Österreich in der Dauerkrise: Umfragen bescheinigen nicht nur der Politik enormen Vertrauensverlust, sondern offenbaren auch eine steigende Anspannung in der Bevölkerung.
„Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“ Bertolt Brechts berühmt-böser Satz aus der „Dreigroschenoper“ ist aktueller denn je. Laut Umfragen des Instituts für Demoskopie und Datenanalyse (IFDD) sorgen sich die Menschen derzeit ums Existenzielle: Essen, Energie, Wohnen. Für 91 Prozent (Sample 1000) muss sich die Politik, die sich in einer steten Abwärtsspirale des Vertrauens befindet, 2023 um die Teuerung kümmern. Danach kommt lange nichts. „Die Stimmung ist bereits gekippt.“ Das hört man aus politischen Bereichen wie in der Wirtschaft und von IFDD-Chef Christoph Haselmayer, dessen Meinungsforscher-Ohr permanent Volkes Stimme hört.
Im Herbst könnten Dieselpreise auf drei Euro steigen. Schon jetzt rationieren Tankstellen etwa in Kärnten ihre Vorräte. „Lieferkettenverzögerungen im Herbst werden ein weiterer Dynamo sein“, sagt Haselmayer. Es werde gewisse Produkte nicht mehr geben. Die Preise werden weiter steigen. Doch die Mehrheit wolle sich wegen Putin nicht einschränken. Dies werde auch zu einer Zuspitzung beim Bundespräsidenten-Wahlkampf führen. „Die FPÖ wird die Situation für sich nutzen und ein Ende der Sanktionen fordern. Im Sinne der eigenen Bevölkerung.“
Eine Mehrheit will und wird sich nicht einschränken wegen Putin. Das geht vielleicht zwei Monate gut. Dann werden die Menschen nicht mehr mitmachen. Denn es ist immer schwierig, auf etwas zu verzichten, das man gewohnt ist.
Meinungsforscher Christoph Haselmayer
Dieses aufkeimende „Inseldenken“ zeige sich auch bei Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine. 45 Prozent fordern ein Ende, 44 Prozent halten sie für nötig. Härtetest für Politik und Gesellschaft.
Psychiater Haller: Nicht nur in den Abgrund blicken
Was macht das mit der Gesellschaft? „Unsere Generation hat das Privileg, als erste in einer kriegs- und pandemielosen Epoche zu leben. Da ist man Krisen nicht gewöhnt“, sagt Psychiater Reinhard Haller. Dennoch werde die Resistenz der Bevölkerung unterschätzt. „In Österreich blicken wir nur auf die Gefahren. Wie das Kaninchen auf die Schlange. Das erzeugt Angst, macht depressiv, hilflos und kippt die Stimmung.“ Man müsse auch die positiven Dinge sehen. Die Chancen. „Ich würde mir in Österreich mehr Versachlichung und Gelassenheit wünschen.“
Die Österreicher, so der Psychiater, neigen zum Negativen und Destruktiven. Dies habe wohl seine Wurzeln im Ende der Monarchie. Dabei bedeute Krise im Griechischen nichts anderes als Weggabelung. „So wie jetzt geht es nicht weiter. Man sollte nicht nur in den Abgrund blicken.“ Haller bringt das Beispiel der Klimaministerin Leonore Gewessler: Sie habe einen Gasdeal geschafft. „Konstruktive Kritik ist ja gut. Doch anstatt den Erfolg zu loben, fällt man gleich darüber her.“ Krisenfest schaut anders aus.
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