Wie nach 2. Weltkrieg

Zeugenberichte: Folter bei russischer „Filtration“

Ausland
27.07.2022 22:48

Betroffene Zivilpersonen haben am Mittwoch in Wien jene Verhöre, unmenschliche Behandlung sowie Folter beschrieben, die ihnen seit 24. Februar in von Russland neu besetzten Gebieten der Ukraine drohen. Die Rede war von der „Filtration“, der angeblich alle Ukrainer über 14 Jahre aus betreffenden Regionen unterworfen werden sollen. In russisch kontrollierten Teilen der Ostukraine soll es zumindest 18 Orte für diesen Zweck geben.

In der derzeit praktizierten „Filtration“ gebe es drei Stufen, erklärte am Mittwoch Stanislaw Miroschnytschenko von der ukrainischen NGO „Medieninitiative für Menschenrechte“ (MIPL). Nach einer vorläufigen „Filtration“ auf Checkpoints oder in Wohnungen kämen manche in einer zweiten Stufe für einige Wochen in „Filtrationslager“.

Dort würde es zu Leibesvisitationen kommen, sie würden fotografiert, es würden Fingerabdrücke abgenommen sowie Personendaten gesammelt. An diesen Orten würde psychologischer sowie physischer Druck auf die Insassen ausgeübt und es käme während Verhören auch zu Folter. Bekannt seien zudem einzelne Fälle von Tötungen.

(Bild: Sergei SUPINSKY / AFP)

Haftbedingungen „äußerst schlecht“
All jene, die nach der zweiten Stufe nicht freigelassen werden, würden schließlich in Gefängnisse und Strafkolonien in besetzten Gebieten der Ukraine transferiert. Hier herrschten äußerst schlechte Haftbedingungen, fehlte eine medizinische Versorgung und seien Fälle von Tötungen häufiger, sagte Miroschnytschenko. Konkrete Angaben, wie viele Ukrainer in den letzten Monaten bereits dieser „Filtration“ unterworfen gewesen sein könnten, konnte er nicht machen.

„Was passiert ist, kann nicht mit Worten wiedergegeben werden“, schilderte der 25-jährige Ex-Fußballer Ihor Talalaj, der im März als Freiwilliger geholfen hatte, Zivilisten aus Charkiw und anschließend auch aus Mariupol in sicherere Regionen der Ukraine zu evakuieren. Nachdem schon die Anreise mit Kontrollen an Checkpoints schwierig gewesen sei, habe am 19. März auf der Rückreise aus Mariupol einem Soldaten der von Russland kontrollierten „Donezker Volksrepublik“ sein Gesicht oder seine Kleidung nicht gepasst. Er sei dann in einem Vorort im Westen von Mariupol zu 30 weiteren Personen in einem drei Mal drei Meter großen Kellerraum gesteckt worden.

Russische Kriegsgefangene in einer Zelle in Kiew (Bild: Sergei SUPINSKY / AFP)
Russische Kriegsgefangene in einer Zelle in Kiew

Anwendung von Stromstößen als „Lügendetektor“
Bei Verhören sei er geschlagen worden und in Folge in ein Gefängnis in Oleniwka außerhalb von Donezk überstellt worden, wo die Folter noch brutaler geworden sei. Insbesondere sprach Talalaj von der Anwendung von Stromstößen, die als „Lügendetektor der DNR“ bezeichnet würden. Ich würde das niemandem wünschen, sagte der Freiwillige aus Dnipro, dessen Martyrium nach 88 Tagen mit seiner Freilassung endete.

Fakten

Mit der „Filtration“ greifen russische Geheimdienste eine Arbeitsweise auf, die vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg von ihren sowjetischen Vorläufern praktiziert worden war. Damals wurden Sowjetbürger, die auf von Deutschland okkupierten Gebieten oder im Ausland gewohnt hatten, einer politischen Kontrolle unterworfen und anschließend in vielen Fällen in den Osten der Sowjetunion deportiert.

Vergleichsweise Glück hatte indes der Musiklehrer und Bibliothekar Jurij Beresowskyj aus Starobilsk in der Region Luhansk, der nach der Besetzung seiner Heimatstadt einige Wochen lang in Furcht auf seine eigene „Filtration“ wartete. Nach einer Festnahme vor seinem Haus erfolgten schließlich zahlreiche Verhöre, wobei ihm auch mit der „Flasche“ gedroht worden sei. Gemeint ist  eine in Russland bekannte Foltermethode. Da in seinem Mobiltelefon jedoch nichts Belastendes gefunden worden sei und in Starobilsk auch bekannt gewesen sei, dass er keine Kontakte zum ukrainischen Militär habe, sei er schließlich wieder freigelassen worden.

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