Innsbruck gehört zu den wichtigsten Transplantationszentren Europas. Jedes Jahr werden hier unter anderem rund 130 Nieren, 15 bis 20 Herzen, zehn bis 15 Lungen und mehr als 80 Lebern verpflanzt. Die Organe können dank einer speziellen Technik immer länger außerhalb des Körpers konserviert werden. Das eröffnet ungeahnte Möglichkeiten.
„Eine Woche im experimentellen Bereich, bis zu 40 Stunden bereits regulär.“ Mit der Gelassenheit eines stresserprobten Chirurgen spricht Stefan Schneeberger, Leiter der Transplantationschirurgie an der Uni-Klinik in Innsbruck, über Weltrekorde, die in seinem Fach, an seiner Abteilung gerade aufgestellt werden. Was der Mediziner hier beziffert? Schneeberger beschreibt die Haltbarkeit einer Spenderleber, wenn sie an eine sogenannte Perfusionsmaschine angeschlossen wird. Ein hochkomplexer Apparat, der dem Organ Bedingungen (fast) wie im Körper bieten kann.
„Wir gewinnen dadurch Unmengen an Zeit“
Bis zu einer Woche kann eine Leber an dieser Maschine mittlerweile konserviert werden. Eine Sensation, die nicht nur die Transplantationschirurgie revolutionieren dürfte. Schneeberger: „Wir gewinnen für unsere Arbeit geradezu Unmengen an Zeit. Vor fünf Jahren hatten wir maximal acht bis zehn Stunden. Bei längerer Dauer war das Organ zu schwer beschädigt. In diesem Zeitfenster musste Entnahme, Transport, Vorbereitung des Empfängers und Transplantation klappen.“
Die neue Technik eröffnet uns erstmals die Möglichkeit, Organe genau unter die Lupe zu nehmen.
Stefan Schneeberger, Leiter Transplantationschirurgie Uni-Klinik Innsbruck
Eine Kühlbox war bisher die einzig mögliche Verbindung zwischen Spender und Empfänger. Doch darin kann ein Organ nicht durchblutet und mit Nährstoffen versorgt werden. Eine kritische Phase, in der sensible Zellen empfindlich geschädigt werden können. Mit der Maschinenperfusion bleibt die Leber warm, durchblutet und mit Nährstoffen versorgt. Daten zeigen, dass Organe dadurch in einem besseren Zustand bleiben.
„Doch das alleine ist es nicht“, macht Schneeberger neugierig, „die neue Technik eröffnet uns erstmals die Möglichkeit, Organe genau unter die Lupe zu nehmen.“ Daraus hat sich an der Medizin-Uni Innsbruck ein international viel beachtetes Forschungsfeld eröffnet. Schneeberger und sein Team haben eine Methode entwickelt, mit der Organe isoliert vom Körper beurteilt und behandelt werden können.
Das Organ wird wie ein Intensivpatient betreut
„Wir betreuen Lebern wie Patienten auf der Intensivstation“, beginnt der Chirurg zu erzählen. Das Organ wird dort auf Herz und Nieren geprüft. Damit haben die Mediziner deutlich mehr Garantien für das Gelingen einer Transplantation als früher. Doch das eigentlich Revolutionäre ist gerade erst im Werden. „Durch dieses neue Verfahren wurde die Möglichkeit geschaffen, eine Leber vor der Transplantation zu behandeln und so auch Organe zu transplantieren, die wir bisher verwerfen mussten“, erläutert Schneeberger.
Verwerfen – das war in der Vergangenheit in 20 bis 30 Prozent der Fälle notwendig. In der Gegenwart liegt der Ausschuss bei zehn bis 15 Prozent. In einem Fachgebiet, in dem es jeden Tag um Leben und Tod geht, können mit jedem Prozentpunkt Wunder bewirkt werden.
Elf Perfusionsgeräte sind an der Klinik mittlerweile im Einsatz. Nicht nur für Lebern. Auch Herzen und Nieren können mit diesen Maschinen länger konserviert werden. Im Vorjahr wurde dank neuer Technik in Innsbruck erstmals ein schlagendes Herz verpflanzt. Die gewonnene Zeit wirkt sich eins zu eins auf die Qualität aus. Das belegen erste Evaluierungen.
Der Horizont ist weit größer, als bisher vermutet.
Stefan Schneeberger, Leiter Transplantationschirurgie Uni-Klinik Innsbruck
Tumore außerhalb des Körpers behandeln
Was die Zukunft bringt? „Noch viel“, ist Schneeberger überzeugt und hat auch gleich ein Beispiel parat: „Ist ein Organ von einem Tumor befallen, kann dieses künftig dank Perfusion außerhalb des Körpers behandelt und anschließend dem Patienten wieder eingesetzt werden. So bleibt der Rest des Organismus von den Nebenwirkungen der oft aggressiven Krebstherapien verschont.“ Eine Utopie, die bald keine mehr ist. Ebenso wenig wie jene einer Organbank. Bereits 2030 könnte diese in Innsbruck Wirklichkeit sein. Organe auf Abruf.
„Der Horizont ist weit größer, als bisher vermutet“, wird der sonst so gelassene Transplant-Spezialist bei diesen Schilderungen doch noch emotional. Die Leber, das Herz, die Niere - ist es vorstellbar, dass die Technik bald mit allen Organen funktioniert? „Warum nicht?“, stellt Schneeberger die Gegenfrage. Warum nicht? Eine plausible Antwort.
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