Es hilft nur noch Galgenhumor. „Bis jetzt sind die Franzosen sehr gut ... am Straßenrand“, schrieb das Tour-Organ „L‘Equipe“ zuletzt und schwärmte von der Volksfeststimmung. Die 109. Tour de France biegt auf die Zielgerade ein. Das kleine Dänemark hat bereits mit drei Fahrern Etappensiege geholt und stellt in Jonas Vingegaard den Gesamtersten, sogar Luxemburg und das im Sport eher für Eishockey berühmte Kanada durften schon jubeln. Frankreich noch nicht. „Das ist keine Frage des Dopings“, weiß der der Tour-de-France Sieger von 1985 Bernard Hinault.
Nicht einen Etappensieg feierte die Grande Nation bisher. Bleibt das bis Paris so, wäre die größte Pleite seit 1999 perfekt. Von einem heimischen Toursieger spricht da schon gar keiner mehr. Auf der ersten Pyrenäen-Etappe am Dienstag waren auch die Podest-Hoffnungen von Romain Bardet nach dessen Einbruch dahin. „Es war ein Leidensweg. Ich bin mit 5 km/h den Berg hoch“, haderte Bardet.
Frankreich brauch „andere Ziele“
Eine Geschwindigkeit, die Bernard Hinault im heutigen Alter mit 67 Jahren womöglich noch geschafft hätte. Der Bretone ist der letzte französische Tour-Champion. Das war 1985, als er seinen fünften und letzten Triumph feierte. 37 Jahre, eine halbe Ewigkeit für ein Land, das so stolz auf seine Radsport-Geschichte und das größte Rennen der Welt ist.
Geht es nach Hinault, sollten sich seine Landsleute ohnehin auf andere Ziele konzentrieren, wenn es für ganz vorne nicht reicht. „Für mich sind fünfte, sechste Plätze uninteressant. Sie sollten lieber versuchen, eine Etappe zu gewinnen. Das ist auch gut.“
„Julian, du fehlst uns“
Mit Etappensiegen hat in der Vergangenheit immer Julian Alaphilippe die Landsleute verwöhnt. Doch der Weltmeister von 2020 und 2021 fehlt in diesem Jahr, nach seinem schweren Sturz beim Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich im April ist er noch nicht in Form. „Julian, du fehlst uns“, stand auf einem Schild geschrieben. Allein sechs Tagessiege feierte Alaphilippe in den vergangenen vier Jahren. Unvergessen waren auch seine 14 Tage im Gelben Trikot bei der Tour 2019, als Frankreich plötzlich wieder träumte. Aber Alaphilippe ist kein Mann für die hohen Berge.
Das ist eher eine Sache für Thibaut Pinot, doch der Kletterer aus Lure kommt die Berge schlecht hinunter. Wegen seiner Angst bei Abfahrten hatte er auch schon psychologische Hilfe in Anspruch genommen. Inzwischen jagt der 32-Jährige einer Top-Platzierung in der Gesamtwertung nicht mehr hinterher.
„Frage der Mentalität“
Aber warum hat Frankreich keinen Mann mehr für das Classement general? Hinault hat da eine klare Meinung von der heutigen Generation: „Ich finde sie zu locker. Schauen Sie sich die paar Franzosen an, die für ausländische Mannschaften fahren. Die funktionieren. Da kann man sich schon mal Fragen stellen. Das ist keine Frage des Dopings, sondern der Mentalität. Dort sagt man denen nämlich: Wenn du nicht gut bist, dann fliegst du raus“, sagte Hinault der „Süddeutschen Zeitung“. Es gebe aber auch schlicht „nicht diesen einen Athleten, der die Fähigkeiten mit sich bringt, besser als alle anderen zu sein“.
Aber auch die Tatsache, dass der Radsport immer internationaler wird, macht die Sache für die Franzosen nicht einfacher. 32 Fahrer der Gastgeber gingen beim Tour-Start in Dänemark an den Start, also 18 Prozent des Pelotons. Das ist die zweitschwächste Quote im 21. Jahrhundert. So wird auch in diesem Jahr nicht die Marsaillaise auf den Champs Élysées für den Sieger ertönen. Immerhin lassen sich die Franzosen die gute Laune an der Strecke nicht nehmen.
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