"Während die Skandinavier dem rassistisch motivierten Terror in ihrem Land mit einer Offensive demokratischer Tugenden begegnen wollen, plant die Regierung in Wien, dem Drängen der Innenministerin (der ÖVP-Politikerin Johanna Mikl-Leitner) nachzugeben und mit verschärften Anti-Terror-Gesetzen einen Schritt vorwärts auf dem Weg zum Spitzelstaat zu setzen. Auch das könnte man eine 'Vienna-Denkschule' nennen", heißt es am Donnerstag in einer Analyse der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit", in der der norwegische Attentäter mit "Bombenhirn" Franz Fuchs verglichen wird.
Kritik an Regierung ebbt nicht ab
Neben den Oppositionsparteien BZÖ und Grünen sprachen auch Bundespräsident Heinz Fischer (siehe Infobox) und heimische NGOs in Zusammenhang mit der Debatte von einer Themenverfehlung der Regierung. "Mit dem einem Automatismus gleichenden Ruf nach mehr Überwachung missachten sie im Gegensatz zu ihren norwegischen Kollegen, dass gerade nach solch einer Tragödie die gesellschaftlichen Werte der Offenheit und des Respekts hochgehalten werden müssen", meinte etwa der Uni-Professor Josef Weidenholzer, Präsident der Volkshilfe.
"Es ist beschämend mit anzusehen, wie sich die österreichische Regierung um die richtigen Worte und Maßnahmen herumdrückt. Denn es braucht weit mehr als das von Faymann und Spindelegger geforderte Abrüsten der Worte, es braucht ein Aufrüsten des Bekenntnisses zu einer offenen und durchlässigen Gesellschaft, die gleiche Chancen für alle bietet", erklärte Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch. Das BZÖ forderte die Regierung zwar dazu auf, mehr in Sachen Cyberkriminalität zu tun, erklärte die existierenden Gesetze inklusive der Vorratsdatenspeicherung, mit der die Behörden schon ab April 2012 über die Möglichkeit zum "illegitimen Eingriff in die Freiheitsrechte" verfügen würden, für vollkommen ausreichend.
BVT-Chef möchte Gefahr eines jeden erforschen dürfen
Der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung konkretisierte indes seine Forderungen: Es gehe den Ermittlern vor allem um die Möglichkeit, Informationen zu speichern und zu verknüpfen. Man wolle Gefahren frühzeitig erkennen und abwehren, nach der derzeitigen Rechtslage sei dies aber schwierig, behauptet Peter Gridling. Das Sicherheitspolizeigesetz knüpfe nämlich an "konkrete Gefahren" an, die Behörden könnten also nur in so einem Fall tätig werden - zumindest bei Einzelpersonen.
Für Gruppen ab drei Personen gibt es hingegen die Möglichkeit der "erweiterten Gefahrenforschung": Diese erlaubt den Behörden, in einem frühen Stadium Ermittlungen zu beginnen, wenn Trends oder Entwicklungen in oder im Umfeld einer Organisation ausgemacht werden, die zukünftige schwere Gefahren bergen. Dazu muss die Polizei einen Antrag an den Rechtsschutzbeauftragten stellen - die Ermittlungen dürfen nur bei Genehmigung beginnen.
Auf die erweiterte Gefahrenforschung berief man sich teilweise auch bei den Ermittlungen vor dem Wiener Neustädter Tierschützerprozess. Der Prozess gegen 13 Aktivisten wegen Bildung einer kriminellen Organisation (durch den sogenannten Mafia-Paragrafen) endete Anfang Mai allerdings mit Freisprüchen für alle Angeklagten und damit mit einer schallenden Ohrfeige für die Staatsanwaltschaft und die Dutzenden Beamten, die monatelang gegen die Aktivisten ermittelten.
Bald Akten voll mit Internetpostings?
Gridling führt ein anderes Beispiel zur derzeitigen Rechtslage an: Die Behörden eines anderen Staates berichten ihren österreichischen Kollegen von einer Versammlung Radikaler in ihrem Land, darunter eine Gruppe von Personen, die mit einem österreichischen Kennzeichen angereist ist - dieses wird übermittelt. Da keine Straftat oder konkrete Gefahr vorliegt, seien entsprechende Ermittlungen aber nicht möglich, erklärt Gridling. Weder dürfe die Information im heimischen sicherheitspolizeilichen Datenbestand gespeichert noch der Fahrzeugbesitzer ermittelt werden.
Gibt es in Österreich beispielsweise einen Hinweis auf die Radikalität der Person, die keiner Gruppe zugehörig ist und auch nach dem Sicherheitspolizeigesetz nicht gefährlich, aber radikal im Internet postet, dürften die Behörden derzeit diese Postings ebenfalls nicht speichern – zumindest nicht legal und eventuell noch mit IP-Adresse und Co. sowie abgefragten Personendaten.
Die Behörden wollen nun dort, wo sie "schwache Hinweise" auf das Gefahrenpotenzial einer Person erhalten, die Informationen zum Zweck einer Gefahrenprognose zumindest eine gewisse Zeit evident halten, erklärte Gridling. Die "erweiterte Gefahrenforschung" solle deshalb auch für Einzelpersonen ermöglicht werden, ebenfalls über den Rechtsschutzbeauftragten. Es sei auch eine Speicherfrist für die Daten möglich, zum Beispiel von einem Jahr, so der BVT-Chef.
Dass der Vorstoß von seiner Seite als Reaktion auf die Anschläge in Norwegen kommt, bestreitet Gridling übrigens. Das Anti-Terror-Paket sei ja bereits nach den Festnahmen von vier Terrorverdächtigen am Flughafen Wien-Schwechat im Juni auf den Tisch gelegt worden. Drei der vier Verhafteten mussten übrigens wieder freigelassen werden.
EU will neue Bestimmungen bei Chemikalien-Verkauf
Auf EU-Ebene ist man derweil in Sachen Norwegen-Konsequenzen ebenfalls nicht untätig. Bei einer Sondersitzung wird am Donnerstag die EU-Arbeitsgruppe zum Thema Terrorismus von norwegischen Experten und Ermittlern einen Bericht über die Attentate erhalten. Bereits vor zwei Tagen hatte die Kommission die Länder aufgefordert, Extremisten stärker zu überwachen.
Und die EU will auch rasche Verschärfungen der Bestimmungen zum Verkauf von Waffen und Alltags-Chemikalien, die zum Bombenbau genutzt werden können. Wegen Uneinigkeit unter den EU-Staaten konnte bisher kein Beschluss gefasst werden, angesichts der tragischen Ereignisse in Norwegen hofft die Kommission nun auf eine schnellstmögliche Annahme der Vorschläge.
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