„Krone“-Interview

Sigrid: Der nordische Popstar aus dem Kinderzimmer

Wien
04.06.2022 06:00

Als Sigrid Solbakk Raabe mit der Single „Sun“ in Norwegen 2013 ihren Durchbruch schafft, ist sie 17. Mittlerweile geht sie auf die 26 zu, wurde mit dem Debütwerk „Sucker Punch“ zu einem Weltpopstar und spielt nur selten vor 700 Fans, wie gestern Abend in der Wiener Arena, sondern meist vor mehreren Tausend. „How To Let Go“, das heiß ersehnte Zweitwerk, ist eine Discopop-Abhandlung der ersten Hälfte ihrer 20er und des plötzlichen Ruhms, der sie anfangs fast erschlug. Im Interview erinnert sich die sympathische Skandinavierin an den Lockdown, erzählt von ihrem feministischen Engagement und dass sie eine Zusammenarbeit mit heimatlichen Black-Metal-Künstlern nicht ausschließen würde.

„Krone“: Sigrid, dein zweites Album „How To Let Go“ begeistert mit Disco-lastigem Pop, durchdachten Texten und einer wundervollen Instrumentierung. Außerdem sieht der alte BMW auf dem Cover-Artwork wundervoll aus.
Sigrid:
 Schon oder? Den haben wir uns in Wales ausgeborgt und dann für das Foto-Shooting verwendet. Den Besitzer des Autos habe ich mehrmals getroffen, ein sehr lieber Kerl. Ich weiß schon, dass man solche Landschaftsaufnahmen bei mir daheim in Norwegen oder auch in Dänemark machen könnte, aber der Großteil meines Teams lebt in Großbritannien und so war es einfacher. Außerdem war ich davor noch nie in Wales.

Vor allem kannst du mit diesem Album auf Tour gehen. Nach zwei Jahren Pandemie kein schlechtes Timing.
Es fühlt sich so gut an und ich bin wirklich glücklich. Vielleicht fühle ich mich auf Tour sogar glücklicher als irgendwo sonst. Ich liebe es, jeden Tag in einer neuen Stadt aufzuwachen und ich glaube, ich schlafe nicht einmal in meinem Bett so gut wie im Tourbus. (lacht) Ich bin morgens in Wien aufgewacht, dann sind wir mit dem Uber in die Stadt gefahren und spazieren gegangen und natürlich habe ich auch den Stephansdom und die Innenstadt besucht. Die Donau ist auch wundervoll, einfach großartig. Endlich kann ich wieder Menschen im echten Leben treffen. Das habe ich lange sehr vermisst.

Du hast vor der Pandemie in Los Angeles am Album zu arbeiten begonnen und es dann zwischen deiner Heimat Oslo und Kopenhagen fertiggestellt.
Es gab auch in der Pandemie zwischen Norwegen und Dänemark einen Reisekorridor - zu meinem großen Glück. Die meisten Songwriter und Produzenten sind in L.A., aber aufgrund des Lockdowns war ich dann in Kopenhagen, wo der Produzent Sylvester Sivertsen und die Songschreiberin Caroline Ailin den Lockdown gemeinsam verbracht haben. So konnten wir als Gruppe von drei Menschen den Großteil des Albums fertigstellen. Martin Shirley, Emily Warren und andere waren aus der Ferne auch beteiligt, aber wir drei waren der Kern.

Sind die jeweilige Stadt oder Umgebung entscheidend für den Klang oder die Farbe eines Albums?
Ich denke schon. Die ganze Situation hat das Album schwer beeinflusst. Ich bin mittlerweile 25, aber das Album dreht sich um die magische Zeit zwischen 20 und 24. In diesen Jahren macht man viele Erfahrungen, lernt dazu, rutscht manchmal aus und fällt hin, steht aber auch wieder auf und startet neu durch. Der Sound hat einen roten Faden, weil fast überall derselbe Produzent dahintersteckt. Mein Debütalbum „Sucker Punch“ war sehr stressig. Wir haben jeden Tag einen neuen Song aufgenommen, dann ging es immer wieder auf Tour und zu Konzerten. Dieses Mal waren wir total entspannt und komplett fokussiert. Ich war zweimal für je drei Wochen in Kopenhagen. Wir sind während des Schreibens schwimmen gegangen und haben viel entspannt - man konnte ja auch nicht viel tun. Diese Ruhe hat auch auf dem Album Einzug gehalten.

