Ihr Bub war erst ein paar Monate alt, als 1982 eine junge Niederösterreicherin spurlos verschwand. Ihr Partner behauptete danach, die Frau sei in Kanada untergetaucht. Eine Lüge, wie die Kripo jetzt weiß. „Mein Vater hat meine Mutter getötet“, sagt der Sohn der beiden.
Vor wenigen Tagen, in einer gemütlichen Wohnung in Niederösterreich. Sandra P. (52) hat ihren Bruder Andreas G. (54) und einen weitschichtigen Verwandten, Gerhard O. (41) (Vorname geändert), zu sich eingeladen. Und nun sitzen sie alle an dem Esstisch der Frau und reden wieder einmal über ihr großes Thema: über den fürchterlichen Verdacht, den sie gegen einen ihrer Familienangehörigen hegen.
Gegen Anton D. (66) (Name geändert), der kürzlich wegen sexuellen Missbrauchs an drei seiner Nichten zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, aber vorerst in Freiheit geblieben ist - weil er wegen seines angeschlagenen Gesundheitszustands als haftuntauglich gilt. Laut Sandra P., Andreas G. und Gerhard O. soll der Mann allerdings nicht „bloß“ diese abscheulichen Taten begangen haben, sondern auch einen Mord. An Maria O.
„Meine Mama hätte mich nicht zurückgelassen“
Seit 1982 wird die Niederösterreicherin vermisst. „Und seit ich denken kann, will ich wissen, was mit ihr geschehen ist“, sagt ihr Sohn Gerhard, dem jede Erinnerung an seine Mutter fehlt. Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens war sie 21, er selbst erst ein paar Monate alt. „Nein, meine Mama hat mich damals nicht im Stich gelassen, sie wurde umgebracht. Von meinem Vater.“
Sandra P. und Andreas G. nicken zustimmend: „Anton hat Maria getötet. Dessen sind auch wir uns sicher.“ Aufgrund der vielen Indizien, die sie mittlerweile mithilfe der Kripo gegen D. zusammengetragen haben. Die da sind? „Gehen wir zurück, in die Vergangenheit“, schlägt Gerhard O. vor. Denn nur mit Schilderungen dazu könne das Drama seiner Mutter - und damit sein eigenes - erklärt werden.
Ich sah ihn mitunter bei Besuchen, er behandelte mich empathielos.
Gerhard O. über seinen Vater
Den Recherchen des 41-Jährigen zufolge hätten seine Eltern - er Maurer, sie Hilfskraft in einem Spital - einander 1979 kennengelernt. „Ihre Beziehung war von Beginn an schlecht“, so der Sohn. Zahlreiche Menschen würden das bestätigen. Wie Sandra P. und Andreas G. Anton D. - ihr Großcousin - soll Maria O. „psychisch unterdrückt und ständig verprügelt“ haben. Trotzdem wurde die Frau von ihm schwanger.
Die Tragödie einer jungen Mutter
Warum? Vielleicht sind die Ursachen dafür in ihrer Vita zu finden: Sie, die Nachzüglerin mehrerer Geschwister, war einsam in einem Dorf aufgewachsen; bei ihrer betagten Mutter. Sie verfügte über wenig Bildung und Selbstbewusstsein, hatte keine Freundinnen - als sie sich an Anton D. band. Dem sie zunächst seine Gewaltaktionen verzieh. Von dem sie dachte, er würde sich nach der Geburt ihres Kindes ändern, sanfter werden. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte.
Im Gegenteil: Die häusliche Situation des Paars verschlimmerte sich dann sogar; so sehr, dass das Jugendamt den beiden ihren Buben abnahm. Gerhard O.: „Ich bin daraufhin - das weiß ich aus alten Akten - bei einer Pflegefamilie untergebracht worden.“ Die Mutter kämpfte in der Folge darum, ihr Baby zurückzubekommen. Sie trennte sich von Anton D. Sie war dabei, für sich und den Kleinen ein geregeltes Dasein zu organisieren - und sie hatte sich ein hübsches Kleid beschafft, für eine Obsorgeverhandlung im März 1982. Aber sie erschien nicht bei dem Gerichtstermin.
„Lieblose Verhältnisse“
Anton D. behauptete, seine „Ex“ sei nach Kanada ausgewandert und dort bei einem ihrer Brüder untergetaucht. Angaben, mit denen sich sein Umfeld und die Behörden zufriedengaben. Und so konnte es geschehen, dass Gerhard O. bald von einem Bruder seines Vaters und dessen Frau adoptiert wurde, „in lieblose Verhältnisse“. Im Volksschulalter erfuhr er, dass die beiden nicht seine leiblichen Eltern waren. Und dass der bisher als „Onkel“ gegoltene Anton D. sein Vater sei.
„Ich sah ihn mitunter bei Besuchen, er behandelte mich empathielos. Außer, nachdem ich mit 16 auf meiner Lehrstelle einen schweren Unfall erlitten und deshalb 450.000 Schilling von einer Versicherung ausbezahlt bekommen hatte.“
Die Träume eines verzweifelten Sohns
Sein „echter Papa“ sei dann plötzlich „sehr nett“ zu ihm gewesen, „er nahm mich bei sich auf - bis ich ihm das Geld geschenkt hatte. Stunden später schon schmiss er mich aus seinem Haus.“ Seitdem habe Gerhard O. mit Anton D. abgeschlossen: „Und ich glaubte seine Story - meine Mama habe mich nicht gemocht - nicht mehr. Weswegen ich mich auf die Suche nach ihr begab.“ Über die Caritas, über diverse Vereine, per Facebook. Ohne Erfolg.
