Großer „Krone“-Talk

Def Leppard: Hard Rock für die Working-Class

Musik
09.06.2022 06:00

Seit 45 Jahren begeistern die Briten Def Leppard mit Hits und feurigen Livekonzerten. Ausgerechnet in der Stille der Corona-Pandemie fanden Joe Elliott, Phil Collen und Co. ihr kreatives Feuer wieder und fertigten mit „Diamond Star Halos“ das beste Album seit fast drei Dekaden. Wir flogen in die Londoner Abbey Road Studios, um mit Elliott, Collen und Vivian Campbell über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Band zu reden.

(Bild: kmm)

Das Musikgeschäft kann knallhart sein und ganz bestimmt ist es voller Irrungen und Wirrungen. Die britische Hard-Rock-Schmiede Def Leppard hat in ihren 45 Karrierejahren rund 110 Millionen Alben verkauft, zwischen 1983 und 1992 mit „Pyromania“, „Hysteria“ und „Adrenalize“ drei der wichtigsten Alben des gesamten Genres geschrieben und trotzdem nie die Popularität von Guns N‘ Roses, Mötley Crüe oder Queen erreicht. Ob das fair ist oder nicht, darüber können und werden Chronisten vielleicht noch Bücher schreiben, die Musiker selbst sehen das recht locker. Auch wenn der Ehrgeiz manchmal gerne mehr Erfolg gesehen hätte. „Wir haben in große Arenen gespielt, aber Def Leppard sind eine Band fürs Stadion“, erklärt Gitarrist Phil Collen im „Krone“-Gespräch, „wir sind jetzt mit Mötley Crüe auf einer solchen Tour in Amerika, aber wir würden diese Gigs auch alleine tragen. Das treibt mich noch immer an.“

Working-Class-Heroes
Von mangelnder Motivation kann im Camp der Briten keine Rede sein. Für den Verfasser dieser Zeilen ist das Zusammentreffen fast wie ein Relikt aus längst vergangenen Tagen. Flug nach London, ab in die ehrwürdigen Abbey Road Studios und ausufernde Einzelinterviews mit drei von fünf Bandmitgliedern. Ein absoluter Luxus in Tagen der musikalischen Selbstvermarktung und künstlichen Verknappung. Doch das ausufernde Arbeitsethos von Def Leppard kommt nicht von ungefähr. Auch wenn sich die einzelnen Bandmitglieder längst zwischen Irland, New Hampshire und Kalifornien verstreut haben, liegt ihr Ursprung in der industriell-kühlen Working Class Großbritanniens. „Wir haben alle denselben Background“, erklärt der aus Nordirland stammende Gitarrist Vivian Campbell, „es ging uns allen immer um die Musik und nie um den Ruhm. Ich komme aus dem Blues Rock, da geht es um die Musik und den Sound. Alles andere ist zweitrangig.“

Für Def Leppard sprechen nicht zuletzt eine beeindruckende Stabilität und respektvolle Freundschaft untereinander. Campbell stieß 1992 zur Band und ist mit exakt 30 Dienstjahren das jüngste Mitglied, quasi der Ronnie Wood der Briten. Starallüren sind den Musikern fremd, auch wenn Frontmann Joe Elliott mit erfolgreichen Radioshows in England und den USA und so manch knackigem Sager in Interviews aufzuhorchen weiß - selbst er weiß ganz genau, dass das große Ganze deutlich über dem Individuum steht. „Wir haben persönliche und berufliche Krisen überlebt. Das festigt einen nachhaltig“, gibt er unumwunden zu. Die schwersten Schicksalsschläge? 1984 verliert Drummer Rick Allen bei einem Autounfall einen Arm, wird aber mit seinem speziellen Kit zu einer bis heute spielenden Legende. Lead-Gitarrist Steve Clark stirbt Anfang 1991 an einer Überdosis aus Schmerzmitteln, Alkohol und Antidepressiva. Das warf vor allem Collen aus der Bahn, der plötzlich die Hauptverantwortung an der Sechssaitigen übernehmen musste.

Richtiges Umfeld
„Eine furchtbare Zeit“, erinnert er sich emotional zurück, „ich stellte die Band in Frage und wusste nicht, ob wir ohne ein so wichtiges Familienmitglied weitermachen sollen. Ich kann mich gut an eine Unterhaltung zwischen mir und den anderen erinnern, weil ich nicht mehr wollte. Wir kamen aber in die Spur, ,Adrenalize‘ wurde zu einem Nummer-eins-Album und wir waren damit 241 Tage auf Tour. Es war ein Album für Steve und noch heute ist jeder neue Song ein Teil von ihm. Wir ehren sein Vermächtnis und er ist immer bei uns an Bord.“ Campbell wiederum fand bei Def Leppard ab 1992 sein neues Glück. Er hatte viele erfolgreiche Jahre mit Ronnie James Dio, zerkrachte sich mit ihm aber kreativ und wurde schließlich aus der Band geworfen. Das Kurzzeitengagement bei Whitesnake scheiterte auch am Zwischenmenschlichen. Die erdigen Def-Leppard-Mitglieder waren das richtige Umfeld für den ebenso erdigen Nordiren, der sich sofort einwandfrei in das Gebilde einfügte.

