Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Donnerstagabend erstmals seit Kriegsbeginn in einer Live-Schaltung zu einem österreichischen Publikum gesprochen. „Ich möchte mich bei den Menschen bei Ihnen bedanken, die verstehen, wer an diesem Krieg schuld ist“, sagte Selenskyj beim 4Gamechangers-Festival. Er wandte sich dabei auch an die in der Wiener Marx Halle anwesenden Bundespräsident Alexander Van der Bellen sowie Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP).
Nach jahrzehntelangen Diskussionen über die Frage, wie das Leben in der Zukunft aussehen solle, sprächen nun die Veränderungen erstmals für sich selbst, erläuterte Selenskyj. „Jeder sieht, was dringend zu tun ist“, sagte er und referierte jene Bedrohungen, die Russland für sein Land und die Welt bedeutete. Konkret sprach der ukrainische Präsident von einer drohenden Hungersnot, die ihrerseits einen „Migrationstsunami“ auslösen könnte. Erwähnt wurden aber auch Desinformationskampagnen sowie die von russischen Öl- und Gaslieferungen für Europa.
„Das ukrainische Gamechanging besteht darin, dass wir ihnen die Chance geben, das zu tun, was schon längst hätte gemacht werden sollen“, erklärte Selenskyj in Anspielung auf das Thema des Festivals. Er plädierte dabei für die Stärkung der europäischen Einigkeit, die Unterstützung von Qualitätsmedien sowie die Überwindung der Abhängigkeit von russischen Energieressourcen.
Forderung nach weiteren Strafmaßnahmen
„Ich bin ihrem Staat für die Unterstützung dankbar“, betonte er. Ein gemeinsamer Sieg über Russland sei jedoch ohne Sanktionen unmöglich. Er forderte Österreich auf, das Engagement für ein siebentes EU-Sanktionspaket gegen Russland zu verdoppeln. Die Forderungen seines Landes nach westlichen Waffenlieferungen verteidigte das ukrainische Staatsoberhaupt auf Nachfrage: „Russland möchte keinen Dialog führen und versteht nur die Sprache der Waffen. Wir nutzen diese Waffen nur auf dem Territorium, das Russland besetzen will“, erklärte er.
„Wir in Österreich wissen, dass nicht nur die Freiheit der Ukraine, sondern auch unsere Freiheit verteidigt wird“, erklärte Bundespräsident Van der Bellen daraufhin. Es wäre fahrlässig, einem auf diese Weise angegriffenen Land nicht beizustehen, dies wäre „unterlassene Hilfeleistung“, sagte er.
Van der Bellen: „Normales Leben ermöglichen“
Österreich könne die Ukraine auf medizinischem Gebiet unterstützen, es könnten nichtmilitärische Günter geliefert sowie Flüchtlinge aufgenommen werden, denen ein „normales Leben“ während des Krieges ermöglicht werden solle, erläuterte Van der Bellen. Er erklärte, dass der Krieg in der Ukraine auch für Österreich Anlass sei, darüber nachzudenken, wie man die militärische Ausrüstung verbessern könne. Denn Österreich habe „selbst kaum ein nennenswert ausgerüstetes Bundesheer“.
Österreich hat selbst kaum ein nennenswert ausgerüstetes Bundesheer.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen
Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin warf Van der Bellen abschließend vor, keinen „normalen Krieg“ zu führen. Alles erinnere an die Kolonialkriege des 19. Jahrhunderts. „Er will das russische Imperium unter Einbeziehung der Ukraine neu errichten und verkennt, dass sich die Ukraine in den letzten 20 Jahren vollkommen verändert hat und sich wünscht, der EU eines Tages beizutreten“, erläuterte er.
Nehammer: „Gewöhnungseffekt des Schreckens“
Der Auftritt des Präsidenten zeige, dass er mit Leidenschaft für sein Heimatland kämpfe, kommentierte nach dem Ende der Zuschaltung von Selenskyj Bundeskanzler Nehammer. Er erinnerte emotional an ein Telefonat kurz nach Kriegsbeginn: „Ich weiß nicht, wie lange ich noch am Leben bin“, habe ihm Selenskyj damals gesagt. Nun gehe es darum, dass man immer wieder den Fokus darauf richte, welches Leid in der Ukraine stattfinde. Denn nach über 100 Tagen Krieg sei ein „Gewöhnungseffekt des Schreckens“ entstanden, so Nehammer.
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