LH Arno Kompatscher:

„Der Rückzug von Platter hat mich sehr überrascht“

Tirol
01.07.2022 19:00

Seit 2014 steht Arno Kompatscher dem Land Südtirol als Landeshauptmann vor. Der Jurist aus Völs am Schlern im „Krone“-Interview über die aktuelle Lage Südtirols, Corona, den Rückzug von Amtskollege Platter, die Europaregion und die schwere Krise seiner Partei, die er überstanden sieht.

Krone“: Herr Landeshauptmann Kompatscher, wie ist es um Südtirol 2022 bestellt?
LH Arno Kompatscher: Südtirol steht gut da. Das wirtschaftliche sowie das gesellschaftliche Leben haben wieder Fahrt aufgenommen. In vielen Bereichen ist das Niveau erreicht, das wir vor der Corona-Pandemie hatten. Heute übersteigt die Nachfrage teilweise das Angebot und in einigen Bereichen fehlen die notwendigen Arbeitskräfte, vom Fachkräftemangel ganz zu schweigen. Wir haben da aber ähnliche Herausforderungen wie andere Wohlstandsregionen in Europa, die in einigen Bereichen durch die Notwendigkeit der Mehrsprachigkeit der Arbeitskräfte etwas verschärft werden. Mit der Rückkehr von Krieg, Inflation und gefährdeter Nahrungsmittelsicherheit nehmen aber leider auch bei uns die Zukunftssorgen vieler Menschen zu.

(Bild: ivo corra` fotografo)

Sie liefern mir das nächste Stichwort: In Südtirol geraten viele Familien und Betriebe in Existenznot! Ist an dieser Aussage etwas dran?
Wie gesagt, die Sorgen und Herausforderungen nehmen aktuell eher zu, als ab. Aber ein überproportionales Betriebssterben ist nicht zu beobachten. Viele Unternehmen haben eher Hochkonjunktur und nicht immer die nötigen Ressourcen, um der Nachfrage gerecht zu werden. Auch die soziale Ungerechtigkeit ist gemessen an den offiziellen Daten in Südtirol niedriger als andernorts. Wir haben ein enges soziales Netz gespannt, aber die Inflation wird für viele Menschen trotzdem zum ernsten Problem. Die Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung zur Abschaffung der kalten Progression sind ein guter Ansatz, der aktuell jedoch nicht im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt. Wir müssen an anderen Punkten ansetzen. Aktuell stehen uns rund 400 Millionen Euro zusätzlich für den Nachtragshaushalt zur Verfügung, um die Menschen und unseren Lebensraum zu stärken. Davon stellen wir beispielsweise für den Bereich Soziales und Wohnbau rund 70 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung und allein rund 27 Millionen Euro für die Ausweitung des Landeskindergeldes.

Ist es lediglich eine Frage von Angebot und Nachfrage oder ist ein Wohnungsmarkt, der leistbares Wohnen ermöglicht, reine Utopie?
Es steht außer Frage, dass sich Preise über das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage bilden. Südtirol ist ein äußerst begehrter und attraktiver Lebensraum und das wirkt sich auf die Immobilienpreise aus. Zahlreiche zahlungskräftige Investoren wollen in Südtiroler Immobilien investieren. Eine große und finanzkräftige Nachfrage steht einem begrenzten Angebot gegenüber, auch wegen der naturräumlichen Einschränkungen, die im Berggebiet herrschen. Dank gesetzlicher Regelungen, die einen geschützten Wohnungsmarkt für Ansässige schaffen, haben Südtirolerinnen und Südtiroler nach wie vor eine realistische Chance auf ein Eigenheim. Aber die Preise in Südtirol sind dennoch vielfach auf einem Niveau, das man sonst aus dem städtischen Bereich kennt. Leistbares Wohnen ist und bleibt somit eine große Herausforderung.

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Die Entscheidungen mussten mit dem Wissen von damals getroffen werden und dementsprechend wurde mit wachsendem Kenntnisstand laufend nachgebessert. Dies war übrigens nicht nur in Südtirol so. Auf der Grundlage der getroffenen Entscheidungen haben wir dann unsere Erfahrungen gesammelt und daraus unsere Lehren gezogen.

