Dissonant, komplex, hart, nicht eingängig - die Schweden von Meshuggah vereinen alles, was im Mainstream-Markt für gewöhnlich nicht zum Erfolg führt. Dennoch ist ihr Konzert in der Wiener Arena morgen Abend seit Wochen restlos ausverkauft. Wir blicken mit Schlagzeuger Tomas Haake hinter die Kulissen des Quintetts, das mit dem Album „Immutable“ unlängst auch die heimischen Charts eroberte.
Nomen est Omen. Mit ihrem einzigartigen Soundgebräu aus harschem Death Metal, Thrash-Einflüssen, solistischen Jazz-Einsprengseln und progressiven Schlenkern gelten Meshuggah für die Easy-Listening-Hörerfraktion seit jeher als meschugge. Das ist freilich als positives Kompliment zu sehen, denn dem schwedischen Quintett aus dem beschaulichen Umeå gelingt damit etwas, wofür das Gros der Mitstreiter aus dem weitläufigen Metal-Kosmos sofort auf die eine oder andere Gliedmaße verzichten würde: absolute Eigenständigkeit. Nicht erst seit Machine-Head-Frontmann Robb Flynn sich als treuer Fan geoutet hat weiß man, dass radikale Komplexität nicht unbedingt ein Nischendasein fristen muss. Ansonsten wäre das Konzert morgen Abend in der Wiener Arena nicht schon seit mehr als einen Monat restlos ausverkauft. Nach Schlagzeuger Tomas Haake hat ein schwedischer Geologe unlängst gar einen Fossilfund benannt - die Kraft Meshuggas reicht also bis tief in die Wissenschaft hinein.
Breiter Band-Orbit
Der komplexe Songaufbau, der gleichermaßen aus bewusster Zerstörung und technisch bahnbrechenden Fertigkeiten zusammengesetzt ist, kann durchaus als wissenschaftlich betrachtet werden. Wo die Gitarristen Mårten Hagström und Fredrik Thordendal sich am Griffbrett aufwärmen, würden sich andere die Finger verknoten. Die Grenzen des scheinbar Machbaren zu sprengen, sich selbst immer neu zu erfinden und dabei noch die DNA der Band im Vordergrund zu halten, das sind die wichtigsten Prämissen. Das Anfang April erschienene Werk „Immutable“ war das erste Studioalbum seit sechs Jahren und fügte dem wild mäandernden Instrumentarium der Band noch eine mechanisch-emotionale Note hinzu. Platz ist im Meshuggah-Orbit für alles, was ihnen Spaß macht und schwer klingt. Etwa ein fast zehnminütiges Instrumental („They Move Below“), stampfende Aggressionskaskaden („Light The Shortening Fuse“) oder trommelfellzersetzende Tremolo-Spielereien („Black Cathedral“). Und ja - mit einem solchen Sound landet man auch in Österreich auf Platz zwölf der Albumcharts.
„Wir haben schon 1991, nach der Veröffentlichung des Debüts ,Contradictions Collapse‘, klar ausgesprochen, dass wir unseren Weg unbeirrt weitergehen“, erinnert sich der ruhige Schlagzeuger Haake im Gespräch mit der „Krone“, „am Anfang hatten wir noch einige Metallica-Elemente im Songwriting, aber damit waren wir schnell durch. Wir wollen nicht, dass jemand ein Meshuggah-Album hört und glaubt, er hätte diese oder jene Passage schon einmal woanders vernommen. Wir bewegen uns in einem weit gefassten Rahmen und innerhalb dieses Rahmens ist alles möglich.“ Wo andere Bands ihre Experimentierfreude mit Features, den Schwung zur Elektronik oder abgedrehten Stilverdrehungen Ausdruck verleihen, gelingt es Meshuggah, sich mit dem Standardinstrumentarium Gitarren, Bass und Schlagzeug ständig neu zu erfinden. Songs auf beliebten Erfolgsalben wie „Destroy Erase Improve“ oder „obZen“ scheinen fast mathematisch strukturiert, obwohl keine komplexe Algebra dahintersteckt.
Es geht um Menschlichkeit
„Uns geht es weniger um den technischen Aspekt und mehr um die Performance“, überrascht Haake mit einer klaren Einschätzung, „wir alle sind keine perfekten Instrumentalisten, aber eine gute Gemeinschaft. Es gibt tonnenweise großartige Gitarristen, die unsere Songs spielen können, aber sicher so gut wie keinen, der so gut in diese Band passt, dass er im Kollektiv mithalten kann. Wenn man mit 15 Typen einen Monat lang im Tourbus sitzt, muss man genau wissen, worauf man sich einlässt. Wir brauchen keine Wunderkinder in dieser Band.“ Der letzte Besetzungswechsel liegt mittlerweile 18 Jahre zurück und weil Bandchef Thordendal nicht sonderlich gerne auf Tour geht, wird er live für gewöhnlich vom mit der Band befreundeten Per Nilsson besetzt. Ansonsten gibt es im freundschaftlichen und über Jahre gestählten Dickicht der Skandinavier kein Durchkommen von außen.
Meshuggah gelten als Vorreiter für die Djent-Bewegung. Ein Metal-Substil, der sich vor allem durch technische Fertigkeiten auszeichnet und über die Jahre zu enormer Popularität erwuchs. „Das ist schon toll. Stolz wäre vielleicht das falsche Wort, aber natürlich fühlen wir uns geehrt, wenn andere Musiker uns analysieren, daraus ihre Schlüsse ziehen und selbst kreativ werden. Genau so haben auch wir angefangen, als wir Metallica genau auf die Finger geschaut haben.“ Für Haake sind weder Technik, noch Präzision, Brutalität oder Einzigartigkeit entscheidend. „Es geht um den richtigen Vibe. Wir sind bekannt für unsere technischen Songs, sind aber fast zufällig in diese Richtung gerutscht. Es hat sich einfach ergeben.“ Haake ist privat als Hörer ganz woanders unterwegs. „Ich interessiere mich sehr für elektronische Mischung oder Southern Rock von Lynyrd Skynyrd bis zu den Allman Brothers. Unser Bassist Dirk Lövgren ist studierter Jazzmusiker. Früher habe ich auch viel Chick Corea und Fusion-Musik gehört. Die Summe unserer Einflüsse macht uns aus.“
Mehr Fehler als gedacht
2018 wurden Meshuggah gar für einen Grammy nominiert. Haake will diesen Erfolg aber nicht überbewerten. „Natürlich ist das cool, aber wir sind lange genug zusammen unterwegs, um zu wissen, wer wir sind und welchen Wert wir haben. Wenn das Licht und der Sound bei Konzerten passen und wir in guter Form sind, dann sind wir ziemlich gut. Da ist es zwar schön, aber nicht unbedingt notwendig, wenn man uns noch zusätzlich auf die Schulter klopft oder uns eine extra Medaille umhängt.“ Da bleibt nach 35 Jahren Bandkarriere abschließend noch die Frage aller Fragen offen - suchen Meshuggah gar nach dem Unmöglichen? Der Perfektion? „Der Versuch ist immer da, aber es ist kein Ziel“, lacht Haake, „bei Livekonzerten hauen wir wirklich oft daneben, aber wir haben das Glück, dass die Leute das meist nicht mitkriegen. Wir spüren aber jede Kleinigkeit und sind extrem weit davon entfernt, perfekt zu sein.“ Am 20. Mai können sich glückliche Kartenbesitzer in der Wiener Arena selbst davon überzeugen - im Vorprogramm spielen die nicht minder genialen Schweizer Zeal & Ardor. Es könnte laut werden.
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