„Sollst nicht töten“
Ukrainische Kirche sagt sich von Moskau los
Russlands Krieg gegen die Ukraine führt zu einer Spaltung der russisch-orthodoxen Kirche. Ihr ukrainischer Zweig beschloss am Freitag in Kiew seine völlige Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat. Nach einem Landeskonzil, an dem Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien teilnahmen, erklärte die Ukrainisch-orthodoxe Kirche (UOK) des Moskauer Patriarchats am Abend: „Wir teilen nicht die Position des Patriarchen von Moskau und ganz Russland Kyrill zum Krieg in der Ukraine.“
Das Konzil habe Änderungen des Kirchenstatuts angenommen, „die die volle Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Ukrainischen Orthodoxen Kirche bescheinigen“, berichteten Kathpress und die Katholische Nachrichtenagentur. Weitere Einzelheiten zu der Loslösung vom Moskauer Patriarchat wurden zunächst nicht bekannt. Für Russlands Kirche wäre der Verlust ihres ukrainischen Zweigs mit Millionen Gläubigen und Geistlichen ein schwerer Schlag.
Verstoß gegen das fünfte Gebot
Im Gegensatz zu Kyrill I. verurteilte das ukrainische Landeskonzil Russlands Angriffskrieg als Verstoß gegen das fünfte der zehn Gebote: „Du sollst nicht töten!“. Die Versammlung sprach allen Menschen, die unter dem Krieg litten, ihr Beileid aus. Die Regierungen der Ukraine und Russlands sollten den Verhandlungsprozess fortsetzen und das „Blutvergießen“ beenden.
An die mit ihr konkurrierende Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) gerichtet, drückte das Konzil sein „tiefes Bedauern über den Mangel an Einheit in der ukrainischen Orthodoxie“ aus. Man gebe aber die Hoffnung nicht auf, dass ein Dialog aufgenommen werden könne. Dazu müssten die Vertreter OKU aber unter anderem „die Beschlagnahme von Kirchen und die Zwangsversetzung von Gemeinden der Ukrainisch-orthodoxen Kirche stoppen“.
Die ukrainische Orthodoxie befreit sich damit von der toxischen Wirkung Moskaus, auch wenn der Weg bis zum Religionsfrieden in der Ukraine erst anfängt.
Theologin und Osteuropaexpertin Regina Elsner
Die deutsche Theologin und Osteuropaexpertin Regina Elsner nannte den Konzilsbeschluss in einer ersten Reaktion am Freitagabend „beeindruckend“. „Die ukrainische Orthodoxie befreit sich damit von der toxischen Wirkung Moskaus, auch wenn der Weg bis zum Religionsfrieden in der Ukraine erst anfängt“, sagte sie der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Seit Monaten Empörung über Patriarch Kyrill
Die Unterstützung des Moskauer Patriarchen Kyrill I. für Russlands Einmarsch in der Ukraine sorgt auch im ukrainischen Zweig seiner Kirche seit Monaten für Empörung. In der ukrainischen Kirche forderten immer mehr eine Trennung vom Moskauer Patriarchat. In 21 der 53 Diözesen stellten die örtlichen Bischöfe ihren Pfarren frei, Kyrill I. in der Liturgie nicht mehr zu gedenken, was als schwere Sanktion gilt. Mehr als 400 Priester forderten ein „internationales Kirchentribunal“ gegen Kyrill I., weil er den Krieg gegen die Ukraine gesegnet habe.
Schon bisher wählte die Moskau unterstehende ukrainische Kirche ihr Oberhaupt und ihre Bischöfe selbst. Ihre bisherige Autonomie umfasste auch die Finanzen. Oberhaupt der UOK ist seit 2014 der 77-jährige Kiewer Metropolit Onufrij (Berezowskij).
Russisch-orthodoxe Kirche zeigt sich überrascht
Freitagabend zeigte sich der Sprecher der Russisch-orthodoxen Kirche, Wladimir Legoida, in einer ersten Reaktion überrascht vom Unabhängigkeits-Votum des Konzils der Ukrainisch Orthodoxen-Kirche des Moskauer Patriarchats. „Wir beten für die Bewahrung der Einheit der Russisch-orthodoxen Kirche“, erklärte er.
Nun hat der Außenamtschef des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion, am Samstag in einer Videobotschaft zur Entscheidung der Ukrainisch-orthodoxen Kirche Stellung genommen. Er dürfte - zumindest offiziell - die Aussagen der ukrainischen Kirche anders interpretieren als diese selbst.
Hilarion meinte in seiner Videobotschaft, dass das Konzil der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche jenen Status bestätigt habe, den diese Kirche seit 1990 hat, „als sie das gesegnete Schreiben der Selbstverwaltung von Seiner Heiligkeit Patriarch Alexij II. von Moskau und ganz Russland erhielt“. Mit den Beschlüssen vom Freitag habe die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche erneut bezeugt, dass sie völlig selbstverwaltet sei, dass ihr Kirchenzentrum nicht in Moskau, sondern in Kiew liege und dass sie weder administrativ noch finanziell oder auf andere Weise von Moskau abhängig sei.
Zugleich betonte Metropolit Hilarion, dass die Einheit zwischen der Ukrainisch-orthodoxen Kirche und der Russisch-orthodoxen Kirche bewahrt werde.
Zwei konkurrierende orthodoxe Kirchen
Rund 60 Prozent der etwa 41 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören im Wesentlichen zwei verschiedenen Kirchen an: der Ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und der Ende 2018 gegründeten eigenständigen (autokephalen) Orthodoxen Kirche der Ukraine.
Die moskautreue Kirche zählt in der Ukraine mit rund 12.000 Pfarren zwar deutlich mehr als jede andere Konfession. Aber in Umfragen bekannten sich die meisten Bürger zur neuen, unabhängigen orthodoxen Kirche. Zu ihr sollen in den vergangenen drei Monaten etwa 400 ehemalige Gemeinden des Moskauer Patriarchats gewechselt sein. Nach eigenen Angaben zählt sie nun etwa 7600 Pfarren.
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