Er ist der Mann der Woche: Wirtschaftsforscher Gabriel Felbermayr (46). Dem WIFO-Chef gelang das Kunststück, mit einem Vorschlag zur Abfederung der Teuerung alle - Regierung, Gewerkschaft und Bundespräsident - zu überzeugen. Conny Bischofberger besuchte ihn im Urlaub am Bodensee.
Bregenz am frühen Freitagmorgen: Am Seeufer zwischen Festspielbühne und Fischersteg, wo früher einmal Wasserflugzeuge gelandet sind, kehrt langsam Leben ein. Gabriel Felbermayr atmet tief durch: „Noch schön kühl, die Luft“, sagt er und lässt seinen Blick über das Wasser schweifen. Österreichs Topökonom trägt Jeans und ein weißes Hemd, er ist nach einer intensiven Woche auf Kurzurlaub in Vorarlberg. „Meine Frau und ich waren noch nie bei den Bregenzer Festspielen“, erzählt er, „nun haben wir uns die beiden Festspielpremieren, ,Madame Butterfly' und die Oper ,Sibirien', gegönnt. Die Bühne im Gewittersturm zu sehen und dann die Flucht ins Innere des Hauses, das war ein Erlebnis, an das wir uns immer erinnern werden.“ Nach einem kurzen Ausflug in die Welt der Kultur ist Felbermayr wieder bei seinem Lieblingsthema, der Volkswirtschaft, angelangt.
„Krone“: Mit dem „Modell Felbermayr“ haben Sie diese Woche die Politik aufgemischt. War das die Absicht?
Gabriel Felbermayr: Meine ursprüngliche Absicht war eine andere. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hat ja einen Preisdeckel ins Spiel gebracht. Sie hat recht, wir brauchen einen Deckel, aber wir dürfen nicht den Preis deckeln, sondern die Stromrechnung. Wenn wir Gas und Strom künstlich billiger machen und der Staat das subventioniert, haben wir keinerlei Einsparsignale. Die Energierechnungen - nicht nur jene der Ärmsten der Armen übrigens, sondern auch weit in den Mittelstand hinein - müssen leistbar bleiben. Trotzdem muss bei den Menschen das Preissignal ankommen, denn Strom, Gas und Wärme sind nun mal verdammt knapp.
Sie schlagen einen Grundbedarf an freiem Strom vor, der Rest soll teuer sein. Haben Sie das wirklich zu Ende gedacht? „Krone“-Kolumnist Manfred Schumi schrieb: Viel Spaß beim Rechnen!
Die Umsetzung ist Aufgabe der Politik. Ein bisschen Sorge macht uns ein Antragsmodell. Das ist für viele Österreicher eine große Hürde. Besser wäre es, mittels Melderegister herauszufinden, wie viele Personen in einem Haushalt leben, dann könnte man das automatisieren. Und es wäre wichtig, dass bei der Rechnung auch dabeisteht, was man gespart hat. Dass Konsumenten also sehen, um wie viel Prozent weniger sie an teurer Energie verbraucht haben und wie viel der Staat dabei unterstützt.
Wenn Sie ganz ehrlich sind: Fühlen Sie sich geschmeichelt, dass nicht nur die Regierung, sondern auch die Gewerkschaft Ihr Modell übernehmen will?
Ja. Wobei ich gemischte Gefühle habe, ist, wenn vom Felbermayr-Deckel oder Felbermayr-Modell die Rede ist. Es kränkt manche, die ähnliche Modelle entwickelt haben und jetzt nicht genannt werden. Außerdem besteht natürlich die Gefahr, dass man es politisch auch komplett verhunzen kann.
Wie haben Sie es denn geschafft, dass dieses Modell von allen akzeptiert wird?
Die Idee lag in der Luft. Ein wesentlicher Punkt ist aber sicher, dass das WIFO mit der Wirtschaftskammer, der Gewerkschaft, der Nationalbank usw. ziemlich genau das institutionelle Österreich abbildet. Wenn wir sagen, das wäre ein gutes Modell, dann wird das natürlich gehört.
Wie war es für Sie, diese Woche jeden Tag in der Zeitung zu stehen?
Wenn das von Null auf Hundert gekommen wäre, hätte es mich wahrscheinlich irritiert. Aber es hat sich über Jahre eingeschlichen. Dass die Politik jetzt vom „Felbermayr-Modell“ spricht, dann ist das aber natürlich schon eine andere Intensität.
„Felbermayr-Modell“ kränkt manche, die ähnliche Modelle entwickelt haben. Außerdem besteht die Gefahr, dass man es politisch komplett verhunzen kann.
Der WIFO-Direktor über plötzliche, mediale Präsenz
Könnte es sein, dass Sie selber mit der Politik liebäugeln? „Superminister“ Martin Kocher war vorher auch Ökonom.
Ich bin WIFO-Direktor und mache das mit großem Spaß. Ich unterrichte auch an der Wirtschaftsuniversität und will das nicht missen. Das ist mein Leben.
Aber können Sie es für immer ausschließen, dass Sie in die Politik wechseln?
