Hohe Strahlenwerte

Tschernobyl: „Russen gruben in radioaktivem Müll“

Ausland
20.07.2022 12:49

Die Umweltorganisation Greenpeace hat bei Messungen in der Sperrzone rund um das ehemalige AKW Tschernobyl in der Ukraine alarmierend hohe Radioaktivitätswerte festgestellt: Sie überstiegen den internationalen Grenzwert für Atommüll teils um das Vierfache. Die Strahlenwerte seien damit viel höher als von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) angegeben. Deren Darstellung der Situation in Tschernobyl sei „mangelhaft“, so der Greenpeace-Strahlungsexperte Jan Vande Putte bei einer Pressekonferenz am Mittwoch. Den russischen Truppen wirft Greenpeace „Verbrechen gegen die Umwelt“ vor.

Putte warf IAEO-Chef Rafael Grossi ein „unzulängliches Risikomanagement“ in Bezug auf Tschernobyl vor. Seine Organisation habe sich nur auf bestimmte Dosisraten konzentriert. Durch die von schweren russischen Militärfahrzeugen in der Atomruine aufgewühlte Erde herrsche aber ein viel komplexeres Bild vor. Die von Greenpeace gemessene radioaktive Strahlung sei zwischen 0,2 und 7,7 Mikrosievert pro Stunde gelegen.

Harte Kritik an der IAEO
Bei der Messung von IAEO-Experten Ende April, die auf ein kleineres Gebiet beschränkt waren, wurden 0,2 bis 0,75 Mikrosievert pro Stunde gemessen. Das stelle keine Gefahr für Mensch und Umwelt dar, erklärte IAEO-Chef Grossi damals. 
Dessen Darstellung sei „mangelhaft“ und „nicht akkurat“, so der Greenpeace-Experte. „Wenn man nur in eine Richtung schaut, findet man kein Problem“, griff er die Atomenergieorganisation an.

Weil der stellvertretende IAEO-Generaldirektor, Michail Tschudakow, früher bei der staatlichen russischen Atombehörde Rosatom war, wirft Greenpeace der IAEO besonders enge Beziehungen zu Rosatom vor. Man habe „schwere Zweifel an der Unabhängigkeit der IAEO in der Ukraine“, betonte Greenpeace-Nuklearspezialist Shaun Burnie. Er forderte die Absetzung Tschudakows.

Die Schutzhülle soll das Austreten von Strahlung aus der Reaktorruine von Tschernobyl verhindern. (Bild: Jeremy Sutton-Hibbert/Greenpeace)
Die Schutzhülle soll das Austreten von Strahlung aus der Reaktorruine von Tschernobyl verhindern.
Jan Vande Putte (l.) und Mathieu Soete von Greenpeace Belgien nehmen Proben von der radioaktiven Erde. (Bild: Jeremy Sutton-Hibbert/Greenpeace)
Jan Vande Putte (l.) und Mathieu Soete von Greenpeace Belgien nehmen Proben von der radioaktiven Erde.

Gleich zu Beginn der Invasion am 24. Februar besetzten russische Truppen die Atomruine Tschernobyl. Greenpeace beschuldigte Russland, damit ein „Verbrechen gegen die Umwelt und gegen die Wissenschaft“ begangen zu haben. Es sei ein einmaliger Fall gewesen, dass ein Staat ein fremdes Atomkraftwerk besetze und dabei „alle Sicherheitsregeln gebrochen“ habe, sagte Sergiy Kirieev, Generaldirektor des SSE Ecocentre in Tschernobyl, das die Strahlenwerte um Tschernobyl überwacht.

„Atommüll verbrannt“
Seinen Angaben zufolge wurden die Brände, die im März in der Sperrzone ausbrachen, von russischen Soldaten absichtlich gelegt und auch durch Raketenbeschuss ausgelöst. Zudem zogen sie Schützengräben in der kontaminierten Erde. „Russische Soldaten haben in radioaktivem Abfall gegraben und Atommüll verbrannt“, sagte Kirieev. Dabei sei eine Fläche von 80 Quadratkilometern Wald durch Feuer beschädigt worden. Auch Monitoring-Systeme zur Messung von Radioaktivität wurden von den russischen Truppen zerstört.

Ukrainische Feuerwehrleute hätten ihr Bestes getan, um die Waldbrände zu löschen, betonte Kirieev. Wegen der Landminen auf dem Gelände war das aber extrem gefährlich. Das russische Militär habe zudem ein Feuerwehrauto erbeutet, berichtete der Behördenchef. Das russische Vorgehen stelle somit ein Verbrechen gegen die Arbeiter und Feuerwehrleute in der Atomanlage dar, betonte Greenpeace. Genaue Informationen über verstrahlte feindliche Soldaten haben die ukrainischen Behörden nicht. Sie gehen aber von einer Kontamination aus, da sich die Truppen wochenlang ohne Schutzausrüstung dort aufgehalten hätten.

„Tickende Zeitbombe“ Saporischschja
Seit April ist Tschernobyl wieder unter Kontrolle der Ukraine. Größere Sorgen bereitet Greenpeace das Atomkraftwerk Saporischschja im Südosten der Ukraine, das noch immer von russischen Truppen besetzt ist. Hier ist sich die Umweltorganisation mit der IAEO einig: Beide warnen vor der Gefahr, dass die Nuklearanlage durch fehlgeleitete Geschosse getroffen werden könnte, was zu einem schwerwiegenderen Atomunfall als in Tschernobyl führen könnte. Das AKW sei „eine tickende Zeitbombe“, warnte Greenpeace-Atomexperte Burnie. Er forderte den sofortigen Abzug des russischen Militärs aus Saporischschja.

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele
Vorteilswelt