Weil er seinen geliebten Hund „Aris“ vor einem herannahenden Zug retten wollte, hätte er selbst fast das Leben verloren. Sertac Bagkan schildert der „Tiroler Krone“ nun das Wunder von Jenbach - „sein“ Wunder.
Rückblende: Der mittlerweile 35-jährige beliebte Chef der Pizzeria „Gusto Italiano“ in Jenbach macht am 5. April gegen 14.30 Uhr am Radweg an der Bahnstrecke zwischen Jenbach und Stans einen Spaziergang mit seinem Hund „Aris“. „Wir waren schon fast zurück, ich nahm ,Aris‘ von der Leine, um mit ihm zu spielen“, erzählt der gebürtige Kurde, der im Alter von drei Jahren mit der Familie nach Mayrhofen kam.
Als eine S-Bahn Richtung Innsbruck vorbeifährt, rennt das Tier plötzlich dem Zug nach – und Sertac dem Hund hinterher aufs Gleis. „Ich wollte ihn retten“, sagt er.
Herrchen in akuter Lebensgefahr
„Aris“ wird vom letzten Waggon erfasst und zurückgeworfen. Dann hat sein Herrchen einen Filmriss. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Sertac links am Kopf erwischt, Hund und Mensch liegen daraufhin regungslos nebeneinander zwischen Radweg und Böschung. Der Hund ist tot, Sertac am Kopf schwerst verletzt - akute Lebensgefahr! Notarzt, Hubschrauber, Klinik, Intensivstation.
Drei Schlaganfälle erleidet Sertac am ersten Tag, er wird notoperiert. „Die Ärzte gingen davon aus, dass ich – wenn überhaupt – ein Pflegefall bleiben würde“, erinnert er sich zurück. Die Lebensrettung scheint zu gelingen, wenngleich noch mehrere kritische Phasen eintreten.
Aus dem Koma erwacht
Am 2. Mai wird das Wunder von Jenbach endgültig Wirklichkeit: Sertac wacht aus dem Koma auf. Er kann zwar zunächst nicht richtig sprechen, doch will als Erstes wissen, wo sein Hund sei. „Ich hatte alles vergessen“, schildert er im Gespräch mit der „Krone“ bei sich daheim in Wiesing.
Ich stand auf einem Strand, die Sonne kam herunter. Dann war ein Weg vor mir, der zur Sonne führte.
Sertac Bagkan
Nahtoderfahrung im Koma: „Ich wollte leben!“
Während des wochenlangen Komas haben ihn Träume verfolgt – fast alle mit negativem Inhalt. Einen der Träume – eine Nahtoderfahrung – wird er nie vergessen. „Ich stand auf einem Strand, die Sonne kam herunter. Dann war ein Weg vor mir, der zur Sonne führte“, erzählt Sertac. Kurz überlegte er: „Soll ich da raufgehen?“ Doch er entschied sich anders: „Nein, ich gehe rechts weiter.“ Dass dies eine Entscheidung zwischen Leben und Tod gewesen sein dürfte, daran habe er damals nicht gedacht.
Positive Einstellung, unbändiger Wille
Der Unterländer kann am 26. Juni – zwei weitere Kopfoperationen später – auf der Normalstation der Klinik seinen 35. Geburtstag feiern. Und er verblüfft Ärzte und Schwestern nicht nur mit seiner positiven Einstellung und unbändigem Willen, sondern mindestens gleich mit seinen Genesungsfortschritten. Freilich – der Sehnerv an seinem linken Auge ist so stark verletzt worden, dass die Sehkraft links vorerst komplett verloren ging. „Die Ärzte meinen aber, dass sich das vielleicht noch bessern könnte“, hofft er.
Während des Krankenhausaufenthalts brach eine Riesenwelle der Anteilnahme über Sertac herein. Hunderte Genesungswünsche langten am Handy ein, unzählige Menschen aus vielen Ländern, die irgendwann einmal zu Gast in der Pizzeria der Familie waren, wünschten ihm das Allerbeste. Dazu brachte der Briefträger Karten und Geschenke, in der Kirche wurde für den Kurden gebetet, die Musikkapelle spielte auf.
„Wir bekamen zurück, was wir gegeben haben“
Sertac sucht nach einer Erklärung dafür: „Wir kommen aus einem Kriegsgebiet, sehen die Menschen anders. Meine Familie war stets für alle da. Das kam zurück.“
Im Anschluss an die Klinik folgte Therapie in Hochrum und Hochzirl, erst vor wenigen Tagen kehrte er in seine Wohnung nach Wiesing zurück. Um abzuschalten, ging Sertac schon wieder laufen und setzte sich sogar auf das Motorrad. „Ich habe damit einen Ausflug nach Brixen unternommen“, lacht der 35-Jährige auf seine unvergleichlich sympathische Art.
„80 Stunden Arbeit pro Woche sind zu viel“
Noch ist er Geschäftsführer der Familienpizzeria, sein Leben wird er aber umstellen. „80 Stunden Arbeit pro Woche sind zu viel“, weiß er inzwischen. Er will sich nun viel mehr gönnen.
Seine Ex-Freundin ließ „Aris“ – in Absprache mit Sertac – verbrennen. „Wir werden die Asche wohl auf einem Berg verstreuen“, sagt Sertac. Irgendwann werde er dann auch wieder einen Hund haben und mit dem Tier das Leben genießen.
Angst vor dem Tod wird ihn daran nicht hindern. Sertac: „Die habe ich nicht mehr!“
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.