In seiner Reihe „Hier war ich glücklich“ begleitet Robert Schneider Vorarlberger an die Lieblingsplätze ihrer Kindheit. In Bregenz traf er jüngst Abt Vinzenz Wohlwend.
Der Bodensee gibt sich fast mediterran. Sein stahlblaues, glasklares Wasser kräuselt sich im leichten, warmen Wind. Am Ufer beim Mehrerauer Badehäuschen liegt bizarr geformtes Treibholz. Ein Schlaraffenland für spielende Kinder, die in den Ästen oder Baumstümpfen fantastische Fabelwesen, Gnome, Alben entdecken. Ein Eldorado für Krippenbauer, die hier das Grundgerüst ihrer Krippe orientalischer Art finden. Eine Frau sitzt lesend auf einem halben Baumstamm, das Gesicht der Sonne zugewandt. Sie ist so in das Buch vertieft, dass sie gar nicht merkt, wie ein junger Mann mit nacktem Oberkörper und rasiertem Schädel seine Dogge immer wieder ins Wasser treibt und appellieren lässt.
Im Hohlweg der Allee zum Badehäuschen sehe ich einen Mann im Ordensgewand herbeieilen. Weißer Habit mit übergeworfenem schwarzen Skapulier. Es ist mein Gesprächspartner Pater Abt Vinzenz Wohlwend. Er entschuldigt sich vielmals, ist ganz außer Atem, weil er eine Sitzung nicht eher beenden konnte. Das Badehäuschen ist der Lieblingsplatz seiner Kindheit. Hier war er glücklich. „Jetzt verschnaufe erst einmal“, sage ich. Wir sind per Du. Das Duzen kam wie selbstverständlich, weil Abt Vinzenz ein Mensch ist, der kein Aufheben um Titel, Ämter und Meriten macht. Das wirkt bei ihm nicht aufgesetzt oder eilfertig. Es ist einfach so. „Für mich zählt nur der Mensch. Das, was am Ende bleibt“, erklärt er sich und sucht nach dem Schlüssel für die Tür des Badehäuschens, wo wir uns zwei Gartenstühle nehmen und in den Schatten setzen.
Robert Schneider: Als Buben sind wir heimlich über das Gitter des Badehäuschens geklettert, weil die Tür ja abgesperrt war.
Vinzenz Wohlwend: Wir auch (lacht).
Schneider: Du stammst aus Schaan. Warum ausgerechnet das Mehrerauer Badehäuschen?
Wohlwend: Ich kam mit elf Jahren ans Collegium Bernardi. Mit dem Badehäuschen verbinde ich die schönsten Erinnerungen meiner Jugend. Ich habe hier so viele herrliche Stunden verlebt. Auch heute noch ist dieser Ort etwas ganz Besonderes, nur ein paar Schritte vom Kloster entfernt. Du bist zwar im Alltag, aber hier draußen doch gleich wieder in den Ferien. Das Rauschen der Wellen, die Ruhe. Hier konnte und kann ich mich sammeln und erholen.
Schneider: Erzähle mir etwas von Deinen Eltern.
Wohlwend: Ich komme aus einer richtigen Handwerkerfamilie mit vier Kindern. Zwei Buben und zwei Mädchen. Mein Vater war ausgebildeter Schlosser, hat dann bei den Liechtensteinischen Kraftwerken gearbeitet. Die Mutter war gelernte Gärtnerin.
Schneider: Beide leben noch?
Wohlwend: Gottseidank! Sie sind mir ganz wichtige Gesprächspartner. Bis heute. Mir ging erst unlängst auf, was sich meine Eltern vom Mund absparen mussten, damit beide Buben so ein Gymnasium besuchen können.
Schneider: Dein Bruder war auch hier?
Wohlwend: Ja, er war schon an der Schule, als ich kam. Deshalb hatte ich auch nie Heimweh.
Schneider: Das heißt, dass Deine Eltern irgendwie gespürt haben, der Bub muss studieren, weil er so intelligent ist.
Wohlwend: Das gilt für meinen Bruder. Ich habe mir beim Lernen immer sehr schwer getan, weshalb ich auch lange überlegt habe, einen Handwerksberuf zu ergreifen. Dann wollte ich aber doch die Matura schaffen. Ich weiß nicht, wieso. Ich wollte es einfach.
Schneider: Welche Berufssparte hätte Dich interessiert?
Wohlwend: Konditor. Ich backe für mein Leben gern. Als Abt komme ich leider nicht mehr so oft dazu, meine Mitbrüder kulinarisch zu verwöhnen. Ich habe das bei der Mama gelernt. Obwohl sie im Rollstuhl sitzt, macht sie immer noch die besten Cremeschnitten weit und breit. Mönchsleben und Konditorberuf haben eines gemeinsam. Wir stehen sehr früh auf.
Schneider: Ab wann war für Dich klar, dass Du ein mönchisches Leben führen willst?
Wohlwend: Das klösterliche Leben hat mich schon in der Schule sehr fasziniert. Der Rhythmus, den dieses Leben hat. Uralte gelebte und wieder gelebte Strukturen, die einen auffangen. Auch die Werte. Ora et labora et lege, also bete und arbeite und lies, das wurde mir schon Zuhause vorgelebt. Dann gab es natürlich sehr prägende Persönlichkeiten im Kloster wie z. B. den Altabt Kassian Lauterer, dessen Integrität und Würde mich sehr beeindruckt haben. Er hat übrigens als Junge beim Spielen im Schilf dort drüben sein Auge verloren, weshalb er ein Glasauge trägt. Aber auch die schwierigen Persönlichkeiten haben mich interessiert. Ein Kloster hat sehr viel mit einer Familie gemeinsam. Da kracht es auch. Das ist menschlich. Der hl. Benedikt hat es in seiner Ordensregel so schön ausgedrückt, dass man nämlich lernt, die Eigenheiten des Anderen mit großer Geduld zu ertragen.
Schneider: In welche Zukunft möchtest Du das Kloster gerne führen?
Wohlwend: Da gibt es zwei Aspekte. Einerseits lege ich größten Wert darauf, die Vergangenheit mit all ihren dunklen Seiten aufzuarbeiten. Das ist mir sehr wichtig. Andererseits stoße ich Projekte an, wo z. B. jeder, der das möchte, ein Stück weit klösterlichen Alltag mitleben kann. Und ich stelle fest, mit welcher Begeisterung gerade junge Menschen das annehmen und die mönchische Lebensform gar nicht als vorsintflutliches Lebenskonzept bewerten.
Schneider: Wie definierst Du Glück?
Wohlwend: Glück bedeutet für mich, gesunde Beziehungen leben. Mit Menschen, mit der Umwelt, mit Gott. Im Schnittpunkt davon möchte ich das Leben feiern. Darum liebe ich so sehr die Gottesdienste mit Kindern, wenn nämlich Kinder...
Wir werden jäh unterbrochen. Mein kleiner Sohn, der hier zur Volksschule geht, steht plötzlich auf der Treppe des Badehäuschens. Er tritt zu Vinzenz hin und fragt: „Ist dein Ring wertvoll? Kann ich den haben?“ Abt Vinzenz lacht herzlich. „Leider nein. Den habe ich von meinen Eltern bekommen.“
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