LH Arno Kompatscher

Teilen Sie meine Ansicht, auch wenn Corona das tonangebende Thema in der laufenden Legislaturperiode war und ist, dass die Opposition leiser geworden ist?
Corona war sicher ein bestimmendes Thema und wird es in Wellen auch weiterhin bleiben. Aber es gab und gibt auch weiterhin viele andere Themen. So haben wir die ressortübergreifenden Anstrengungen verstärkt, um das Thema der Nachhaltigkeit in den Vordergrund zu rücken. Auch Themen wie die Finanzverhandlungen mit Rom, welche wiederum mit einem Notenwechsel zwischen Rom und Wien abgesichert wurden, die Neuvergabe der Konzessionen im öffentlichen Personennahverkehr, die Verhandlungen zur Zukunft des Brennerkorridors, die Reform des Tourismussektors, Olympia 2026 oder die Überarbeitung des Klimaplans könnte man nennen. Und diese Themen stehen nur stellvertretend für die vielen Herausforderungen, die neben Corona angegangen wurden. Corona hat einmal mehr gezeigt, dass in einer Krisensituation zunächst immer die Exekutive im Vordergrund steht.

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Die Versuche der Manipulation durch eine Gruppe, der leider einige Exponenten meiner Partei angehören, sind ins Leere gelaufen. Gewinner sind die Menschen im Land.

LH Arno Kompatscher

Herr Kompatscher, gibt es auch Fehler, die Sie bereuen bzw. auch Schritte, die Sie im Nachhinein betrachtet – mit dem Wissen von heute – anders gesetzt hätten?
Die Entscheidungen mussten mit dem Wissen von damals getroffen werden und dementsprechend wurde mit wachsendem Kenntnisstand laufend nachgebessert. Dies war übrigens nicht nur in Südtirol so. Auf der Grundlage der getroffenen Entscheidungen haben wir dann unsere Erfahrungen gesammelt und daraus unsere Lehren gezogen. Mit diesem Wissen sind nun weitere Entscheidungen bestmöglich zu treffen.

Hat sich Südtirols Volkspartei von den Wellen, die das Buch „Freunde im Edelweiß“ geschlagen hat, erholt?
Aus dem Buch geht klar hervor, dass meine Landesregierung, die Südtiroler Landesverwaltung und ich in meiner Rolle als Landeshauptmann allen Beeinflussungs- und Erpressungsversuchen standgehalten haben. Zu diesem Schluss sind nicht nur die Autoren des Buches gekommen, sondern mittlerweile auch die Gerichte. Die Versuche der Manipulation durch eine Gruppe, der leider einige Exponenten meiner Partei angehören, sind ins Leere gelaufen. Gewinner sind die Menschen im Land. Die Aufarbeitung von Fehlverhalten einzelner Parteiexponenten ist Angelegenheit der Partei und es hat ja auch bereits Konsequenzen gegeben.

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Der politische Gestaltungswille von Landeshauptmann Platter ist beeindruckend und er sitzt ja nach wie vor fest im Sattel. Deshalb hat mich seine Entscheidung schon etwas überrascht.

LH Arno Kompatscher

Einige sehen in der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino ein Kokon. Wie kann man die Vorzüge dieses Projekts für das „einfache Volk“ schmackhafter, verständlicher machen?
Die große Mehrheit der Menschen in den drei Landesteilen der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino wünscht sich mehr Euregio. Das wird in Umfragen immer wieder bestätigt und auch die tägliche politische Erfahrung im direkten Kontakt mit den Menschen zeigt das. Wir müssen uns auf der politischen und verwaltungstechnischen Ebene nicht die Frage stellen, wie wir die Menschen von der Idee der Europaregion überzeugen wollen, sondern vielmehr, wie wir den großen Erwartungen in dieses länderübergreifende Projekt gerecht werden können.

Ein Blick über den Brenner: Ihr Tiroler Amtskollege Günther Platter zieht sich aus der Politik zurück. Hat Sie diese Entscheidung überrascht?
Ja. Mit Günther Platter verbindet mich eine persönliche Freundschaft und es ist uns über die Jahre gelungen, auch die Verbindungen zwischen dem Bundesland Tirol und Südtirol enger zu knüpfen. Der politische Gestaltungswille von Landeshauptmann Platter ist beeindruckend und er sitzt ja nach wie vor fest im Sattel. Deshalb hat mich seine Entscheidung schon etwas überrascht. Gleichzeitig kenne ich Günther Platter gut genug, um zu wissen, dass er sich diesen Schritt reiflich überlegt hat. Persönlich hat es mich gefreut, dass er mich vorab informiert hat, ich bedauere den Rückzug aber, denn wir haben es immer wieder geschafft, auch bei schwierigen und kontroversen politischen Themen eine offene, vertrauensvolle und lösungsorientierte Zusammenarbeit zu pflegen. Wir teilen zudem die große Leidenschaft für die gemeinsame Europaregion.

Andreas Raffeiner, Kronen Zeitung

Porträt von Tiroler Krone
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