Biologen entsetzt

TikTok-„Froscharmee“ schürt Angst vor Artensterben

Web
11.07.2022 16:10

Das soziale Medium TikTok hat schon mit vielen schrägen Auftritten und gefährlichen „Challenges“ für Kopfschütteln gesorgt. Nun führt das Treiben zweier Nutzer zu Entsetzen bei Biologen. Sie züchten im großen Stil Tiere, um diese in die Natur zu entlassen. Ein User will die „größte Froscharmee der Geschichte“ aufbauen, ein anderer Millionen Marienkäfer freisetzen. Experten warnen aber vor dramatischen Folgen.

Bereits seit Februar arbeitet der junge TikTok-Nutzer, der aus Großbritannien stammen soll, an seiner „Froscharmee“. Videos zeigen ihn, wie er massenhaft Froschlaich aus Tümpeln einsammelt und diese in einem Teich in seinem Garten deponiert. 1,4 Millionen Froscheier habe er gesammelt, prahlt er in einem seiner Videos. Seine Motivation? „Ich will die größte Froscharmee der Geschichte aufstellen. Nächstes Jahr baue ich einen Riesenteich für 10 Millionen Frösche.“ Insgesamt 20,9 Millionen „Likes“ haben zwei Millionen Follower auf dem TikTok-Kanal hinterlassen.

Millionen Likes für Tier-Ansiedlungen
Wie der britische „Guardian“ berichtet, ist es nicht der einzige TikTok-Kanal, der mit Eingriffen in die Natur Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen versucht. Ein anderer Channel, dessen Inhaber sich damit brüstet, Hunderttausende Marienkäfer im New Yorker Central Park frei gelassen zu haben, hat bereits 130.900 Follower und 4,7 Millionen „Likes“.

@arkeslo @frog army tiktok😈🐸💪 we’re in your territory 😹 #ladybugraid#frogarmy#fyp♬ Funny Song - Cavendish Music

Auf die Aktion folgte eine Anzeige, mittlerweile soll der Marienkäfer-TikToker in Großbritannien aktiv sein. Der Lieferant der Marienkäfer befinde sich wiederum in Japan, geht aus einem Beitrag des Accounts hervor. Ob es sich bei den Videos mit den Tierumsiedelungen um ernst gemeinte Aktionen oder einen Hoax zur „Like“-Maximierung handelt, ist schwer zu überprüfen. Die Millionen Aufrufe haben jedenfalls Biologen auf den Plan gerufen, die explizit vor solchen Aktivitäten warnen.

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Das lässt mich zusammenzucken. Anstatt zu helfen, fügen diese TikTok-Nutzer den Tieren, die sie freilassen, Leid zu.

Biologin Tierra Curry

Tierra Curry, Naturschutzbiologin am US-amerikanischen Center for Biological Diversity, zum „Guardian“: „Das lässt mich zusammenzucken. Anstatt zu helfen, fügen diese TikTok-Nutzer den Tieren, die sie freilassen, Leid zu - und allen Tieren in der Umgebung, in die sie freigelassen werden. Sie schaffen einen Vektor für Krankheiten und invasive Arten.“ Chris Nagano vom US Fish and Wildlife Service: „Ich habe keinen Zweifel, dass diese Person gedacht hat, sie tue etwas Gutes. Aber sie könnte damit auch versehentlich zum Aussterben dieser Populationen beitragen.“

Massensterben durch invasive Arten und eingeschleppte Keime
Die Angst der Experten ist nicht unbegründet, wie ein Beispiel aus der Welt der Amphibien lehrt. Vermutlich von der koreanischen Halbinsel ausgehend, eroberte durch Tieransiedlungen eine Pilzerkrankung Ökosysteme in aller Welt, die mittlerweile 90 Froscharten ausgerottet und viele weitere dezimiert hat. Jene asiatischen Marienkäfer, die der TikTok-Züchter in den USA und Großbritannien freigesetzt haben will, sind in Europa nicht heimisch und verdrängen hiesige Arten. Es gibt weltweit viele Beispiele für invasive Arten: Nordamerikanische Signalkrebse erobern oberösterreichische Gewässer, Grauhörnchen verdrängen auf den britischen Inseln die heimischen roten Eichhörnchen, japanische Hornissen löschen nordamerikanische Bienenvölker aus.

TikTok-Algorithmus belohnt ungewöhnliche Inhalte
Experten befürchten, dass der TikTok-Algorithmus solche ganze Ökosysteme gefährdenden Aktionen begünstigt. Ioana Literat von der US-amerikanischen Columbia University: „Im Gegensatz zu den etablierten Plattformen verstärkt das Ethos von TikTok das Ungewöhnliche und Kreative.“ Das animiere zu Experimenten. „Die Leute bauen sich nicht mehr mit der Zeit Follower auf. Sie müssen nur eine verrückte oder unerwartete Sache machen, die viral wird, und die Follower werden später kommen.“ Auf TikTok stehe nicht die Person im Vordergrund, sondern der Inhalt. Und auf der Suche nach ungewöhnlichen Inhalten sind offenbar auch Eingriffe in die Natur ein Mittel zum Zweck.

Artenschützer warnen vor solch unbedachten Aktionen. „Die machen das, um Likes oder Shares zu bekommen. Es ist ein Beliebtheits-Stunt, der äußerst negative Auswirkungen haben kann“, mahnt Curry. Die Expertin weist darauf hin, dass solche Aktivitäten illegal sein können, und bittet TikTok-Nutzer, derlei Aktivitäten an ihre staatlichen Tierschutzbehörden zu melden. Die TikTok-Betreiber haben sich noch nicht zu den Videos geäußert.

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