„Schreckliche Waffe“
Russland schürt weiter Angst vor einem Atomangriff
Schon zu Beginn des russischen Angriffskriegs zeigte sich der Kreml entschlossen, ihr Atomwaffenarsenal einzusetzen, sollte man Russlands Sicherheit gefährdet sehen. Aus Sicht von Experten ist das Risiko, dass tatsächlich Atomwaffen abgeworfen werden, so groß wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. In Russland selbst versucht man nun erneut, mit der „schrecklichen Waffe“ für Verunsicherung zu sorgen.
Kerzengerade steigt die Interkontinentalrakete Sarmat aus dem Schacht vom Kosmodrom Plessezk in den russischen Himmel. Hinter sich zieht sie einen langen Feuerschweif. Dazu läuft Action-Musik. Im Hintergrund schwärmt der staatliche Fernsehsender Rossija 24 von einer neuen „schrecklichen Waffe“, dem Stolz der russischen Raketenbauer, einem „verlässlichen Schutz des Landes vor jedwedem äußeren Angriff“.
Russland prahlt mit Atomarsenal
Mit der 40-minütigen Dokumentation, die am Sonntag zum Nationalfeiertag im Staatsfernsehen zu sehen war, betonte die Atommacht nicht nur ihre Unabhängigkeit, sondern zeigte auch ihre nuklearen Massenvernichtungswaffen. Die Sarmat hat eine Reichweite von 18.000 Kilometern und ist mit atomaren Sprengköpfen bestückbar. Damit kann Russland sowohl über den Nord- als auch über den Südpol fast alle Ziele der Welt erreichen.
„Aggressive“ Äußerungen
Die Dokumentation des Filmemachers Alexander Rogatkin erlaubte ungewohnte Einblicke in das Leben der strategischen Raketenstreitkräfte, die im Zuge des Angriffskriegs gegen die Ukraine nun schon dreieinhalb Monate in erhöhter Alarmbereitschaft sind. Kremlchef Wladimir Putin hatte erstmals überhaupt in mehr als 20 Jahren an der Macht einen solchen Befehl erteilt - als Warnung an die NATO, sich nicht einzumischen. Als Grund nannte er „aggressive“ Äußerungen von Führungspersönlichkeiten der Nato-Staaten. Putin sprach von „Selbstverteidigung“.
Putin „zwingt“ zum Nachdenken
Ende April unterstrich er, dass es ihm mit dem möglichen Einsatz von Atomwaffen ernst sei. Demonstrativ ließ er eine Sarmat (NATO-Codename: SS-X-30 Satan 2) testen. „Das ist eine wirklich einzigartige Waffe“, sagte Putin dazu. Es werde auf lange Zeit nichts Ebenbürtiges geben auf der Welt. Die Rakete könne unabhängig von allen internationalen Sanktionen in Serie gehen - und zwinge „jene zum Nachdenken, die im Feuereifer einer abgebrühten, aggressiven Rhetorik versuchen, unser Land zu bedrohen“.
Westen versucht Wogen zu glätten
Die USA reagierten irritiert auf die Wortwahl, aber ansonsten gelassen - wie der Rest der NATO. Man will den Russen keinen Vorwand geben, die Stimmung noch mehr aufzuheizen. Beim Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri wird indes mit Blick auf den Ukraine-Krieg ein erhöhtes Risiko für den Einsatz von Atomwaffen gesehen. Diese Gefahr besteht demnach weniger im Gebrauch solcher Waffen in der Ukraine, sondern vielmehr darin, dass sich der Krieg in eine Konfrontation zwischen Russland und NATO ausweiten könnte.
Das Risiko einer nuklearen Konfrontation habe sich durch die Spannungen zwischen Russland und der NATO erhöht, sagte Sipri-Experte Hans M. Kristensen. Hinzu kommen Konflikte anderswo auf der Welt. „Es ist also angemessen zu sagen, dass wir uns im Moment in einem sehr prekären Zustand befinden.“ Eine indirekte Folge des Kriegs sei die Erkenntnis der Russen, dass ihre konventionellen Streitkräfte nicht so gut seien wie gedacht. Deshalb dürfte sich Russland wahrscheinlich künftig stärker auf taktische Atomwaffen verlassen.
Lawrow: Gefahr von Atomkrieg ist „real“
Wie aus dem neuen Sipri-Jahresbericht hervorgeht, verfügen Russland (5977) und die USA (5428) nach wie vor über rund 90 Prozent aller Atomsprengköpfe in der Welt. Notwendig sei nun vor allem eine Entspannung der nuklearen Rhetorik, sagte Kristensen.
Auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete die Gefahr eines Atomkriegs als real. Dabei betont Russland stets, dass es - anders als die USA - in seiner Militärdoktrin kein Erstschlagrecht verankert habe. Aber das Vertrauen ist seit dem Einmarsch in die Ukraine zerstört.
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