Ihre Beziehung war von Beginn an schlecht.
Gerhard O. über die Beziehung seiner Eltern
„Mir war klar, sie könnte verheiratet sein, nicht mehr O. heißen. Möglicherweise wären daher meine Versuche, sie aufzuspüren, im Sand verlaufen, dachte ich - und auch, dass sie mich wahrscheinlich finden möchte. Darum nahm ich vor zehn Jahren wieder ihren Mädchennamen an. Um es ihr einfach zu machen, mich auf sozialen Medien zu entdecken.“
Es kam nicht zu der ersehnten Kontaktaufnahme, „was mich traurig machte. War ich meiner Mutter tatsächlich total egal?, fragte ich mich. Und ich konzentrierte mich zunehmend auf meine reale Gegenwart - und auf meine Zukunft.“ Der Mann schaffte es, sich ein geregeltes Leben aufzubauen, durch harte Arbeit, an der Seite einer gefühlvollen Partnerin: „Gedanken über meine Mama traten in den Hintergrund.“ Bis 2019 Gerüchte über ihr angeblich „wahres Schicksal“ zu kursieren begannen.
Eine Ex-Partnerin von Anton D. hatte da nämlich erzählt, dass der Mann Maria O. 1982 getötet habe.
Mysteriöse Grabungen im Wald
Woraufhin laufend mehr Bekannte und Verwandte ebenfalls über alarmierende Vorkommnisse berichteten. Darüber, dass Gerhard O.s Vater Frauen, wenn sie sich ihm nicht gefügig gezeigt hätten, mit den Worten „Wenn du nicht parierst, wird es dir wie Maria ergehen“ bedroht habe. Darüber, dass er Anfang 1982 in einem Wald Löcher ausgegraben habe. Darüber, dass er dabei schlecht vorangekommen sei und in der Folge nachts auf dem Grundstück einer ihm vertrauten Person eine Baugrube für eine Gartenmauer zubetoniert habe.
Andreas G., sein Großcousin, ging schließlich zur Polizei und berichtete von diesen Auffälligkeiten. Woraufhin umfangreiche Ermittlungen gestartet wurden. Fazit: Bei Vernehmungen der Zeugen entstand bald der dringende Verdacht, Anton D. habe drei seiner Nichten vergewaltigt. Wofür es letztlich handfeste Beweise gab. Zum mutmaßlich gewaltsamen Tod von Maria O. blieb es bei Indizien, die im Zuge der Erhebungen - auch - durch D.s Verhalten bekräftigt wurden.
Ich habe ihr nichts Böses angetan. Doch sie ist sehr böse. Denn sie hat mich und unseren Buben einst verlassen.
Anton D. zu den Vorwürfen. Er bestreitet, die Frau getötet zu haben.
Polizeiliche Bohrungen
Als die Kripo etwa herausgefunden hatte, dass die „Vermisste“ nie bei ihrem in Kanada lebenden Bruder gewesen war, „erklärte mir mein Vater das Gegenteil“, sagt Gerhard O.: „Er gab an, von den Beamten erfahren zu haben, dass sie dort ausgeforscht worden sei, zwei Kinder habe - und sich für mich nicht interessiere.“ Nicht nur wegen dieser - offenkundigen - Lüge veranlassten die Fahnder Bohrungen und Sonden-Untersuchungen am angeblichen Ablageort von Maria O.s Leiche. Doch dabei wurden keine sterblichen Überreste von ihr entdeckt.
Sandra P., Andreas G. und Gerhard O. wollen jetzt privat einen abermaligen Aushub des Areals veranlassen - das nach wie vor im Besitz einer Vertrauensperson von Anton D. ist. Die Zustimmung dazu wird ihnen allerdings auf Anordnung von ihm verweigert: „Obwohl wir ihm die Wiederinstandsetzung zugesichert und zusätzlich 40.000 Euro angeboten haben.“
Was der ins Fadenkreuz Geratene zu den Beschuldigungen meint? „Gegen mich ist eine Mega-Intrige in Gang“, beteuert er in einem Interview mit der „Krone“. Bezüglich der Missbrauchsvorwürfe sei ein Fehlurteil über ihn gefällt worden, seine Anwältin Astrid Wagner werde demnächst bei der Justiz einen Antrag auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens stellen.
Was sagt er über Maria O.? „Ich habe ihr nichts Böses angetan. Doch sie ist sehr böse. Denn sie hat mich und unseren Buben einst verlassen.“ Für Hinweise, die zu ihrer Ausforschung führen, setze er jedenfalls eine Belohnung von 20.000 Euro aus.
Ich wünsche mir, dass meine tote Mutter endlich gefunden wird und ich sie in einem Grab bestatten kann.
Gerhard O.
„Ich will meine Mama in einem Grab bestatten“
„Das kann er leicht tun“, entrüstet sich sein Sohn, „weil er weiß, dass meine Mama seit Langem nicht mehr lebt. Er hat sie ja ermordet.“ Gerhard O.s inniger Wunsch: „Dass meine tote Mutter endlich gefunden wird und ich sie in einem Grab bestatten kann.“ Um eine Gedenkstätte zu haben, „für die Frau, die mich vor 41 Jahren zur Welt gebracht hat“.
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