Soul-Star Michael Kiwanuka zeigte sich Montagabend vor rund 5000 Fans in der Wiener Metastadt überrascht darüber, wie schnell es mit der Rückkehr der Konzerte ging. Corona ist lange nicht besiegt, aber derzeit in die Schranken gewiesen. So konnte der 35-jährige Brite in aller Ruhe mit seiner markanten Stimme, den großartigen Songs und einer angenehmen Art von Stille überzeugen.
Eigentlich hätte dieser Montagabend jemand ganz anderem gehören sollen. Die große Lauryn Hill, Hip-Hop-Legende, Idol, Feministin, die als Mitglied der Fugees und mit ihrem bislang einzigen Soloalbum „The Miseducation Of Lauryn Hill“ schon vor einem Vierteljahrhundert zur unumstößlichen Genre-Legende wurde, hat ihre geplante Europa-Tour ein paar Wochen vor dem geplanten Start abgesagt. Es wäre ihr erster Österreich-Gig seit dem Nuke Festival 2005 gewesen. Doch wo sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere. Der fabelhafte Michael Kiwanuka wurde hochgezogen und kurzerhand zum Headliner des Abends befördert. Eine weise Entscheidung, der dem Veranstalter rund 5000 Musikbegeisterte bescherte. Keine schlechte Marke, denn der Soulkünstler aus London ist eher was für Connaisseure, denn für die breite Masse. Mit Lou Asril und Sharktank-Drittel Mile samt Flip gibt man auch einheimischen Talenten eine verdiente Chance.
Talent und Präsenz
Wie zuletzt im Winter 2019 in der Wiener Stadthalle F überzeugt der imposante Kompositeur mit zartfühlender Instrumentierung und einem gleichermaßen weichen wie durchdringendem Timbre. Kiwanuka schreibt seine intensiven und persönlichen Songs in Zuständen der Unsicherheit und Verängstigung. Er fasst Seelenschmerz und weltliche Unzulänglichkeiten in einen Mahlstrom des Soul und führt das Erbe eines Marvin Gaye damit in eine inhaltsvolle Gegenwart. Nicht so einfach, bei Tageslicht und im Zentrum der industriellen Kühle der Metastadt diese Art von Intimität akkurat ans Publikum weiterzuvermitteln. Es ist dem Talent und der schieren Präsenz des Interpreten geschuldet, dass schon das Anfangs-Triple „Piano Joint“, „One More Night“ und „You Ain’t The Problem“ für Staunen sorgt.
Es liegt auch an der Teamleistung aller Beteiligten auf der Bühne, dass sich die Magie des Abends noch vor Einbruch der Dunkelheit wie eine sanfte Decke über die Häupter der Anwesenden legt. Die zwei Backgroundsängerinnen sind weit mehr als nur eine Stütze Kiwanukas, sondern wissen vor allem im Schlussdrittel Songs auch für sich zu tragen. Seine dreiköpfige Band instrumentiert, bedächtig, aber präzise. Im Hintergrund von Kiwanukas Dialog mit sich selbst grätschen E-Gitarrensoli und rhythmisch perfekt laufende Percussions in das bunte Treiben, das von starken Lichteffekten und einem paralysierenden Bühnenbackground verstärkt wird. Die anfangs noch lichteren Reihen füllen sich schnell, denn der Magie von Songs wie „Rolling“ oder „Black Man In A White World“ kann man sich nicht entziehen.
Wandlungsfähig
Geschickt benennt Kiwanuka in seinen Songs globale und persönliche Probleme und spiegelt damit den Zeitgeist wider, ohne sich musikalisch daran anzubiedern. Der 35-Jährige setzt vielmehr auf das Zusammenspiel mit seinen Kollegen und würzt seinen souligen Grundstamm mit Psychedelic-, Folk- und Indie-Referenzen. Der Londoner versteht sich und seine Kunst als ganz und gar politisch und gesellschaftskritisch. So frei und liebenswürdig die Kompositionen in mancher Hinsicht sein mögen, ganz ohne pointierte Gesellschaftskritik geht es nicht. Das Besondere daran: je nachdem, wie es die jeweilige Situation auf der Bühne gerade verlangt, kann sich Kiwanuka zum hemdsärmeligen Singer/Songwriter oder aber auch zum opulenten Geschichtenerzähler wandeln. Auf eine Interaktion mit dem Publikum und große Ansprachen verzichtet er bewusst. Eine kurze Jubelbotschaft, dass das Schlimmste an Corona überstanden sei ist noch die üppigste Ansage. Frei nach dem Motto „let the music do the talking“ sprechen Klang und Melodie.
Federleicht hat Kiwanuka auf seinen drei bisherigen Alben starke Songs zusammengesammelt. Einer der gewichtigsten sorgt für tosendem Jubel zur Halbzeit. Das mit einem feinen Intro versehene „Hero“ wird herzhaft und zum richtigen Moment repetitiv rezitiert und lebt vom der stimmlichen Harmonie Kiwanukas mit seinen Sängerinnen. Nicht minder eindrucksvoll schlängeln sich Songs wie „Hard To Say Goodbye“ oder das köstliche „Home Again“, einst sein großer Durchbruch, durch die Gehörgänge. Sein politisches Gewissen ist bekannt, aber auf einer dermaßen großen Headliner-Show überwiegt doch die Freude am bloßen Tun und der ernste Ton gerät etwas ins Hintertreffen. Musikalisch changiert der Brite durchaus geschickt zwischen sanften Akustikparts und ausufernden Jam-Parts mit fantastischen Crescendi. „Light“, „Final Days“ oder „Living In Denial“ - zielsicher treffen die musikalischen Pfeile ins Herz, bis der Abend in den unbestreitbaren Höhepunkt „Love & Hate“ kulminiert.
Noch mehr Metastadt
Nach etwas zu kurzen 95 Minuten hat Michael Kiwanuka sein Tagwerk zum Einbruch der Nacht beendet und hinterlässt das kollektive Gefühl, dass die Verschmähung eines Montags nicht immer gerecht ist. Dafür sorgt auch das liebevolle Rundherum der Metastadt, dass die zwei Jahre Corona-Zwangspause dazu genutzt hat, an den entscheidenden Wohlfühlschrauben zu drehen. Die Kulinarikstände haben mit dem üblichen Einerlei nichts am Hut, das Gelände ist groß, übersichtlich und wunderbar aufgeteilt und jedem Besucher stehen wassergespülte Toiletten zur Verfügung. Service am Fan, der insgesamt noch fünfmal stattfindet. Heute Abend mit Skunk Anansie, am Mittwoch mit Sarah Connor, Donnerstag mit Sido, Samstag mit alt-j und zum Abschluss am Sonntag mit den Kooks. Unter www.oeticket.com gibt es auch noch Karten und genauere Infos für die Highlights. Es lohnt sich!
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