Alle Experten betonen, dass Corona leider nicht vorbei ist. Also hat Politikwissenschaftler Peter Filzmaier für die „Krone“ mit Österreichs oberster Gesundheitsmanagerin Katharina Reich und dem Top-Infektiologen Florian Thalhammer darüber gesprochen.
Peter Filzmaier: Sie hätten ja beide in Ihren Jobs als Gesundheitsmanager und Ärzte auch ohne Corona-Pandemie genug zu tun. Wie viel Zeit Ihrer Arbeit müssen Sie in einer typischen Sommerwoche für die Pandemiebekämpfung aufwenden?
Katharina Reich: Im Durchschnitt zwei Drittel, auch wenn es sich von Woche zu Woche ändert. Unter einer 60-Stunden-Woche läuft da gar nichts.
Florian Thalhammer: Am Anfang der Pandemie waren 100 Prozent meiner Arbeit Corona-bezogen, momentan sind es immer noch 80 Prozent. Doch es gibt andere Schwerpunkte. Neben der vierten Impfung geht es nun vor allem darum, welche Medikamente wir verteilen und verabreichen können.
Am Jahresbeginn wurde diskutiert, ob die Regierungsstrategie eine der Durchseuchung ist. Sind wir jetzt durchseucht? Gibt es gar eine Endlosspirale der Durchseuchung, weil ja frühere Infektionen kaum vor neuen Ansteckungen schützen?
Thalhammer: Das ist die falsche Frage …
Weil …?
Thalhammer: Es ist inzwischen egal, ob es zu einer Durchsuchung kommt oder nicht, oder wie wir es nennen, weil es die anfangs erhoffte Herdenimmunität sowieso nicht gibt und es immer wieder zu Ansteckungen und Coronawellen kommen wird.
Die Überlegung für weniger Maßnahmen war ja, dass aufgrund milderer Krankheitsverläufe der Omikronvarianten sowohl das Gesundheitssystem nicht überlastet als auch die Kranken- und Totenzahlen verantwortbar sind. Sind Sie da mit der Zwischenbilanz der heurigen Strategie zufrieden?
Reich: Alles in allem, ja. Weil eine Abwägung gelungen ist zwischen den Aspekten, wie sehr wir die Bevölkerung schützen müssen, und wie sehr wir – auch rechtlich – dafür Freiheitsbeschränkungen verordnen können. In der Rückschau finde ich, dass wir die richtigen Maßnahmen gesetzt haben. Ich bin jedoch natürlich trotzdem nicht zufrieden, dass wir weiterhin eine Pandemie und daran sterbende Menschen haben.
Auch wenn der Vergleich unpassend ist: In Schweden hat man sich einmal geweigert, wie alle anderen Länder eine Zahl als Zielvorgabe für weniger Verkehrstote zu nennen. Weil das Ziel immer null Tote sein sollte, auch wenn man es nie erreichen wird.
Reich: Ja, genau das meine ich.
Jetzt gibt es Impfungen und Medikamente. Wenn der einzelne Patient beides verweigert, muss er seinen möglichen Tod in Kauf nehmen.
Florian Thalhammer
Gibt es aber nicht in internen Überlegungen der vielen Kommissionen, in denen Sie Mitglied sind, trotzdem eine Zahl als Richtwert, wie viele Corona-Tote gerade noch vertretbar sind?
Reich: Nein. So eine Zahl gibt es nicht. Wie soll das funktionieren? Wir wissen, dass die Todesfälle durch unterschiedliche Dinge und Krankheitskombinationen entstehen. Sollen wir nur zählen, wie viele Gesunde sterben, oder wie viele ältere Menschen? Das wäre unverständlich.
Herr Thalhammer, ein anderer Gradmesser ist die Überlastung in den Krankenhäusern, kriegen sie das im Spital hin?
Thalhammer: Ja. Viel besser als im Vorjahr. Eine Diskussion über die Toten macht übrigens wirklich keinen Sinn mehr. Jetzt gibt es Impfungen und Medikamente. Wenn der einzelne Patient beides verweigert, muss er seinen möglichen Tod in Kauf nehmen. Da ist nicht mehr der Staat verantwortlich, solange die Ansteckungszahlen nicht unser aller Leben gefährden. Das tun sie derzeit nicht.
Politiker schaffen es meistens nicht, klare Antworten zu geben oder gar einfach ja oder nein zu sagen. Also versuche ich es bei Ihnen. Soll die Quarantänepflicht im Fall einer Coronainfektion abgeschafft werden? Ja oder nein?
Reich: Sie muss immer wieder neu evaluiert werden, und genau das geschieht.
Thalhammer: Nein. Kein Streichen der Absonderung, doch wer eine entsprechende Therapie bekommt, darf früher raus. Dafür brauche ich jedoch eine entsprechende Diagnose und die rechtzeitige Einnahme von Medikamenten. Das klappt leider nicht.
Wo stehen wir mit den Medikamenten und Therapien gegen Corona?
Thalhammer: In der Theorie sind wir sehr gut aufgestellt. Wir haben zwei Medikamente: Paxlovid und Lagevrio. Unser Problem ist, dass sowohl die Patienten als auch die Medikamente verschreibenden Ärzte das wissen sollten. Genau das klappt nicht. Es ist völlig falsch, wenn ein Arzt zum Infizierten „Sie sind noch nicht krank genug!“ sagt. Wir müssen diese Therapien endlich frühzeitig und mehr einsetzen.
Reich: Ja, wir müssen aus der Schwerfälligkeit raus. Jene Patienten, die ein Corona-Medikament brauchen, müssen es einfach schneller bekommen. Auf dem Weg zur Medikamenteneinnahme darf das Arztgespräch und Rezept nur noch der letzte Schritt für etwas sein, das sowieso schon in den Köpfen drinnen ist. Die Information muss vorher passieren.
Thalhammer: Da widerspreche ich. Das Problem sind weniger unwissende Patienten als leider uninformierte Ärzte und Apotheker. Trotz unserer Fortbildungsbemühungen kennen sich zu viele zu wenig aus, manche widersprechen sogar einem von mir als Infektiologe geschriebenen Rezept. Doch müsste der positive Testbefund ausreichen, um in der Apotheke das Medikament zu bekommen, wo auch eine Aufklärung erfolgen sollte. Nur dagegen läuft die Ärztekammer Sturm.
Das Problem sind weniger unwissende Patienten als leider uninformierte Ärzte und Apotheker.
Florian Thalhammer
Geht es hier um Geld und Kompetenz?
Thalhammer: Nur ums Geld, die Kompetenz fehlt.
Ich meinte Kompetenz im Sinn von Zuständigkeit, nicht als Fachwissen. Sie beide sind sich aber einig, dass Medikamente möglichst schnell, also im Fall einer Infektion im Idealfall sofort bei Vorliegen eines positiven Testergebnisses eingenommen werden?
Thalhammer: Korrekt. Bei Symptomen und Vorliegen eines positiven Antigentests – das Ergebnis kommt ja da sehr schnell – soll das Medikament sofort eingenommen werden. Nicht erst nach einem PCR-Test, der nicht überall einfach verfügbar ist.
Brauchen wir nicht, wenn schon die Impfkampagne letztlich gescheitert ist, eine Informationsoffensive zu den Medikamenten?
Reich: Ja, und meines Wissens ist das parallel zu einer neuen Impfkampagne auch in Ausarbeitung.
Den zweiten Teil des Gesprächs, insbesondere über das bevorstehende Ende der Quarantäne für Infizierte, lesen Sie nächsten Sonntag in der „Krone“.
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