"Habe ihm verziehen"

Bahrami verzichtet auf Blendung von Säure-Peiniger

Ausland
01.08.2011 10:12
Die durch einen hinterhältigen Säureangriff erblindete und seitdem entstellte Iranerin Ameneh Bahrami erspart ihrem Peiniger dasselbe Schicksal: Nach Angaben der iranischen Nachrichenagentur ISNA und ihres Münchner Verlags verzichtete die 32-Jährige quasi in letzter Minute auf die Vollstreckung des Urteils, wonach sie Majid Mowahedi als Vergeltung für seine Tat Säure in die Augen tropfen hätte dürfen. Er wäre dann wie sie erblindet.

Eine Eskorte hatte Bahrami und ihre Familie Sonntag früh ins Krankenhaus gebracht, wie die 32-Jährige ihrem Münchner mvg Verlag, in dem ihr Buch "Auge um Auge" erschienen ist, per Telefon erzählte. Als Majid Mowahedi, der im iranischen Staatsfernsehen versichert hatte, er bereue seine "schreckliche Tat zutiefst", sie sah, habe er sie beschimpft: "Du fette Kuh, du alte Jungfer", habe er gerufen. Er habe geweint. Das war auch auf Fernsehbildern zu sehen.

"Zwischen dir und mir gibt es keinen Unterschied. Du wirst büßen für das, was du tust", versuchte er verzweifelt, sie von ihrer gerichtlich erlaubten Vergeltungsaktion abzubringen. Darauf habe sie gesagt: "Erst wirst du büßen und dann ich." Mit einer Pipette hätte die 32-Jährige ihrem Peiniger, der sie im Jahr 2004 mit Schwefelsäure so furchtbar verletzt und entstellt hatte, Säure in beide Augen träufeln sollen. Doch sie stoppte die Aktion.

"Bitte heirate mich. Ich möchte für immer dein Diener sein" 
Als sie sah, dass Mowahedi die Betäubung bekommen sollte, teilte sie dem Teheraner Oberstaatsanwalt Abbas Jafar Dolatabadi mit, dass sie auf das Urteil verzichtet. "Daraufhin kamen alle Ärzte und Schwestern und haben mich umarmt und geküsst und mir für meine Großzügigkeit gedankt", so Bahrami. Auch ihr Peiniger: Mowahedi sei aufgesprungen und habe ihre Füße und Hände geküsst und geweint. Dann habe er gesagt: "Bitte heirate mich. Ich möchte für immer dein Diener sein." Bahrami habe gelacht und gesagt: "Mach daraus keine Komödie. Ich werde dich niemals heiraten. Ich habe nicht deinetwegen verzichtet, sondern meinetwegen."

Der Nachrichtenagentur ISNA sagte sie später, dass sie ihrem Peiniger verziehen habe. "Ich habe dies aus diversen Gründen getan: wegen Gott, für mein Land und für mich selbst." Außerdem habe ihre Familie diese Rache nicht gewollt, und sie "möchte, dass meine Familie in Frieden leben kann". "Ich habe sieben Jahre dafür gekämpft, dass diese 'Auge um Auge'-Bestrafung ausgeführt wird, aber ich fühle mich jetzt befreit, dass es nicht geschehen ist", sagte Bahrami den Angaben nach.

Der Iran begrüßte den Verzicht auf den Racheakt. "Das war in der Tat sehr tapfer von ihr", sagte Oberstaatsanwalt Dolatabadi. Im Iran werden die islamischen Gesetze von der Justiz zwar umgesetzt - auch die "Auge um Auge"-Bestrafung. Die Regierung ist sich der politischen Konsequenzen solch barbarischer Vollstreckungen und der damit verbundenen Isolierung aber sehr wohl bewusst. Obwohl Bahrami dies dementiert, lässt sich nicht ausschließen, dass doch die Justiz die Frau zu dem Verzicht drängte.

Selbst ihr Anwalt wusste nichts von ihrer Entscheidung
Die Wende kam nämlich sehr, fast schon zu überraschend - selbst für Bahramis Anwalt. Vor wenigen Monaten hatte sich die 32-Jährige noch überzeugt gezeigt, das Urteil vollstrecken zu wollen, jemand hätte ihr nur die Hand führen müssen. "Es muss sein, nicht nur meinetwegen, sondern auch um solchen grausamen Aktionen ein Ende zu setzen, damit andere Frauen nicht das gleiche Schicksal erleiden wie ich", so Bahrami damals. 