Für immer ausschließen kann man nichts. Aber jetzt und auch in absehbarer Zeit wird das nicht passieren. Der Vergleich mit Martin Kocher ist ein guter. Wir haben einen Wirtschaftsprofessor als Wirtschaftsminister und als Arbeitsminister und das passt. Deswegen gibt es keinen Bedarf, da noch jemanden aus dem Elfenbeinturm in die Politik zu schicken. Ich bin mir auch nicht sicher, ob die Idee von Expertenregierungen in einer Demokratie das Richtige ist.
Wo stehen Sie persönlich politisch?
Ich war nie parteipolitisch aktiv, habe also kein Parteibuch. Unser wichtigstes Gut als Wirtschaftsforscherinnen und -forscher ist unsere Unabhängigkeit. Die ist ja nicht selbstverständlich, man muss permanent daran arbeiten. Sobald ich politisch zugeordnet würde, würde ich in anderen politischen Lagern möglicherweise die Glaubwürdigkeit verlieren. Das Zauberwort heißt Äquidistanz.
Wo ist da die Grenze?
Zum Beispiel, wenn ich mit meinem oberösterreichischen Landeshauptmann gemeinsam auf eine Wahlveranstaltung ginge. Auch nicht mit unserem Herrn Bundespräsidenten, so sehr ich ihn schätze - er ist ja auch Ökonomieprofessor, da gibt es also durchaus Affinitäten. Wir geben auch keine wahlpolitischen oder parteipolitischen Empfehlungen. Das WIFO redet mit allen Parteien und es würde mich freuen, wenn da noch mehr Dialog wäre. Einen guten Draht zur FPÖ zum Beispiel haben wir nicht. Und das finde ich eigentlich bedauerlich.
Hat das WIFO eigentlich auch ein Modell für die Industrie? Oder anders gefragt: Wenn Gas rationiert wird, müssen dann auch die Haushalte etwas beitragen?
Jeder muss einen Beitrag leisten. Und ich glaube, unser Modell hilft auch der Industrie, weil die Spar-Anreize bei den Haushalten dazu führen, dass weniger Gas verbraucht wird. Und jede Kilowattstunde Gas, die für den Herbst und Winter übrig bleibt, hilft der Industrie. Aber natürlich auch den Haushalten. Weil die Industrie vielleicht ein paar Tage länger produzieren kann, ein paar Tage länger gute Jobs anbieten kann, ein paar Tage länger Steuern zahlt und somit Wertschöpfung schafft. Für die Industrie wäre es wichtig, dass man den Strompreis insgesamt runterbringt. Wir haben dafür eine Lösung, aber das müsste man europaweit machen. National ist das sogar gefährlich. Weil dann der vergünstigte österreichische Strom nach Norditalien oder nach Bayern auswandern würde und wir die bayerische Industrie und die norditalienischen Verbraucher subventionieren.
Apropos europaweit: Wie könnte man die europäischen Energie- und Gasnetze verbessern, um nichtrussisches Gas unter den Mitgliedsländern zu verteilen?
Wir haben im europäischen Gasnetz viele Löcher. Oft sind das keine großen Löcher, sondern bloß ein paar Kilometer. So ist zum Beispiel der große Speicher Haidach nicht an das österreichische Netz angebunden. Da müsste man nicht groß Leitungen bauen, sondern vielleicht nur ein Ventil aufschrauben. Ein erster Schritt wäre, an ein paar neuralgischen Stellen die Lücken zu schließen. Kostet nicht die Welt und könnte schnell gehen.
Bleiben Sie dabei, dass Russland die Sanktionen härter treffen, als die EU?
Man muss unterscheiden zwischen den wirtschaftlichen und den politischen Effekten. Wirtschaftlich treffen die Sanktionen Russland auf jeden Fall härter. Das Land hat eine doppelt so hohe Inflationsrate, wie wir sie haben. Und es ist schon in einer heftigen Rezession, während wir uns einstweilen nur vor einer fürchten müssen. Mit den Sanktionen wollen wir aber den Russen nicht in erster Linie wirtschaftlich weh tun, sondern es geht darum, dass Russland seine Politik ändert. Und da muss man sagen, dass die politischen Effekte in Russland bisher gering sind, während dem sie bei uns groß sind. Wir haben ja schon eine massive Diskussion, bis hin zum Pfeifkonzert bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele für den eigentlich populären Bundespräsidenten.
Wie haben Sie das erlebt?
Befremdlich. Aber es zeigt, dass eine Wut da ist. Und dass die Solidarität mit der Ukraine bröckelt.
Die EZB hat eine historische Entscheidung getroffen und die Zinsen auf 0,5 Prozent erhöht. War das richtig?
Absolut. Überfällig würde ich sagen. Für uns Österreicher wäre es besser gewesen, wenn dieser Schritt früher gekommen wäre. Für die Eurozone ist es leider nicht ganz so klar. Dass die Kommunikation nicht viel früher „falkenhafter“ geworden ist, halte ich für ein großes Versäumnis.
Falkenhafter?
