Taxi-Geschichten

Fahrerin im Nachtdienst: Unbegründete Ängste

Wien
29.07.2022 19:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Für mein Buch „Ein Leben voller Abzweigungen“ und diese wöchentliche Kolumne habe ich mit Sicherheit mehr als 100 Fahrten getätigt, um mit Taxlern und Mietwagenfahrern über ihre Probleme, Sorgen, Erlebnisse und Erfahrungen zu sprechen. Da ich sie ganz normal per App rufe und nichts inszeniert ist, war tatsächlich keine einzige Fahrerin dabei. Das alles änderte sich vor wenigen Tagen, als mich Anastasia nach gut zehnminütiger Wartezeit an der Oberen Donaustraße im letzten Moment daran hinderte, im grellen Sonnenschein am erbarmungslosen Asphalt zu zerfließen. Dass ihre Klimaanlage zickte und die Zugluft durch die geöffneten Seitenscheiben wenig Hitzelinderung verschaffte, konnte ich in diesem Fall verkraften. Doch Anastasia treibt mir schon früh im Gespräch jegliches Klischeedenken aus dem Kopf und überrascht mit der selbstbewussten Ansage, dass sie am liebsten in der Nacht fahren würde.

„Ich weiß, was Sie jetzt denken. Dass man sich als Frau nicht hinaus trauen dürfe, weil die Stadt so gefährlich sei. Ich habe bisher genau das Gegenteil erlebt und kann mich nicht über schlimme Erlebnisse beklagen.“ Anastasia ist etwa 50 Jahre alt und fährt erst seit eineinhalb Jahren Taxi, Uber und Bolt - was halt in der multiplen Mietwagenindustrie gerade angefragt wird. Davor arbeitete sie jahrelang an der Kassa einer Tankstelle und hat dort wesentlich Schlimmeres erleben müssen, als mobil auf vier Rädern. „Ich sage Ihnen, in einer Tankstelle lebt man wesentlich gefährlicher. Zwei meiner Kolleginnen wurden ausgeraubt, eine sogar mit vorgehaltener Waffe. Ich hatte immer Glück, aber sowas prägt einen. Ich habe einige Monate lang überlegt und mich dann dazu entschlossen, beruflich umzusatteln.“

Anastasia stammt aus der Westukraine und wurde in Wien schon lange vor dem tragischen Kriegsausbruch heimisch. „Meine Mutter übersiedelte irgendwann nach Italien, aber dort ist die Mentalität ganz anders, das gefällt mir nicht so. Ich bin schließlich in Österreich gelandet und könnte mir keine bessere Stadt als Wien vorstellen.“ Zur Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte auch ein Teil der Ukraine zum Kaiserreich. Anastasias Vorfahren haben dort gelebt, weshalb sie ihre neue Heimat gleichzeitig als alte Heimat betrachtet. Über den Grund ihres Österreich-Umzugs muss sie verschmitzt lachen, weil sie nicht so recht weiß, wie sie die Geschichte erzählen soll. „Ich habe einmal im Garten eine alte Münze, ich glaube, es war ein Kreuzer, aus dieser Zeit gefunden. Darauf war das Wappen abgebildet, was mich dazu animierte, Österreich zu besuchen.“

So kommt Anastasia 2003 erst auf Besuch, 2010 wird sie fix heimisch. „Einige Verwandte wurden in allen Richtungen Europas sesshaft und ich habe mich hier sehr schnell wohlgefühlt.“ Seit einem halben Jahr fährt Anastasia des Öfteren ihre alten Landsleute durch die Stadt. „Es ist traurig, wenn man die Schicksale der Menschen und ihrer Familien hört. Mein Bruder ist selbst noch in der Ukraine, aber so weit im Westen, dass hoffentlich nichts passiert. Wenn man sieht, wie viele junge Menschen für nichts sterben, dann wird einem ganz anders.“ Oft bekommt sie von Ukrainern die Frage gestellt, ob Wien als dauerhafte Destination gut wäre. Anastasia beginnt sofort zu strahlen. „In dieser Stadt leben so viele Nationen und Kulturen und alle meist in gutem Einvernehmen. Ich möchte nirgends anders hin.“

Vor allem dann nicht, wenn die Nächte als Taxlerin weiter so problemlos verlaufen. „Natürlich hat man Betrunkene oder manchmal auch Aggressive als Fahrgäste, aber ich habe damit keine schlechten Erfahrungen gemacht. Es blieb immer alles im Rahmen.“ Einmal seien ihr drei junge Mädchen ausgebüxt, die ihre 15 Euro Fuhrlohn nicht bezahlen wollten, das habe die Polizei schnell geregelt. Gefährlicher sind chauvinistische Kollegen aus anderen Kulturkreisen. „Ein afghanischer Fahrer hat mich einmal wie den letzten Dreck behandelt, mich die ganze Zeit von meinem Stellplatz weggescheucht und beschimpft. Er hat Frauen nicht als gleichwertige Menschen akzeptiert und sich ungebührlich verhalten. Da war ich noch neu und wusste nicht, was ich dagegen machen sollte, also fuhr ich wirklich woanders hin.“ Heute könnte man das mit Anastasia längst nicht mehr machen. „Ich lasse mir sicher nichts mehr gefallen.“

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