Bedienstete an diversen österreichischen Gerichten packen über ihren Arbeitsalltag aus. Sie sprechen von Personalmangel, „diskriminierenden“ Gehältern und aufgeblähten Verfahren.
Der Hilferuf von Justizwachebeamten der Anstalt Graz-Jakomini hat anderen Betroffenen Mut gemacht, sich auch an die „Krone“ zu wenden. Mehrere Mitarbeiter von österreichischen Gerichten, die anonym bleiben möchten, schildern ebenfalls bedenkliche Zustände. „Wir sehen die große Gefahr, dass das ganze System bald kollabieren wird. Wir haben schon lange unsere Belastungsgrenzen erreicht. Wenn die Rechtssprechung auch weiterhin gewährleistet sein soll, muss sich dringend etwas ändern, sonst haben wir italienische Verhältnisse - das will niemand“, lassen die Mitarbeiter aufhorchen. Die Bezirksgerichte seien massiv betroffen, die Problematik treffe mittlerweile allerdings auch Landes- und Oberlandesgerichte.
„Hoffen tagtäglich, dass ja niemand krank wird“
Eines der Hauptthemen ist der eklatante Personalmangel. „Wir hoffen tagtäglich inständig, dass keiner krank wird, niemand kündigt oder in Karenz geht. Denn fällt nur ein Kopf im System weg, ist die Arbeit kaum mehr zu kompensieren“, sagen die Mitarbeiter. „Möchte man selbst auf Urlaub gehen oder sich fortbilden lassen, ist das kaum möglich, denn es gibt so gut wie keine Vertretungen, und die Arbeit muss, sobald man zurückkehrt, aufgearbeitet werden.“ Vereinzelt komme es sogar vor, dass Kollegen ihren Urlaub verfallen lassen. Und auch zahlreiche Überstunden sind an der Tagesordnung. „Die Gefahr, dass Mitarbeiter an Burn-out erkranken, ist nicht abwegig“, betonen die Kenner.
„Gehälter sind in gewisser Weise diskriminierend“
Kritik üben die Mitarbeiter auch an der Entlohnung: „Die Gehälter sind in gewisser Weise diskriminierend. Wir haben Ausbildungszeiten von bis zu fünf Jahren, doch bereits die Einstiegsgehälter sind unattraktiv. Kanzleibedienstete verdienen 1814,50 Euro brutto, wie sollen sie sich eine Wohnung in der Stadt leisten können?"
Die Privatwirtschaft suche händeringend nach qualifiziertem Personal, biete deutlich mehr Gehalt, Abwanderungen seien daher zu verzeichnen. „Der gesamte Bundesdienst ist hier mittlerweile völlig ins Hintertreffen geraten. Und das Argument, dass man beim Bund einen sicheren Job innehat, interessiert heutzutage auch so gut wie niemanden mehr“, behaupten sie.
Eine weitere Problematik sei die Tatsache, dass im Zuge von Gesetzesnovellen relativ gut funktionierende Verfahren deutlich aufgebläht wurden - ohne dass etwa das dafür notwendige Personal vorhanden ist, schildern die Kenner. In einigen Sparten habe es sogar Petitionen gegeben, im Zuge derer die Mitarbeiter ihre Namen preisgegeben haben - „innerhalb der Justiz ist das ein absolutes Novum“.
„Es nützt alles nichts, keiner unternimmt etwas“
Die Probleme seien im Ministerium seit Langem bekannt, doch es nütze alles nichts. „Die Justiz stirbt einen langsamen Tod, keiner unternimmt etwas dagegen - auch nicht Justizministerin Alma Zadic. Vielleicht dringen diese Probleme gar nicht bis zu ihr vor?“, heißt es. Und komme es erneut zu einem Ministerwechsel, beginne alles wieder von vorne.
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, will das Justizministerium alles daransetzen, attraktive Arbeitsplätze und Bedingungen zu schaffen - etwa mittels Homeoffice. „Bei den Personalplanverhandlungen 2020 und 2021 ist es dem Justizressort gelungen, zusätzliche Kräfte zu erhalten. So kamen für die Unterstützung der Gerichte und Staatsanwaltschaften 2020 insgesamt 100 Planstellen für den Bereich des Allgemeinen Verwaltungsdienstes dazu. Zudem konnten 300 Planstellen des mittleren Dienstes in höherwertige des Fachdienstes umgewandelt werden", zählt Julia Rieder, Sprecherin des Justizministeriums, auf.
Mit „Personaloffensive“ auf der Suche nach Verstärkung
Per 1. Juni 2022 seien im Bereich des Allgemeinen Verwaltungsdienstes bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften bundesweit bis auf weniger als 1,8 Prozent alle Posten besetzt gewesen. „Und es wurden zusätzliche Ausbildungsplanstellen für angehende Diplomrechtspfleger und Bezirksanwälte geschaffen.“
„Dennoch sieht sich die Justiz ganz allgemein mit dem Fachkräftemangel konfrontiert“, sagt Rieder. Man setze alles daran, attraktive Arbeitsplätze und Rahmenbedingungen zu schaffen. So sei das Projekt „Personaloffensive“ initiiert worden. Erwähnenswert seien die Intensivierung der Lehrlingsaufnahmen und -ausbildung, die Professionalisierung der Mitarbeiteraufnahme sowie das Online-Karriereportal.
Da sich das Gehalt in der Justiz nach den allgemeinen Gehaltssätzen für den öffentlichen Dienst richtet, sei die Schaffung von besoldungsmäßig attraktiven Arbeitsplätzen sowie von Aufstiegs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten wichtig in der Rekrutierungsoffensive. Auch mittels Flexibilisierung der Dienstzeiten oder Homeoffice sollen die Rahmenbedingungen weiter attraktiviert werden.
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