Das ist ein Begriff, der sich aus der Zoologie eingebürgert hat. Die Falken sind jene, die für eine strenge Geldpolitik plädieren, für einen harten Euro und für eine strikte Trennung zwischen der Agenda der Notenbank und der Agenda des Finanzministers. Die Tauben sind da großzügiger. Der österreichische Nationalbank-Gouverneur gehört wohl eher zu den Falken. Er hat getan, was er tun kann. Wir sind ein kleines Mitglied der großen Währungsunion. Holzmann hat die österreichischen Interessen vertreten.
In fünf Jahren werden wir die Spuren dessen sehen, was jetzt passiert. Die Corona-Krise, die hohen Energiepreise. Aber wir können das meistern, da bin ich mir ziemlich sicher.
Felbermayr über die Zukunft
Und EZB-Chefin Christine Lagarde?
Frau Lagarde ist, bisher jedenfalls, eine Taube. Anders als in der Zoologie kann es in der Finanz jedoch Transformationen geben und eine Taube kann unter Umständen zum Falken mutieren. Das würde ich Lagarde wünschen.
Wann war eigentlich der Moment, in dem Sie gespürt haben, dass Sie Wirtschaft mehr als alles andere interessiert?
Das war schon im Stiftsgymnasium, ich war vielleicht 16 oder 17. Wir hatten einen Geografie- und Wirtschaftskundelehrer, der so richtig begeistert hat. Dieser Funke ist auf mich übergesprungen.
Stimmt das Vorurteil über Ökonomen? Sie wissen für jedes Problem auf der Welt eine Lösung und tun nichts lieber, als diese Welt zu erklären.
Das Erklären mag ich gerne. Das ist auch die Aufgabe des WIFO-Chefs, den Leuten eine komplexe Lage verständlich zu machen und ihnen auch da oder dort die Angst zu nehmen. Es stimmt auch, dass wir Ökonomen immer oder sehr häufig EINE Lösung haben, aber wir sollten auch so viel Bescheidenheit haben zuzugeben, dass es nicht immer DIE Lösung ist. Wenn es uns gelingt, mit einer ökonomisch fundierten Lösung auch politisch Gehör zu finden, dann ist das aber ein Erfolgsmoment.
Angst haben im Moment viele Menschen. Wie wird die Welt Ihrer Meinung nach in fünf Jahren aussehen?
Ich bin trotz allem optimistisch. Wir haben in Österreich so viel Talente, so viele gut ausgebildete Menschen, so viele auf den Weltmärkten erfolgreiche Unternehmen, die in ihrer Geschichte schon so oft gezeigt haben, dass sie mit Krisen umgehen können. Wir werden auch mit den jetzigen Herausforderungen fertig. In fünf Jahren werden wir die Spuren dessen sehen, was jetzt passiert. Die Corona-Krise wird noch immer nachwirken, die hohen Energiepreise werden uns ein bisschen ärmer gemacht haben, als wir es sonst gewesen wären. Aber wir können das meisten, da bin ich mir ziemlich sicher.
Gibt es ein Erlebnis aus Ihrer Kindheit, mit dem Sie noch heute Optimismus abrufen können?
Das waren unsere Bergwanderungen. Wie die meisten Kinder mochte ich sie nicht besonders. Aber nach dem schweißtreibenden und uncoolen Aufstieg dann oben am Gipfel zu stehen und auf die Landschaft und die Heimat hinunterzuschauen, dieses Gefühl hat mich für immer geprägt. Ich habe daraus für das Leben gelernt, dass man zu nichts kommt, wenn man nicht bereit ist in Vorleistung zu gehen. Das gilt im Job und in Beziehungen. Nur wer auch investiert, wird belohnt.
Geboren am 24. Juni 1976 in Steyr, aufgewachsen in Bad Hall. Die Eltern sind, wie sein jüngerer Bruder Nikolaus, Mittelschullehrer. Gabriel Felbermayr besucht die Klosterschule im Zisterzienser-Stift Schliersbach und studiert Handelswissenschaften und Volkswirtschaftslehre an der Uni Linz. Nach Stationen u.a. beim Europäischen Hochschulinstitut in Florenz und der Topmangement-Beratungsfirma McKinsey & Co leitet der vielfach ausgezeichnete Ökonom 2010 bis 2019 das ifo Zentrum für internationale Wirtschaft an der Universität München und von 2019 bis September 2021 das Kiel Institut für Weltwirtschaft als Präsident. „Aus Heimweh“ geht er nach Wien, wo er seit 1. Oktober 2021 dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) in Wien als Direktor vorsteht. Felbermayr ist verheiratet mit der Französin Sophie, das Paar hat drei Töchter (11, 13 und 15 Jahre alt).
Letzte Frage: Sie sehen Minister Kocher sehr ähnlich. Könnte es sein, dass Sie beide denselben Friseur haben?
Lacht und streicht sich über den glänzenden Kopf. - Wir haben das Privileg, keinen Friseur zu brauchen. Mit ein bisschen Hilfe meiner Frau kann ich das mit einem Rasierapparat selbst erledigen. Nicht gut für die arbeitsteilige Wirtschaft, aber sehr praktisch.
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