Trotz scharfer Kritik

Johnson in Bedrängnis: „Ich trete nicht zurück!“

Ausland
06.07.2022 22:05

Trotz scharfer Kritik und etwa drei Dutzend Rücktritten von Parteifreunden, darunter 14 Minister, will der britische Premier Boris Johnson im Amt bleiben. „Ich werde nicht zurücktreten“, so Johnson bei einer Befragung in einem Parlamentsausschuss. Er wolle nicht über seine Person, sondern über seine politische Agenda sprechen. Ausgelöst hatte die Regierungskrise eine Affäre um Vorwürfe sexueller Übergriffe durch ein führendes Fraktionsmitglied.

Die Amtszeit von Boris Johnson als Premierminister von Großbritannien ist länger als bei den meisten seiner Vorgänger. Geprägt ist sie von zahlreichen Skandalen.

Dubiose Geldflüsse
Im April 2021 geriet Johnson wegen der luxuriösen Renovierung der Wohnung, die er mit seiner Familie in der Downing Street 11 bewohnt, unter Druck. Der Premier versicherte, er habe für die Arbeiten „persönlich“ bezahlt. Später stellte sich aber heraus, dass die Renovierung maßgeblich mit Mitteln aus einer Privatspende an seine konservative Partei, die Tories, bezahlt worden war. Da die Spende nicht ordnungsgemäß deklariert worden war, wurde Johnsons Partei mit einer Geldstrafe belegt. Ähnlich unklar war die Finanzierung eines Luxusurlaubs, der von einem Geschäftsmann und Spender der Konservativen Partei bezahlt worden war.

Im Dezember 2021 musste der konservative Abgeordnete Owen Paterson wegen einer Lobbyismus-Affäre zurücktreten. Johnson hatte sich Anfang November in die Affäre eingeschaltet und versucht, ein Disziplinarverfahren gegen den Tory-Politiker zu stoppen – musste dann aber angesichts der Empörung in den eigenen Reihen einen Rückzieher machen.

Johnsons Corona-Politik stand von Anfang an in der Kritik, gipfelte jedoch in der Partygate-Affäre. Der Regierungschef soll während Lockdowns Partys im Regierungssitz gefeiert haben.

Der Vorwurf der sexuellen Belästigung durch den stellvertretenden parlamentarischen Geschäftsführer der Tories, Chris Pincher, brachte das Fass zum Überlaufen. Johnson soll davon gewusst und ihn trotzdem befördert haben.

Muss der umstrittene Regierungschef gehen? (Bild: AP)
Muss der umstrittene Regierungschef gehen?
Johnson musste sich im Parlament unangenehmen Fragen stellen. (Bild: APA/AFP/UK PARLIAMENT/JESSICA TAYLOR)
Johnson musste sich im Parlament unangenehmen Fragen stellen.

Gleich 28 Rücktritte 
Nachdem bereits zuvor zwei Minister aus dem Kabinett zurückgetreten waren, folgte am Mittwoch eine regelrechte Welle an Rücktritten. Der Sender Sky News berichtet von insgesamt 28. Laut BBC sind darunter 14 Minister - ein neuer Rekord für einen einzigen Tag. Es wurden Zweifel laut, ob es Johnson gelingen kann, die frei gewordenen Posten zu besetzen.

Johnsons Tage als Premierminister scheinen gezählt. Nicht nur die Opposition, auch mehrere Abgeordnete seiner Partei sowie konservative Medien fordern seinen Rücktritt. Die Stimmung auf den Bänken der Konservativen im Unterhaus - normalerweise wird der Premier dort mit lautstarken „Yeah, Yeah, Yeah“-Rufen angefeuert - war eisig. Teilweise herrschte Grabesstille. Im Parlament zeigte sich der Regierungschef am Mittwoch jedoch kämpferisch und kündigte an, weiterzumachen. „Ich werde nicht zurücktreten“, sagte er.

Video: Premier Boris Johnson verliert immer mehr an Rückhalt

Sollte Johnson nicht freiwillig gehen, wollen ihn seine Kritiker aus dem Amt zwingen. Spekulationen über eine dazu notwendige Änderung der Tory-Parteiregeln zur Abwahl des Parteichefs bewahrheiteten sich nach einem Treffen des zuständigen 1922-Komitees zunächst nicht. Doch das könnte sich am kommenden Montag ändern, wenn der Vorstand des Gremiums neu gewählt wird.

Premier droht mit Neuwahlen
Früher oder später muss Johnson wohl mit einem Misstrauensvotum gegen sich rechnen. Dazu müssten genügend konservative Abgeordnete jene Regeln aufheben, die eine Vertrauensabstimmung für ein Jahr ausschließen. Johnson hatte erst vor Kurzem ein solches Votum knapp überstanden. Für den Fall einer Revolte drohte Johnson vor einem Parlamentsausschuss mit Neuwahlen.

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