Welche Lehren hast du denn aus deiner persönlichen Analyse über die erste Hälfte deiner 20er-Jahre gezogen?
Das Album heißt auch deshalb „How To Let Go“, weil ich mir die Frage oft gestellt habe, ob ich Dinge einfach sein lassen oder gehen lassen könnte. Lernt man das überhaupt einmal im Leben? Wenn man diese Welt betritt, kann sie sehr viele Selbstzweifel und Unsicherheiten mit sich bringen. Ich wollte das Album auch nicht allzu cheesy gestalten und darüber singen, wie sehr ich mein Leben und meinen Job liebe. Es ist nicht immer alles gut. Es ist oft schwierig, in den Medien und im Rampenlicht aufzuwachsen. In Norwegen haben wir keine große Promi-Kultur. Dort geht man ganz normal einkaufen und wird meist nicht behelligt, aber trotzdem hatte sich viel verändert und man steht in der Öffentlichkeit. Diese Dinge habe ich auf dem Album verarbeitet. Durch Social Media ist heute aber schon jeder in jungem Alter öffentlich und das macht sicher sehr viel mit einem. „Last To Know“ ist ein Song, der sich darum dreht, wie man trotz aller Rückschläge weitermacht. „Dancer“ ist ein Song über die Liebe und das Verliebtsein und „High Note“ dreht sich um die Zeit an sich und wie sie uns prägt. Es gibt also auch viele andere Themen, die ich auf „How To Let Go“ behandle.

Hast du weibliche Inspirationsquellen oder Vorbilder, von denen du dir auch im Hinblick auf das Rampenlicht Dinge abschauen konntest?
Auf jeden Fall, vor allem Taylor Swift. Sie ist ein großer Einfluss auf viele Freundinnen und andere Frauen im Pop-Business. Sie ist eine großartige Songschreiberin und Musikern und sie hat sich ihre Karriere selbst erarbeitet und leitet sie perfekt. Das inspiriert mich sehr. Lykee Li oder Robyn sind auch große Idole von mir. Natürlich auch Joni Mitchell, Dolly Parton oder Stevie Nicks. Sie hat eine unglaubliche Stimme.

Du bist selbst ein Idol für viele Frauen und Mädchen, es schwingen bei dir auch immer viele feministische Botschaften ohne grobe Keule mit. Gefällst du dir in dieser Rolle?
Ich bin eine ganz normale Frau in ihren 20ern, die immer wieder in Fettnäpfchen tritt, aber es ist schön, wenn ich andere inspirieren kann oder sie Gefallen an meiner Musik finden. Egal, ob Jungs oder Mädchen. Musik kann hilfreich sein und ich bin eine sehr stolze Feministin. Es geht um Gleichberechtigung und Selbstvertrauen, aber auch um Politik, Abtreibungsrechte, die gleiche Bezahlung und eine gewisse Quote auf Festival- und Musik-Line-Ups. Natürlich auch im Hintergrund bei der Crew. Ich habe eine Frau als Tontechnikerin, die auch Sigrid heißt. Das sorgt immer wieder für Unsicherheiten und Diskussionen. (lacht) Ich bin sehr stolz auf meine Band und meine Crew. Wir stehen uns alle sehr nahe und genießen die Zeit zusammen.

Die besten und auch erfolgreichsten Pop-Acts dieser Tage sind fast alle weiblich. Die Staffelübergabe hat schon vor Jahren begonnen. Warum ist das deiner Meinung nach so?
Ich habe unlängst einen Artikel in einem norwegischen Magazin gelesen, dass immer mehr Frauen Festivals headlinen. Der Chefbooker eines Festivals wird darin zitiert mit „zumindest hat sich die Situation für Frauen in den Line-Ups verbessert“. Das ist natürlich nett gemeint, aber noch etwas zu wenig. Wenn es heißt „oh wie schön, Sigrid ist ja zumindest Headlinerin von Festival X“ ist das schön, aber es zeigt gleichzeitig auf, dass da noch viel mehr geht. Man darf keinesfalls nachlassen. Es gibt so viele grandiose Künstlerinnen und Bands. Alleine schon Haim, eine meiner absoluten Lieblingsbands. Ich sehe diesen Sommer. Billie Eilish ist Headlinerin am Glastonbury in diesem Jahr und auch darauf freue ich mich schon sehr.

