Europameister, Chartstürmer, Kultfigur: Kein anderer Boxer hat die Österreicher und Österreicherinnen jemals so begeistert wie Hans Orsolics. Seine Geschichte vom frühen Aufstieg und Erfolg, gefolgt vom ebenso rapiden Fall, fasziniert bis heute. Am heutigen Samstag feiert der gebürtige Burgenländer aus Neuberg im privaten Kreis seinen 75. Geburtstag - und wundert sich, wie er so alt werden konnte.
Beim Anblick des 1,70 Meter großen, fragilen Mannes würde heute, wenn man es nicht wüsste, niemand ahnen, dass er einmal zwischen den Seilen Furcht und Schrecken verbreitet hat. Sein bewegtes Leben hat Hans Orsolics gezeichnet. Auch mit den Diagnosen Parkinson und Alzheimer-Demenz muss er seit einiger Zeit leben. Das Sprechen fällt dem echten Kämpfer schwer, die Mobilität lässt nach. Als Ex-ORF-Sportjournalist Sigi Bergmann im März starb, verlor er einen Lebensmenschen. „Der Tod vom Sigi hat ihn wirklich getroffen“, sagte eine Bekannte. Kontakt zum Österreichischen Boxverband (ÖBV) gibt es keinen.
Vom Europameister zum Hollywood-Drama
Dabei haben nur wenige die österreichische Sportgeschichte mit der gleichen Schlagkraft wie Orsolics geprägt. Von 53 Kämpfen hat er 42 gewonnen, davon 28 durch K.o. Zweimal war der Rechtsausleger Europameister, das erste Mal 1967 als bis dahin jüngster Boxer. Eine Zeit lang hielt Orsolics Platz eins der Weltergewicht-Weltrangliste, und die Massen liebten den in kargen Verhältnissen in Wien aufgewachsenen Rauchfangkehrer-Gesellen. Mehrmals füllte „Hansi“ die Stadthalle bis auf den letzten Platz. Auch Künstler wie Helmut Qualtinger und André Heller zog er wie magisch an.
Die Wende kam im September 1970 mit einer niederschmetternden K.-o.-Niederlage gegen den US-Amerikaner Eddie Perkins. Ein unnötiger Kampf, in den ihn sein Management gehetzt hatte, um für ein mögliches WM-Duell Werbung zu machen. Nach einigen weiteren Niederlagen war schließlich 1974 das Ende der Boxkarriere da. Danach ließ ihn das Schicksal in eine Abwärtsspirale taumeln: ein missglückter Ausflug in die Gastronomie, Schulden, die Scheidung von seiner ersten Frau, ein überbordendes Alkoholproblem, das zu Schlägereien, Messerstechereien und ins Gefängnis führte. Episoden wie aus einem Hollywood-Drama - doch dazu später mehr.
Orsolics-Hit löste Falcos „Jeanny“ als Nummer eins ab
Zunächst rückte Reporter-Legende Bergmann Orsolics 1986 mit einer Dokumentation im ORF wieder aus der Vergessenheit. Er leistete damit die Vorarbeit für den Ruhm in einer völlig fremden Domäne: Im Schlager „Mei potschertes Leben“, ihm auf den Leib geschrieben von Charly Kriechbaum, singt Orsolics mehr schlecht als recht, aber ungemein authentisch („I hob valuan, wie nur ana valieren ko, der a Herz statt an Hirn hat“). Die Single stieß sogar Falcos „Jeanny“ von der Spitze der österreichischen Hitparade. Ein Album und Live-Auftritte folgten und halfen dem Ex-Champion, einen großen Teil seiner Schulden zu begleichen.
Auf Vermittlung vom Bergmann bekam Orsolics Ende der 1980er-Jahre einen Posten in der ORF-Hausdruckerei, in der er bis zu einem weiteren Schicksalsschlag arbeitete: 2009 wurde bei dem jahrelangen Raucher Lungenkrebs diagnostiziert und ein Tumor am rechten Lungenflügel entfernt. Seine zweite Ehefrau Roswitha war die andere wichtige Stütze zu dieser Zeit. „Meiner Frau kann ich alles verdanken“, sagte er. „Durch sie habe ich aufgehört mit dem Saufen.“
Orsolics-Biografie bald in Amerika?
Normal müsste er schon längst tot sein, diktierte Orsolics bereits 2008 dem Interviewer der Tageszeitung „Der Standard“. Nun wundert sich der Überlebenskünstler in seinem bescheidenen Wiener Domizil, dass er seinen 75er erleben darf. Ein rauschendes Fest wie früher lässt die Gesundheit nicht mehr zu. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass die Geschichte vom sympathischen Verlierer noch international größere Kreise zieht.
Denn der Schauspieler und Wrestling-Kommentator Calvin Knie hat sich die Filmoption an der von Bergmann verfassten Orsolics-Biografie im Seifert Verlag gesichert und möchte sie in den USA auf die Leinwand bringen. Das Drehbuch ist bereits fertig. „Das Ganze wurde natürlich durch Covid etwas ausgebremst“, erklärt Verlagsleiterin Maria Seifert. Und auch das Ableben des in das Projekt eingebundenen Bergmann war nicht gerade förderlich.
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