Dass knapp sieben Jahre nach dem selbstbetitelten letzten Album nun „Diamond Star Halos“ erscheint, haben wir der Pandemie zu verdanken. Anstatt mit Mötley Crüe, Poison und Joan Jett auf fette US-Stadiontour zu gehen (was man heuer endlich nachholt), standen Isolation und musikalische Einsamkeit am Programm. Rückblickend der größte Glücksfall für die Band, denn in seiner privaten, familiär sicheren Hemisphäre wuchs jedes einzelne Bandmitglied über sich hinaus. Innerhalb von acht Monaten entstand das neue Werk, das 15 Songs umfasst. Collen ließ mehrfach anklingen, man hätte so viele Ideen verwurstet, dass es bis zum nächsten Studioalbum nicht mehr lange dauern würde. Anstatt sich in Elliotts Studio am irischen Land zu treffen, haben die Musiker sich in ihren Häusern verschanzt und die Files hochmodern via Dropbox hin- und hergeschickt. „Wir haben nur telefoniert und E-Mails geschickt, kein Zoom“, wie Elliott mit lautem Organ betont, „und weißt du was? Es ist das Beste, was uns überhaupt passieren konnte. Wir werden nie wieder ein Album zusammen in einem Raum schreiben und aufnehmen.“

Zwischen Avantgarde und Rock
Was für Rock-Romantiker und -Puristen auf den ersten Hör furchtbar erscheinen mag, hat die Mittsechziger noch einmal in einen kreativen Jungbrunnen geschossen. Auch wenn sich vor allem Campbell mit Technik und digitalen Aufnahmemethoden plagte, unter Mithilfe des langjährigen Technikers und Ko-Produzenten Ronan McHugh wurden die Soft- und Hardware-Kenntnisse so geschärft, dass man nun das wohl beste Leppard-Album seit rund 30 Jahren in den Händen hält. Nicht nur der Albumtitel beruft sich auf ein Zitat von Marc Bolan der Glam-Legenden T.Rex, das gesamte Werk ist eine einzige Verbeugung vor den eigenen Helden. Dazu gibt es Gastbeiträge von Bluegrass-Sängerin Alison Krauss oder dem legendären David-Bowie-Pianisten Mike Garson, den Elliott bei der Arbeit an einem Bowie-Tribute-Album kennenlernte. Damit erfüllte sich ein Traum für die gesamte Band, denn Bowie ist neben T.Rex wohl der kleinste gemeinsame Nenner aller Mitglieder und sein Album „Aladdin Sane“ der Heilige Gral. „Ein Avantgarde-Pianist auf einem Leppard-Album - wer hätte sich das je gedacht?“

(Bild: Anton Corbijn)

Doch über allem stand die Freiheit. „Wenn jemand schlecht drauf war, ging er mit der Familie spazieren oder fuhr eine Runde im Auto. Wenn jemand keine Zeit hatte, war er am nächsten Tag dran. Durch die Zeitverschiebung zwischen Irland und den USA konnten wir unabhängig voneinander arbeiten“, schwärmt Elliott, „Brian May und John Deacon haben Freddie Mercury auch nicht von der ersten Sekunde an gebraucht, um Songs zu schreiben. So war es auch bei uns.“ Elliott, aufgrund seiner guten, aber nicht herausragenden Fähigkeiten am Klavier von den Kollegen scherzhaft „Elton Joe“ genannt, sorgte etwa für die Balladen „Angels“ und „Goodbye For Good This Time“, Collen für die knackigen Rocker. Und als das Album eigentlich schon stand, kam der Gitarrist noch mit der ersten Single „Kick“ um die Ecke, was wohlige Erinnerungen an früher weckte. „Auch ,Pour Some Sugar On Me‘, unser größter Song, entstand einst erst als Allerletztes und wurde dann zum größten Erfolg.“

Nostalgische Gegenwart
Die Trademarks und Stärken von Def Leppard sind dieselben wie früher. Harte, aber eingängige Riffs, Allens einzigartiges Drumming, die stimmliche und physische Präsenz Elliotts und der wundervolle Harmoniegesang, der die Briten schon immer aus dem Rest der Hard-Rock-Klientel heraushob. Dass man sich klanglich und auch soundtechnisch an den Großtaten der eigenen Vergangenheit orientiert ist keinesfalls als negativ zu werten. Die Band weiß ob ihrer Stärken und lanciert sie mit beeindruckender Präzision. Die Mischung aus balladesken Momenten, harten Ausritten, einem Western-Feeling und dem allumfassenden Glam-Mantel beschwört gleichermaßen Nostalgie wie Gegenwartsliebe herauf. „Es ist schön, wenn die Fans das Album mögen, aber selbst wenn es niemand kauft, sind wir happy mit dem Produkt“, freut sich Collen, „wir haben noch immer den Antrieb von früher. Jeder neue Song soll der beste unseres Lebens werden. Nach dieser Maxime haben wir auch dieses Album geschrieben.“

Nach 45 Jahren Bandgeschichte, vielen überstandenen Krisen und einer Grunge-Welle, die sie in den 90ern fast völlig weggespült hatte, kann die hart arbeitende Truppe nichts mehr aus dem Sattel werfen. „Wir respektieren uns als Individuen und lassen uns ausreichend Freiraum, gleichzeitig entwickeln wir uns im Tourbus zurück zu 16-Jährigen und haben den größten Spaß miteinander“, kommt Campbell ob der Chemie in der Band ins Schwärmen, „je mehr Leute zu uns ins Stadion kommen, umso besser. Unsere Songs sind groß, die Show ist groß, die Stadien sollen groß sein. Wir brauchen das und laden euch alle herzlich dazu ein.“ 2023 soll es mit „Diamond Star Halos“ und den großen Hits der Vergangenheit auch wieder nach Europa gehen - und vielleicht auch endlich wieder nach Österreich. Denn das letzte Stelldichein von Joe Elliott, Phil Collen und Co. bei uns ist auch schon fast wieder 30 Jahre her…

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