Er war Gründungsmitglied des legendären Mahavishnu Orchestra, spielte mit „Spectrum“ eines der wegweisendsten Jazzrock-Alben aller Zeiten ein und musiziert mit alten Wegbegleitern wie Bill Evans und Randy Brecker am 16. Juli beim Jazz Fest in Wiesen, um moderne Pop-Songs zu Jazzstandards zu transferieren. Wir haben den 78-jährigen Kult-Drummer zum Gespräch getroffen.
Während das Jazz Fest Wien nach zwei coronabedingten Absagen dieses Mal aus unerklärlichen Gründen bereits ein drittes Mal auf seine Veranstaltungsreihe verzichtet, versucht man im burgenländischen Festivalmekka Wiesen eine ähnlich geartete Reihe zu etablieren. Vorerst nicht mit zahllosen Einzelgigs, sondern mit einem ganzen Tag voller nationaler und internationaler Kapazunder. Der Prototyp dieser Eventreihe geht kommenden Samstag, den 16. Juli, über die Bühne und kann mit illustren Namen wie Billy Cobham, Bill Evans, Randy Brecker bzw. Shake Stew oder der Gerald Gradwohl Group aufwarten. Die drei erstgenannten gehören zweifellos zu den größten lebenden Kalibern des Jazz und werden als Modern Standards Supergroup in die Gegenwart gleiten. Es werden moderne Popsongs von The Weeknd, Billie Eilish, Dua Lipa, Justin Bieber, Miley Cyrus und Co. in Jazzstandards transferiert. Ein spannendes Unterfangen, das für progressiv denkende Freigeister wie den mittlerweile 78-jährigen Cobham besonders spannend ist.
Held für viele Helden
Berühmt wurde der in Panama geborene und schon früh in die USA emigrierte Drummer als Gründungsmitglied des visionären Mahavishnu Orchestra, doch seinen Einfluss auf die Jazz-, Jazzrock- und Fusion-Jazz-Szene hat sich Cobham durch seine nicht enden wollende Neugierde nach dem Neuen und Unentdeckten erarbeitet. Große Namen wie Mike Portnoy, Jimmy Chamberlin, Kenny Aronoff, Daney Carey oder der niederösterreichische Depeche-Mode-Drummer Christian Eigner schwören fast schon lehrbubenhaft auf Kunst und Können ihres Idols, das sich selbst lieber in zurückhaltender Bescheidenheit präsentiert. „Wenn die Leute mich fragen, was ich ihnen beibringen kann, bin ich schnell überfordert“, lacht er im „Krone“-Talk, „ich weiß natürlich wie alle Grundstrukturen gehe und was mir Spaß macht, doch am Ende lerne ich das Schlagzeugspielen jeden Tag aufs Neue.“
Cobham ist bewusst, dass Technik und Grundkönnen noch nicht einmal die halbe Miete zum Erfolg sind. Wer auf seinem Instrument zu einem wirklich inspirativen Virtuosen gedeihen möchte, muss dafür Blut und Tränen schwitzen. „Wenn das Schlagzeugspielen dein Leben ist, dann wirst du ihm alles unterordnen und dich automatisch weiterentwickeln. Mit ungeduldigen Phasen musst du umgehen können, schließlich hast du dein ganzes Leben lang Zeit, dich weiterzuentwickeln. Man hat erst dann richtig Spaß an etwas, wenn man weiß, warum man es macht und dabei unbändige Leidenschaft verspürt.“ In Harlem und später Brooklyn wurde Cobham schon früh als Kind vom musikalischen Virus infiziert. Ob folkloristische Latino-Musik oder Jazz war anfangs egal, wie ein Schwamm saugte der Drummer alles auf, was ihm aus dem Radio oder von Bekannten entgegenschallte. Um seinen Vater einen Gefallen zu tun spielt er schon als Achtjähriger seinen ersten bezahlten Gig.
