Extrem konspirativ
Die einsame Welt von Anders Behring Breivik
Breivik nutzte für seine Tarnung bewusst auch manipulative Methoden, auch wenn ihm diese laut eigenen Angaben verhasst waren: "Die beschriebenen Methoden sind alle zynisch und manipulativ, aber dafür auch sehr effektiv. Das Belügen und Beeinflussen von anderen Menschen ist generell böse und sollte - soweit möglich - vermieden werden. Für die Sicherheit unserer Operation müssen wir aber oft zynisch, manipulativ und pragmatisch sein. Wir müssen es nicht mögen, aber es bleibt uns einfach keine andere Wahl."
Der Schmäh mit "World of Warcraft"
Besonders effektiv zur Rechtfertigung eines abgeschiedenen Lebens sei es, so schreibt "Berwick", wenn man vortäuscht, eine Sucht auf das Online-Rollenspiel "World of Warcraft" entwickelt zu haben. "Sage ihnen (deinen vertrauten Menschen, Anm.), dass du für den Rest des Jahres mit diesem Spiel beschäftigt sein wirst und es auch keine Möglichkeit gibt, dich davon abzuhalten."
Die "menschliche Schwäche" des Mitgefühls sollte dabei bewusst ausgenutzt werden: "Sag ihnen, dass du dich für deine Spielsucht schämst, aber nicht mehr weiter darüber reden willst. Bringe sie dazu, darauf zu schwören, dein 'Geheimnis' niemandem zu verraten. Dadurch verhinderst du weitere Fragen UND bringst sie dazu, deine Tarnung gegenüber anderen nicht auffliegen zu lassen!"
Die frisch entdeckte homosexuelle Neigung
Generell seien gesellschaftliche Tabus laut dem Autor ideal, um die Menschen in der eigenen Umgebung zu manipulieren und für die eigenen Zwecke zu nutzen. "Sage ihnen, dass du gemerkt hast, dass du in Wirklichkeit homosexuell bist und gerade einen Prozess durchmachst, wo du dein 'Neues Ich' entdecken musst. Das hält lästige Fragen von dir fern und verhindert zudem, dass die Menschen zu sehr in deinem Privatleben herumschnüffeln."
Aber auch einige kurzfristig notwendige "Alibis" hatte "Berwick" auf Lager: "Wenn du eine glaubwürdige Tarnung für deine Aktivitäten brauchst und dir deine 'Opfer' einen geschäftlichen Termin nicht abnehmen würden, dann sage ihnen, dass du für ein Wochenende in einen Massagesalon oder ein Bordell im Ausland fährst. Auch hier solltest du zusätzlich erklären, dass du dich dafür schämst und eigentlich nicht darüber reden willst."
"Verhalte dich politisch korrekt, kleide dich normal"
Würden solche Methoden auch einige soziale Auffälligkeiten verdecken, so ist es laut dem Autor allerdings absolut unabdingbar, im Auftreten nach außen so unauffällig wie möglich zu sein. "Verhalte dich politisch korrekt oder zumindest gemäßigt, kleide dich normal", rät er seinen Lesern. Die wahren Überzeugungen sollte man weder durch Kleidung noch durch seine Wortwahl veraten: "Vermeide exzessive Aktivitäten in Internet-Foren, dadurch könntest du gegenüber den Behörden auffällig werden."
Entsprechend durchgeplant war auch das soziale Leben von "Andrew Berwick" alias Anders Behring Breivik, zumindest wenn man den Tagebucheintragungen glauben mag. In einem Prolog beschreibt der Autor vier seiner engsten Freunde - Marius, Axel, Martin und Peter - näher. Bei aller Zuneigung, die er teilweise für sie entwickelt, bleibt er aber dennoch vorsichtig und beschreibt, dass er selbst diesen Vertrauten nur "sehr gezielt Information" weitergeben könne, um sein Projekt nicht zu gefährden.
Recherche zu "Blut-Diamanten" als Tarnung
Die Beziehungen sind sehr sachlich gehalten, wirkliche Nähe kann man aus den Beschreibungen nicht herauslesen. Bei Peter, einem mit seinen Eltern aus Ungarn geflüchteten Schulfreund, könne der Autor etwa "nicht riskieren, meine wahren Absichten zu offenbaren. Dies könnte ihm oder mir in der Zukunft schaden". Das bereits in Teil eins der Zusammenfassung erwähnte Tempelritter-Treffen verschleiert "Berwick" ihm gegenüber etwa als groß angelegte Recherche über Schmuggelrouten von "Blut-Diamanten", weshalb eine Reise nach Libyen und London (wo das geheime Treffen stattfand, Anm.) nötig sei.
Besonders problematisch sei Peters Einstellung zur "multikulturellen Gesellschaft". Der Autor meint, dass dies in seiner ungarischen Herkunft begründet liege. Diese schüre nämlich bei ihm die Angst, dass ein "Regimewechsel in unserem Sinne" seinen Aufenthaltsstatus gefährden könnte. Auch die Versicherung, dass er als "christlicher Europäer nichts zu befürchten habe, konnte ihn allerdings nicht überzeugen". Ein anderer Kumpel von "Berwick", Marius, laut Eintrag der älteste Freund des Autors, lebt nur fünf Minuten entfernt und ist von Beruf Feuerwehrmann. "Ziemlich ironisch, dass ich schon bald sicherstellen werde, dass er genügend zu arbeiten haben wird", fügt der Autor lakonisch hinzu.
Geliebte Stiefmutter als "Kategorie-B-Verräterin"
Besonders deutlich, wie berechnend Breivik auf die Menschen in seiner Umgebung zuging, zeigt auch das beschriebene Verhältnis zu seiner Stiefmutter Tove, zu der er eine sehr liebevolle Beziehung unterhält. Beruflich sei sie jedoch für die Vergabe von Aufenthaltsgenehmigungen in Norwegen zuständig gewesen und daher eine "Kategorie-B-Verräterin", merkt der Autor an. Er könne es daher verstehen, "wenn sie im Zuge einer Tempelritter-Operation exekutiert werden müsse".
Einen ganz speziellen Zugang hat er zudem zum Weihnachtsfest 2010: Da "Andrew Berwick" klar ist, dass seine "Märtyrer-Operation" nun immer näher rückt, bringt er eine von drei für spezielle Anlässe aufgehobenen Flaschen alten Weins zur Familienfeier, um sie mit seinen Liebsten zu genießen. Mit seinem Freund Marius gönnt er sich ein paar Tage später ebenfalls den edlen Tropfen, ehe er über die Verwendung der letzten Flasche nachzudenken beginnt.
Letzte Feier vor der Operation mit "Luxus-Prostituierten"
"Eigentlich dachte ich mir, dass ich mir den Wein für die letzte Feier vor der Ausführung der 'Märtyrer-Mission' aufheben würde. Gemeinsam mit zwei extra organisierten Luxus-Prostituierten könnte ich dann dieses edle Getränk genießen." Dies scheint aber bei "Berwick" doch auch moralische Bedenken hervorgerufen zu haben, auch wenn er diese schließlich zurückweist.
"Meine Interpretation eines 'Perfekten Tempelritters' beinhaltet nicht unbedingt ein zölibatäres Leben, auch wenn mir da einige Brüder wohl nicht zustimmen würden. Ich glaube, dass es zur Stärkung der Entschlossenheit, der Moral und der Motivation vor solch einer heiklen Mission durchaus erlaubt ist, ein eigenes Belohnungssystem zu entwickeln, um sich besser auf die Sache konzentrieren zu können und letzte Zweifel zu beseitigen."
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