„Wir wollen den begonnenen Weg der Annäherung und den konstruktiven Dialog fortsetzen.“ Dieses Fazit zog Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in der Nacht auf Donnerstag nach seinem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Rande des NATO-Gipfels in Madrid. Die Türkei sei auch in Sicherheitsfragen und beim Thema illegale Migration ein wichtiger Partner, meinte Nehammer und erwähnte die „Millionen von Flüchtlingen, die sich derzeit in der Türkei aufhalten“.
Es sei bei dem Gespräch „keine Verstimmung spürbar“ gewesen, analysierte Nehammer im Nachhinein das Treffen, dem eine lange Eiszeit in den bilateralen Beziehungen zwischen Wien und Ankara vorangegangen war. „Es war ein Austausch von Standpunkten“, so der Kanzler, der vom „Interesse an unterschiedlichen Positionen“ geprägt gewesen sei. Dabei seien auch eher schwierige Themen angesprochen worden, wie das Verhältnis Erdogans zu „Türken, die ihren Lebensmittelpunkt in Österreich gefunden haben“.
Das Meeting mit Erdogan sah Nehammer aber als „Beginn eines entspannteren Verhältnisses“ mit dem autokratischen Präsidenten der Türkei, berichtete die APA in der Nacht. Das könne auch dazu führen, dass die Türkei künftig nicht mehr die militärische Zusammenarbeit mit Österreich in der Partnerschaft für den Frieden (PfP) blockiere.
Keine Annäherung an EU
Bezüglich ihrer potenziellen EU-Annäherung habe die Türkei eine realistische Sicht, dass es dazu nicht kommen werde, meinte Nehammer sinngemäß, doch sei sich das Land seiner geostrategischen Position bewusst. Bezüglich des Kriegs in der Ukraine müsse das Potenzial der Türkei genutzt werden, um die „grünen Korridore“ zum Export von Getreide aus der Ukraine zu ermöglichen, bekräftigte Nehammer. Zudem sollte der „Istanbuler Dialog“ mit Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine fortgesetzt werden, um eventuelle Chancen auf eine Verhandlungslösung zu wahren. Dieser sei aktuell die einzige Plattform, wo die Kriegsparteien Russland und Ukraine tatsächlich miteinander reden würden.
Konkret gehe es vor allem darum, dass mit Unterstützung der Türkei „grüne Korridore“ zum Export von Mais oder Weizen aus der Ukraine geschaffen werden könnten. Es handle sich immerhin um Mengen in der Größenordnung von 90 Millionen Tonnen, die etwa in Afrika dringend benötigt würden, erinnerte Nehammer. So sei die Ukraine bereit, den Hafen von Odessa von Minen zu räumen, um Exporte zu ermöglichen - aber nur, wenn Russland garantiere, dies nicht für eine Eroberung der Hafenstadt am Schwarzen Meer zu nutzen. Die von beiden Seiten als Partnerin akzeptierte Türkei könnte diese Sicherheitsgarantieren überwachen und auch umsetzen.
Vermittler im Russland-Ukraine-Konflikt
Die Türkei ist wie Russland und die Ukraine ein Anrainer des Schwarzen Meeres. Das NATO-Mitglied hat gute Beziehungen zu beiden Staaten und verfolgt bei seiner Vermittlungstätigkeit das Ziel, eine Balance zwischen den russischen und ukrainischen Interessen zu finden. Die Türkei hat den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine in der UNO-Vollversammlung zwar verurteilt, sich den westlichen Sanktionen aber nicht angeschlossen.
Ein NATO-Beitritt Österreichs ist für Nehammer auch nach den Aufnahmeverfahren von Schweden und Finnland weiterhin kein Thema. Zwar gebe es eine neue Qualität der Kooperation neutraler oder bündnisfreier Staaten wie Österreich mit der westlichen Verteidigungsallianz, doch stelle eine Mitgliedschaft „keine Variante des Denkens“ dar, formulierte Nehammer am Mittwoch. Österreich sei und bleibe neutral, aber auch ein „verlässlicher Partner“ in Fragen der Sicherheitspolitik.
Weiters traf der Bundeskanzler am Mittwoch mit Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko und dessen Bruder Wladimir zusammen. Mit dem Bürgermeister stimmte sich Nehammer ab, welche Hilfen die ukrainische Hauptstadt aus Österreich aktuell brauchen könnte. Angesprochen wurde vor allem die Lieferung weiterer Lösch- und Rettungsfahrzeuge.
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