Hellster Stern
In seiner Jugend besuchte Cobham Workshops mit Thelonious Monk oder Stan Getz, das Schlagzeugstudium an der High School Of Music And Art in Brooklyn schloss er 1962 mit einem Diplom ab. Der Free Jazz wurde in den folgenden Jahren zu seiner großen Liebe, Ende der 60er rückte er aber verstärkt in den Fusion- und Jazzrock-Bereich ab. Als Gegenpart des legendären Gitarristen John McLaughlin revolutionierte er zwischen 1971 und 1973 im Mahavishnu Orchestra die Jazzwelt. Nebenbei spielte er mit Größen wie Horace Silver, George Benson oder Larry Coryell. Das 1973 erschienene Cobham-Solodebüt „Spectrum“, vom „Billboard Magazine“ als beste Jazz-Platte gekürt, ist der vielleicht hellste Stern in der grell-leuchtenden Vita des Schlagwerkers. Kein zweites Album hat die Stilistik des Jazzrock dermaßen revolutioniert - so wie auch Cobham das Spiel auf der Doublebassdrum und seine unverkennbare Beidhändigkeit perfektionierte.
Er betrachtet die Musik als universell und verbindet die vermeintlich gegensätzlichsten Pole, um daraus ein neues großes Ganzes zu kreieren. 1985 zog er endgültig in die Schweiz, wo er bis heute glücklich mit seiner Frau lebt. Für den begnadeten Freelancer war das der vielleicht wichtigste Schritt seiner Karriere. „In den USA lebten schon immer zu viele Genies auf viel zu geringem Raum. Man wird wortwörtlich in eine Box voller Ratten geworfen, wo sich alle Musiker gegenseitig kannibalisieren.“ Cobham war sich auch nie zu schade, sich seine finanzielle Freiheit mit dem Einspielen von Werbejingles und dem beständigen Knüpfen guter Kontakte zu sichern. „In Deutschland etwa habe ich jahrelang in kleinen Läden gespielt, was genau das Richtige für mich war. In Amerika interessieren sich die Leute nicht für dich als Künstler, hier in Europa habe ich schon unendlich viele, sehr gute Unterhaltungen geführt.“
Mit dem Zug durch Europa
Als Cobham das erste Mal von Österreich hörte, war er der Meinung, es bestünde zu 75 Prozent aus Bergen und Jazz wäre hier ein Fremdwort. „Mit solchen Vorurteilen muss man schnell aufräumen“, lacht er amüsiert beim Gedanken an seine Ansagen von früher, „Amerikaner haben wirklich keine Ahnung von Europa. Ich weiß das sehr gut.“ Schon früh lernt er die Vorzüge Europas kennen. Er und seine Mi(e)tmusiker kaufen sich in den 80er- und 90er-Jahren gerne ein Zugticket, um damit quer durch Europa zu tingeln. Für jemanden, der Musik und Auftritte über alles stellt und damit bis in die kleinsten Winkel so mancher Lälnder vordringt, eine nicht nur möglichst günstige, sondern auch nachhaltige Arte und Weise des Reisens. „Man brauchte nur seinen US-Pass vorzeigen, um diese schöne Zugkarte zu bekommen. Damit konnten auch problemlos unser Equipment transportieren.“
Auch in Österreich war und ist Cobham gern gesehener Gast. Unvergessen ist für viele etwa sein 1979 absolvierter Stadthallen-Auftritt mit McLaughlin, Jack Bruce und Stu Goldberg. 2009 brillierte er beim Nova Jazz & Blues Nights in Wiesen und erst vergangenen Herbst durch eine mitreißende Performance im kultigen Wiener Jazzclub Porgy & Bess. Neben Rhythmusveränderungen und dem Erlernen neuer Tricks reüssiert Cobham auch seit geraumer Zeit als kundiger Produzent und Komponist, seit 2011 gibt er auch regelmäßig Unterricht und legt sein immenses Wissen für die nächsten Generationen dar. „Fehler sind die Schönheit der Kunst. Durch sie arbeitest du immer an dir weiter, willst dich stetig verbessern. Man wird am schnellsten besser, wenn man anderen zuhört und das Wissen vermischt. Viele Künstler leiden an ihrer eigenen Fragilität und sind nicht selbstsicher genug. So gut man auch ist, es verfolgen einen immer wieder Dämonen.“
Live in Wiesen
Völlig dämonenfrei wird hoffentlich sein Jazz-Fest-Auftritt in Wiesen am 16. Juli. Mit den illustren Mitmusikern und der Interpretation zeitgemäßer Pop-Songs kann Cobham kaum an Terrain verlieren und sich, ganz seinem Credo entsprechend, voll in das Abenteuer stürzen. Ein echter Legendenaufmarsch! Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten für das Top-Event.
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