Taxi-Geschichten

Die Tücken mit dem familiären Überwachungssystem

Wien
17.06.2022 11:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Wenn Kerems Smartphone in der eigens dafür vorgesehenen Halterung vor dem Ganghebel seines Toyota Prius einen Laut von sich gibt, zuckt er instinktiv zusammen. Nun liegt es aber nicht an der Angst vor einer neuen Fahrt, das wäre dem Job des Mittvierzigers auch nicht sonderlich dienlich, sondern an seiner geliebten Ehefrau. Der leidenschaftliche Taxler kämpft schon seit geraumer Zeit gegen die persönlichen Tücken der Technik und fühlt sich verfolgt. „Völlig egal, wohin ich fahre und was ich mache, sie weiß immer ganz genau, wo ich bin“, lacht er. Die bittersüße Note seiner guten Laune kann er dabei nicht ganz verbergen. Das scheinbar unfehlbare Ortungsprozess seiner besseren Hälfte ist ihm alles andere als geheuer.

Kerem habe nichts zu verbergen, fügt er gleich ungefragt hinzu, aber die mangelnde Freiheit mache ihm zu schaffen. „Ich fahre Taxi, bin den ganzen Tag unterwegs, ganz normal. Aber wenn ich dann mit meiner Frau telefoniere, dann fragt sie mich oft, warum ich gerade an diesem oder jenem Ort in Wien bin und ich frage mich die ganze Zeit, wie das möglich ist.“ Als er vor etwas mehr als 20 Jahren von Ankara nach Wien kam, gab es auf Handys statt der Instagram-App noch das heißgeliebte Snake. Facebook lag für die Öffentlichkeit unbemerkt noch in den frühen Geburtswehen und beim Verschicken von SMS musste man sich noch gut überlegen, ob man nicht die Limits überschreitet und dadurch zu tief in die Tasche greifen muss.

„Ich habe keine Geheimnisse vor meiner Frau“, bekräftigt Kerem noch einmal vehement, „aber es kann wohl nicht sein, dass sie zu jeder Sekunde weiß, wo ich mich gerade befinde. Da hat man ja überhaupt keine Ruhe mehr. Die hat mir irgendwas raufinstalliert, aber ich bin noch nicht dahintergekommen, was.“ Obwohl Kerem erst Ende der 90er-Jahre nach Wien kam, war sein Vater schon 1967 in der Stadt. Arbeiten im Niedriglohnsektor wurden damals selten von gebürtigen Österreichern verrichtet, weshalb zunehmend Gastarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei lukriert wurden. Kerems Vater fand sich schnell zurecht und wohl, arbeitete mit Motivation und Fleiß und baute sich in Wien ein zweites Leben auf. „Meine Mama blieb in der Türkei und Papa hatte hier eine zweite Frau“, schmunzelnd Kerem, „aber das war für alle Beteiligten okay.“

Der Vater pendelte immer wieder zwischen Wien und Ankara hin und her. Kerem hat ihn in den ersten Jahren nicht sehr oft zu Gesicht bekommen, aber kurz vor seiner Adoleszenz in den mittleren 90ern zog er sich für die Pension wieder in seine alte Heimat zurück. „Meine Mutter ist nie fix nach Wien gegangen, sie war viel zu heimatverbunden. Es war immer klar, dass mein Vater früher oder später in die Türkei geht.“ Wenige Jahre nach der Heimkehr des Vaters verschlug es schlussendlich den Sohn in die österreichische Bundeshauptstadt. „Ich habe nur Gutes von der Stadt gehört und wusste in Ankara nicht so recht, was ich mit meinem Leben anfangen soll.“ Relativ schnell machte Kerem den Taxischein und fand seine Berufung.

„Ich habe irrsinnig gerne mit Menschen zu tun und machte auch kaum schlechte Erfahrungen. In den 60ern waren Ausländer in Wien noch unüblich, mein Vater hatte es nicht leicht. Heute sind aber so viele Nationen und Kulturen so gut integriert, dass ein Miteinander ganz normal ist. Und genau so soll es auch sein.“ Zwischenmenschliche Doppelgleisigkeiten á la Papa sind bei Kerem kein Thema, dafür sei er nicht nur viel zu treu, die geliebte Ehefrau würde solche Sperenzchen schon im Keim ersticken. Und um gegen das angsteinflößende Überwachungssystem anzutreten, hat er nach einigen Jahren auch schon den ersten Schritt getan. „Ich habe mein iPhone abgegeben und mir ein Android-Handy zugelegt. Ich habe zumindest das Gefühl, dass sie jetzt nicht immer weiß, wo ich gerade stecke…“

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