Schneider-Serie

„Unterm Strich habe ich dazugelernt“

Vorarlberg
12.06.2022 09:25

In seiner Reihe „Hier war ich glücklich“ begleitet Robert Schneider Vorarlberger an die Lieblingsplätze ihrer Kindheit. In Koblach traf er den Geschäftsmann Emilio Bietti (Epos).

Hier, dieses Haus stand noch nicht. Das dort drüben auch nicht. Die Reihenhäuser da hinten auch nicht. Unser Haus war eigentlich das einzige weit und breit. Nur Wiesen und der Rheindamm.„ Emilio Bietti deutet auf sein Elternhaus, das zwischenzeitlich in einem stark besiedelten Ortsteil von Koblach liegt, im “Egatha„. Hier verlebte er mit seinem Halbbruder die Kindheit. Streifte über die Kartoffeläcker, sah als Dreikäsehoch mit staunenden Augen das Hochwasser des Rheins, spielte und verirrte sich in den großen Maisfeldern, die damals noch die Landschaft prägten. Seine Biografie hat etwas vom amerikanischen Traum, zumal Bietti jener Mann ist, der Mitte der 90er-Jahre das Unternehmen Apple hierzulande bekannt gemacht hat, und das zu einer Zeit, als Apple unmittelbar vor dem Aus stand, was heute kaum mehr jemand weiß. Seine beeindruckende und auch berührende Lebensgeschichte ist die eines Gastarbeiterkindes, das, obwohl hier zur Welt gekommen, in der Schule noch Hänseleien ausgesetzt war, sich oft für seine Herkunft schämte, obwohl es nicht wusste, weshalb. Vielleicht hat er gerade deshalb einen so unbändigen Willen entwickelt, es später einmal allen zu zeigen. Er ist ein brillanter und hochanerkannter Geschäftsmann in seinem Metier geworden. Und von einer ausgesuchten Höflichkeit, die, wie so oft, die einzige Waffe gegen dumpfe Vorurteile ist.

Robert Schneider: Dein Vater stammt aus Caravaggio in der Nähe von Bergamo
Emilio Bietti: Ja, wo der berühmte Maler herkommt. Ein kleines Nest wie Koblach.

Schneider: Wie haben sich Deine Eltern kennengelernt? Deine Mutter ist Koblacherin.
Bietti: Mein Papa, der vor zehn Jahren gestorben ist, hat in Italien eine Art HTL gemacht, stammte aber aus ganz einfachen Verhältnissen. Er war Spezialist für Brückenpfeiler-Verschalungen. Durch seine Kollegen erfuhr er, dass es in der Schweiz gut bezahlte Arbeit gab. Das war so Mitte der 60er-Jahre. Da wurde gerade die Rheinbrücke von Montlingen nach Koblach gebaut. Dort fand er Arbeit und sah jeden Tag eine junge Frau mit dem Fahrrad von Koblach in die Schweiz zur Arbeit radeln. Weil die Brücke noch im Bau war, half er ihr, das Fahrrad hinüberzutragen

Schneider: Da war’s wohl um sie geschehen? Italiener. Fesch.
Bietti: Vermutlich.

Schneider: Das gab bestimmt ein Gerede im Dorf.
Bietti: Ja, weil die Mama schon ein lediges Kind hatte, meinen Halbbruder. Und jetzt noch dieser Italiener! Da sagten sie alle: Der bleibt nicht, wirst schon sehen. Wenn die Brücke fertig ist, ist der weg. Sie blieben 45 Jahre lang verheiratet.

Schneider: Hat man Dich das in der Schule spüren lassen?
Bietti: In der Volksschule noch nicht. Erst in der Hauptschule hieß es dann Spaghettifresser, Itaker. Interessanterweise hat sich das in der Pubertät schlagartig geändert. Den Mädchen gefiel es plötzlich, dass ich italienischer Abstammung bin.

Schneider: Viele Gastarbeiterkinder der ersten Generation haben es in Vorarlberg sehr weit gebracht, so als müssten sie noch emsiger sein als der “ghörigste" Vorarlberger. Wie wichtig war Geld in Deinem Leben?
Bietti: Der finanzielle Aspekt bedeutete für mich immer, ein gesichertes Familienleben leben zu können. Da mein Vater aufgrund seiner Arbeit nur an den Wochenenden zuhause war, bin ich oft mit dem Gedanken ins Bett gegangen: Ich möchte einmal 50.000 Schilling verdienen, es den Eltern schenken, damit wir viel Zeit miteinander verbringen können.

Schneider: Was hast Du für eine Ausbildung?
Bietti: Ich ging in die HAK, habe dann eine kaufmännische Ausbildung gemacht, an der ETH Zürich Vorlesungen besucht, mich in Seminaren auf Einkauf und Materialwirtschaft spezialisiert, mich sehr früh mit Aktien beschäftigt

Schneider: ...was Dich zu einem reichen Mann gemacht hat?
Bietti: Ich habe viel verdient und viel verloren. Unterm Strich habe ich dazugelernt.

Schneider: Apple ist keine Firma, Apple ist eine Religion, heißt es. Wie waren die Anfänge Deiner Missionarstätigkeit in Vorarlberg?
Bietti: Ich habe den Rasen gemäht, das Auto des Chefs gewaschen, Holz gehackt, in der Buchhaltung und in der Montage mitgeholfen. Das war alles in Ordnung, weil ich von meinem Chef Dietmar Amann so viel lernen konnte und ausprobieren. Wir haben damals CAD/CAM-Programme und Hardware verkauft. Eines Tages kam jemand von Apple und fragte, ob wir ihre Computer vertreiben wollen. Warum nicht? Probieren wir es. So fing das an. Weil ich immer gern auf Menschen zugegangen bin, sie auch überzeugen konnte, fiel mir das sehr leicht. Allerdings habe ich auch Nächte lang durchgearbeitet. Besonders später, als ich mit meiner Firma Epos-Computer selbstständig geworden bin. Ich war immer jemand, der unter Druck sehr effektiv werden kann. Das ist mein Überlebensmodus.

Schneider: Geht das auf die Dauer nicht zulasten der Gesundheit oder der seelischen Befindlichkeit?
Bietti: Ich muss von Glück reden, dass mich das Leben vor größeren Katastrophen bewahrt hat. Natürlich gab es Phasen, wo es in der Firma nicht lief, aber ich hatte kein Problem damit, nur noch einen Bruchteil meines Gehalts zu verdienen, weil ich einfach an die Sache geglaubt habe. Ich bin so ein Joseph-Murphy-Mensch, habe alle seine Bücher gelesen, mit Leuchtmarker die wichtigsten Passagen zur positiven Suggestion angestrichen, mir sogar eine persönliche Datenbank mit seinen Zitaten angelegt. Dieses DIN-A4-Blatt habe ich früher jeden Tag, am Morgen, am Mittag und am Abend drei Mal gelesen. Bis vor vier Jahren. Heute ist es mehr die Meditation, die mir Kraft gibt.

Schneider: Womit wir bei der Frage nach dem Glück wären.
Bietti: Ich bin so gestrickt, dass es mir erst gut geht, wenn es den Anderen gut geht, meiner Familie, meinen Mitarbeitern. Ohne das an die große Glocke zu hängen, aber Glück bedeutet für mich, den materiellen Erfolg mit Menschen zu teilen, die nicht auf die Sonnenseite des Lebens gefallen sind. Das ist vielleicht ein alter Reflex aus der Kindheit, als ich weinend in der Ecke saß und mir vornahm, einmal 50.000 Schilling zu verdienen.

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