Wir haben vorher das Thema Rampenlicht angeschnitten. Im ersten Lockdown hast du das andere Extrem erlebt. Von viel Jubel, Applaus und Aufmerksamkeit zurück in die eigenen vier Wände zu Ruhe und Isolation. Hat das etwas mit dir gemacht?
Am Ende der Tour zu „Sucker Punch“ waren wir wirklich extrem müde und wussten, dass wir die Intensität zurückschrauben müssten. Im Jänner 2020 war ich nach ein paar Wochen Urlaub aber wieder total fit und motiviert und was gleich darauf kam, das wissen wir alle. Ich hatte aber Glück, dass ich den Lockdown mit meinen Eltern verbringen konnte. Ich zog sogar heim und schlief in meinem alten Kinderzimmer. Ich war wieder eine Teenage-Tochter und das war eine gute Lehrstunde. Wenn ich etwas aus dieser Zeit mitgenommen habe, dann, dass ich nichts als selbstverständlich erachte. Ich habe viele Freunde, die zu studieren begonnen haben und erstmals von zuhause aus- und weit wegzogen. Sie waren teilweise sehr einsam, das will ich mir gar nicht vorstellen.

Wohnst du nun eigentlich in Bergen oder Oslo?
Ich bin vor drei Jahren nach Oslo gezogen, habe aber davor in Bergen gewohnt. Wäre es möglich gewesen, wäre ich vielleicht dortgeblieben. Auch ein Großteil meiner Crew wohnt dort, eine traumhafte, kleine Stadt. Vor allem musikalisch ist es die interessanteste Stadt des Landes. Alan Walker oder Kygo sind von dort, aber es kreuzen sich sowieso alle Genres. Es gibt ungefähr drei Bars, in denen alle Musiker und Künstler unterwegs sind. Die DJs, Jazz-Musiker, Pop-Sängerinnen und die vielen Heavy-Metal-Typen. In meiner Band sind Jazzmusiker, die in der Grieg-Academy studiert haben.

Du hast auf dem Album mit „Bad Life“ einen Song mit der Metalcore-Band Bring Me The Horizon gemacht. Eigentlich könntest du dann auch mit einer Black-Metal-Band aus Bergen kooperieren?
Ja, warum eigentlich nicht. Das würde sicher Spaß machen. Ich bin für alles offen. (lacht) Die Jungs von Bring Me The Horizon sind so nett, wir sind richtig gut befreundet. Ich habe erst heute mit ihnen gesprochen und ich freue mich, dass wir gegenseitig Fans von uns sind und es zu dem Song kam. Wir haben uns letztes Jahr bei einem Festival getroffen und die Idee einfach umgesetzt. Ich mag es gerne, wenn Dinge passieren, die man nicht einfach so erwartet. Das ist doch spannend.

Ich schätze an dem Album auch, dass es sehr fröhlich und lebensbejahend klingt. Das war aber gar nicht unbedingt deine größte Intention oder?
Das ist interessant, denn ich sehe mich nicht unbedingt als eine positive Person. Ich bin aber sehr sensibel und ich kann mich in alle Dinge einfühlen. Die Welt ist derzeit ein schlimmer Ort und es passieren grauenhafte Dinge, aber ich suche immer nach dem Silberstreif am Horizont und der guten Nachricht. Ich werde diese neuen Songs die nächsten Jahre live singen und mir fällt es schwer, Songs immer und immer wieder zu performen. Ich bin sehr vorwärtsgerichtet. Ich denke beim Songwriting oft weit nach vorne, weil mir genau bewusst ist, dass die Songs auch in ein paar Jahren noch einen inhaltlichen Wert haben sollen. Es gibt immer einen Plan.

Hast du bei der Arbeit an „How To Let Go“ Antworten gefunden auf Fragen, die während des Prozesses aufgeploppt sind?
Ich habe, noch mehr als früher, gelernt, meinen Gefühlen zu vertrauen. Ich tendiere sehr stark zum Perfektionismus und habe eingesehen, dass es absolut okay ist, wenn die Dinge nicht immer so laufen, wie man das in seiner Vorstellung gerne hätte. Außerdem weiß ich nun, dass ich faul sein darf, wenn ich das Bedürfnis dazu habe. Ich kann sehr gut daheim in meiner Wohnung sein, mein Lieblingsessen kochen, mich auf die Couch fläzen und stundenlang Serien schauen, ohne mich dabei zu bewegen. Ich mache einfach das, was mir gut tut und nicht das, was andere als cool erachten.

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