und den Parteitag der großen Regierungspartei inklusive Grundsatzrede des Nachnachfolgers. Doch geht es um mehr als Erinnerungen an Sebastian Kurz und die versuchte Profilschärfung Karl Nehammers, nämlich um die Zukunft der ÖVP. Eine Analyse von Politologe Peter Filzmaier.
1.) Mit Elisabeth Köstinger und Margarete Schramböck sind die Ministerinnen für Landwirtschaft und Wirtschaft zurückgetreten. Sie hatten eine Gemeinsamkeit: Obwohl Köstinger zum innersten Kreis der Macht gehörte und Schramböck als politisches Leichtgewicht galt, waren sie bedingungslos treue Gefolgsleute - von Sebastian Kurz, dem sie ihre Ämter zu verdanken hatten.
2.) Karl Nehammer als neuer Kanzler muss froh sein, dass er sie loswurde. Weil in den Daten des APA/OGM-Vertrauensindex lagen beide Frauen sehr schlecht. Köstinger hatte gar den allerletzten Platz aller Regierungsmitglieder inne. Bereits im März gaben nur noch 27 Prozent der Wähler an, ihr zu vertrauen. 64 Prozent - also weit mehr als doppelt so viel - bekundeten, sie hätten kein Vertrauen in Köstinger.
Warum hat sich Nehammer nicht früher von Kurz’schen Altlasten getrennt?
3.) Schramböck ist in trauriger Erinnerung, dass sie am Beginn der Corona-Pandemie das Kaufhaus Österreich zum Einkaufen im Internet propagierte. Angekündigt wurde ein Projekt, das den Onlineriesen Amazon in den Schatten stellen sollte. Herausgekommen ist um viel Geld eine lächerliche Internetseite, die Schüler jeder HTL besser programmiert hätten. Warum also hat Nehammer sich nicht früher von den Kurz’schen Altlasten getrennt?
4.) Würde Nehammer sich nach dem obigen Index für viel oder wenig Vertrauen in Regierungspolitiker richten, so müsste er heute oder spätestens morgen den Großteil seiner Ministerriege hinauswerfen. Klar mehrheitlich misstraut wird als Erbe von Kurz genauso Frauenministerin Susanne Raab, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, Europaministerin Karoline Edtstadler und Außenminister Alexander Schallenberg.
5.) Dummerweise sind Bildungsminister Martin Polaschek und Innenminister Gerhard Karner als Nehammers Erfindungen keinesfalls beliebter. Der neue Kanzler kann demzufolge schlecht seinen Teil der Regierung geradezu entvölkern, wenn er sich auf einen Schlag von allen unpopulären Politikern trennt. Zudem geht die ÖVP rund um ihren Parteitag die Sache natürlich so an, dass die Gesamtmeinung aller Österreicher uninteressant ist - da stellen schließlich Anhänger anderer Parteien die Mehrheit -, sondern parteiinterne Logiken zählen.
Nehammer verkauft uns für naiv
6.) Apropos dumm: Hier verkauft uns Nehammer ein wenig für mindestens naiv. Er sagt, dass bei der Ministernachfolge Länder- und Teilorganisationen der ÖVP keine Rolle spielten. Ist es Zufall, dass auf die Tiroler Wirtschaftsbündlerin Schramböck als Wirtschaftsministerin die Wirtschaftsbündlerin Susanne Kraus-Winkler als Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium nachfolgte? Ist es Zufall, dass der tirolerische Büroleiter des Tiroler Landeshauptmanns Platter zweiter Staatsekretär wurde? Ist es Zufall, dass nach der Bauernbündlerin Köstinger der Bauernbündler Norbert Totschnig, übrigens aus Tirol stammend, Landwirtschaftsminister wurde?
7.) Man sollte Platter fragen, ob das der Bedeutung seiner Landespartei entspricht, oder er so unwichtig sei, dass Tirol lauter glückliche Zufälle benötigt? Demgegenüber steht auf Nehammers Habenseite allerdings Martin Kocher als nunmehriger Superminister für Wirtschaft und Arbeit. Kocher ist parteilos, hat die besten Vertrauenswerte und könnte zum Symbol werden, dass Nehammer eine eigenständige Personalpolitik und Absetzbewegung von der Kurz’schen Vergangenheit versucht.
8.) Freilich gab es auf dem Parteitag eine Person, auf die sich alle Augen richteten: besagter Ex-Kanzler Sebastian Kurz, zugleich Nehammers Vorgänger als türkiser Bundesparteichef. Seine Einbindung in den Parteitag war für die ÖVP die Quadratur des Kreises. Entweder alle Medien berichten, dass man sich von ihm distanziert, oder dass er zu sehr im Mittelpunkt steht. Wie immer man’s macht, wäre das kritisiert worden.
9.) Hätte Kurz am Samstag zum unpassendsten Zeitpunkt der Rede Nehammers als zu menschliches Bedürfnis aufs Klo gemusst oder sich kräftig die Nase geputzt, hätte das Schlagzeilen gemacht. Da war das Bühneninterview mit Kurz ein guter Kompromiss, der zudem parteiintern weder die Gruppe der nostalgisch fanatischen Kurzfans noch jene der ernüchterten Zweifler an ihm verstört hat.
Kurz hat schlechteres Image als Nehammer
10.) Inzwischen hat Kurz ein klar schlechteres Image als Nehammer, ohne dass dieser glänzt. Wenn Kurz daher zuletzt hier in der „Krone“ ein großes Interview gab, dient das genau einem: ihm selber. Er versucht, sein Image wieder aufzupolieren. Mit seiner Version der Geschichte als von der Staatsanwaltschaft Beschuldigter und durch die Selbstdarstellung als erfolgreich in der Privatwirtschaft und liebender Familienvater. Nehammer hilft das null. Der Kanzler muss hoffen, dass Kurz seine Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache möglichst einstellt.
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