Prekäre Verhältnisse

„Leiharbeit ist moderne Sklaverei!“

Vorarlberg
12.06.2022 11:55

Leiharbeit ist in Vorarlberger Großbetrieben weit verbreitet. Oft herrschen keine fairen Bedingungen. Eine Betroffene berichtet über jene Missstände, mit denen Leiharbeiter konfrontiert sind.

„Wenn du noch einmal krank wirst, bist du deinen Job los“ - das bekam Klaudia von ihrer Leasingfirma zu hören, als sie jüngst in Krankenstand gehen musste. Die Mittvierzigerin leidet an Arthritis, weil sie ihre 8-Stunden-Schichten ausschließlich im Stehen absolvieren muss. „Mein Fuß war extrem geschwollen. Ich bat also darum, in eine andere Abteilung, wo ich sitzen hätte können, versetzt zu werden.“ Der Schichtleiter verneinte. Die Schmerzen wurden schließlich so stark, dass sie nach Hause musste. Und obwohl Klaudia bereits vor dem Ende ihres Krankenstandes wieder ihre Arbeit aufgenommen hatte, folgte Stunden später der schockierende Anruf der Leasingfirma. Nur mit Hilfe des Betriebsrates konnte sie in der Firma bleiben.

Klaudia traut sich heute gar nicht mehr, in den Krankenstand zu gehen - zu groß ist die Angst, ihren Job und somit einen wichtigen Teil des Familieneinkommens zu verlieren. Seit einigen Monaten nimmt sie regelmäßig Kortison. „Jetzt geht’s wieder halbwegs“, sagt sie. Trotz allem ist Klaudia froh, Arbeit zu haben. Sie kam über eine Bekannte zu der Leasingfirma, die sie weitervermittelte. Nun arbeitet sie bereits seit drei Jahren in dem Betrieb und hofft darauf, fix übernommen zu werden. Doch immer wieder wird sie vertröstet bzw. darauf hingewiesen, dass sie zu oft krank sei.

Wolfgang Fritz, Landesvorsitzender der PRO-GE. (Bild: Helene Furtner kreativ Fotografie)
Wolfgang Fritz, Landesvorsitzender der PRO-GE.
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Leiharbeitskräfte werden oftmals ausgenutzt. Manche Firmen wollen Mitarbeiter, die sie schnell wieder loswerden können. Das ist günstiger, als einen Sozialplan erstellen zu müssen.

Wolfgang Fritz, Landesvorsitzender der PRO-GE

„Das ist eine der häufigsten Ausreden, warum Leiharbeiter nicht übernommen werden“, weiß PRO-GE Landesvorsitzender Wolfgang Fritz. Es gibt Betriebe, in denen über die Hälfte der Beschäftigten Leasingarbeiter sind - gleich ob Ungelernter oder Akademiker.

Das Problem hat System: Ein Großteil der beim AMS ausgeschriebenen Stellen werden nur noch über Leasingfirmen vergeben. Vielen Arbeitssuchenden bleibt gar nichts anderes übrig, als solche Jobs anzunehmen. Dabei geht es in vielen Fällen längst nicht mehr darum, Produktionsspitzen abdecken zu können: „Leiharbeiter werden oftmals ausgenutzt. Solche Firmen wollen Mitarbeiter, die sie schnell wieder loswerden können. Das ist günstiger, als einen Sozialplan erstellen zu müssen und schlägt auch in den Medien weniger auf“, erklärt Fritz. Zusatz: „Leiharbeit ist moderne Sklaverei!“ Unternehmen haben zudem weniger Aufwand, wenn Leasingfirmen das Recruiting übernehmen, teure Stellenanzeigen und personalintensive Mitarbeitersuche fallen weg. „Das Motto lautet ,hire and fire’“, sagt Thomas Grammelhofer, Bundesbranchensekretär in der PRO-GE.

Unternehmen halten sich nicht an die Spielregeln
Eigentlich wären die Beschäftigerfirmen nach dreimonatiger Überlassungsdauer verpflichtet, mindestens 14 Tage vor der Rückstellung eines überlassenen Arbeiters den Leasingfirmen bekannt zu geben, dass sie die Arbeitskraft nicht mehr brauchen. „Leider halten sich nur die wenigsten daran.“ Aus Angst, nicht mehr beschäftigt zu werden, verzichten die betroffenen Leiharbeiter auf Schadenersatz. Für das Stammpersonal erhöht sich übrigens ebenfalls der Druck: „Wer Forderungen stellt, wird darauf hingewiesen, dass schon fünf andere Interessenten vor der Türe stehen“, berichtet Fritz.

Thomas Grammelhofer, Bundesbranchensekretär in der PRO-GE. (Bild: Privat)
Thomas Grammelhofer, Bundesbranchensekretär in der PRO-GE.
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Es gibt Leasingfirmen, die sich weder an kollektivvertragliche noch gesetzliche Bestimmungen halten. Die schlagen am Arbeitsmarkt auf und verschwinden mittels Insolvenz, sobald eine Prüfung stattfindet.

Thomas Grammelhofer, Bundesbranchensekretär in der PRO-GE

Leiharbeiter sind zudem gerade für Vorarlberger Firmen oftmals „billiger“. Hierzulande liegen die Löhne in der Industrie weit über dem Kollektivvertrag. Leiharbeiter bekommen hingegen in Hochlohnbranchen zum KV-Lohn nur einen Referenzzuschlag von maximal 18 Prozent. Trotz des zusätzlichen Deckungsbeitrags für die Leasingfirma kann der Leiharbeiter damit immer noch kostengünstiger sein als Stammpersonal. Damit entgehen Leiharbeitern wiederum wichtige Pensionszahlungen. Weiters haben sie Probleme bei der Wohnungssuche, bei Krediten oder beim Autoleasing, da sie kein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis vorweisen können.

Als ob das nicht schon genug wäre, gibt es bei den Leasingfirmen zudem einige „schwarze Schafe“, die sich weder an kollektivvertragliche noch gesetzliche Bestimmungen halten. „Diese schlagen am Arbeitsmarkt auf und verschwinden mittels Insolvenz, sobald eine Prüfung stattfindet“, weiß Grammelhofer. Deshalb fordert die Gewerkschaft, dass bei Verstößen auch die auftraggebenden Firmen haftbar gemacht werden können.

Außerdem sollte es eine deutlich niedrigere Quote an Leiharbeitern in den Beschäftigerbetrieben geben. Leiharbeiter sollen zudem von den Leasingfirmen nicht über einvernehmliche Vertragsauflösungen in die Arbeitslosigkeit geschickt, sondern über den Sozial- und Weiterbildungsfonds fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden. Klaudia wünscht sich vor allem mehr Fairness: „Wir sind keine Arbeiter zweiter Klasse. Wir sollten die gleichen Rechte haben wie alle anderen!“ 

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