Nun erzählte Bahrami dem mvg Verlag, dass sie sich schon sehr lange, schon vor sieben Jahren, entschieden hätte, die Vollstreckung nicht durchzuführen. Bahramis Anwalt erklärte hingegen, dass er weder etwas über die für Sonntag geplant gewesene Urteilsvollstreckung noch die Entscheidung seiner Mandantin gewusst habe. "Ich weiß von nichts, denn Ameneh wollte unbedingt die Vollstreckung des Urteils und hatte für einen Verzicht bestimmte Bedingungen", sagte Ali Sarafi der ISNA, ohne auf diese Bedingungen einzugehen.

"Wurde nicht unter Druck gesetzt, habe kein Geld bekommen"
Bahrami sagte, sie sei von iranischer Seite nicht unter Druck gesetzt worden und habe auch kein Geld bekommen. Mit der Forderung nach zwei Millionen Euro, die sie im Mai gestellt hatte, als die Vollstreckung des Urteils von iranischer Seite verschoben worden war (siehe auch Infobox), habe sie die Menschenrechtsorganisationen bloßstellen und den Beweis antreten wollen, dass sie im konkreten Fall keine Hilfe leisten würden.

Jedoch solle der iranische Staat sie nun bei der medizinischen Behandlung finanziell unterstützen. Die junge Frau, die seit dem Angriff im Jahr 2004 Dutzende Male operiert werden musste und in Spanien lebt, wo sie auch medizinisch versorgt wird, verlange eine Entschädigung für das Leid, das Mowahedi seiner ehemaligen Mitstudentin wegen eines zurückgewiesenen Heiratsantrages zugefügt hatte. Derzeit lebt Bahrami nach Angaben des mvg Verlags von Buchverkäufen und von Geld, das sie für Interviews bekommt.

Mowahedi kommt erst frei, wenn er bezahlt
Langjährige Beobachter des Falls nehmen an, dass sich Bahrami vor allem wegen ihrer hohen Behandlungskosten im Ausland nun doch für den Schadenersatz entschieden hat. Allein die Summe für die bisherige Behandlung und mehrere Operationen beläuft sich nach ihren Angaben auf 150.000 Euro. Oberstaatsanwalt Dolatabadi hat bereits klargestellt, dass der Verzicht dem Peiniger Majid Mowahedi zwar die Augen rettet, er aber erst freikomme, wenn er bezahlt.

"Zwei Millionen Euro haben der Mann und seine Familie ja kaum, aber eine ziemlich hohe Summe müssten sie schon bezahlen", sagte ein Anwalt in Teheran, der den Fall seit Längerem verfolgt. Es bleibt die Frage, ob die Summe für die weitere medizinische Behandlung der Frau ausreicht. Bahrami leidet noch immer unter den Folgen der Attacke: Die Haut ihres Gesichts ist narbig und gespannt. Ihr rechtes Auge ist aus Glas, das linke von einem Hautstück überwachsen. Die Ärzte haben praktisch keine Hoffnung, dass sie jemals wieder sehen kann.

Ein Schönheitschirurg in Teheran sagte, Bahrami benötige mindestens fünf weitere Operationen, um nicht mehr entstellt auszusehen. Hinzu kämen weitere komplizierte Eingriffe, um zumindest das eine Auge zu retten. "Das könnten definitiv weder die Frau noch der Attentäter so einfach aus eigener Tasche bezahlen, da bräuchte sie Hilfe vom Staat", so der Chirurg.

Blutracheurteil vor Gericht erstritten
Bahramis Peiniger, den sie bis zu dem hinterhältigen Säureattentat kaum gekannt hatte, wie sie sagt, bleibt vorerst weiter im Gefängnis. Er war nach der Tat zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. In einem beispiellosen Gerichtsverfahren erstritt sich Bahrami im Jahr 2008 zudem das Blutracheurteil, welches ihr nach islamischem Recht zugestanden hätte, ihren Peiniger mit Säure zu blenden – obwohl eine Frau im Iran nur halb so viel wert ist wie ein Mann. Die Scharia nennt das Recht "Qisas" - es ist das alte "Auge um Auge, Zahn um Zahn"- Prinzip.

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