Filzmaier fragt nach

Aus für die Quarantäne und viele Widersprüche

Politik
31.07.2022 06:01

Coronainfizierte dürfen ab morgen mit Maske sowohl zur Arbeit als auch in der Freizeit fast überallhin. Diese Entscheidung der Bundesregierung ist umstritten. Die Kommunikation war chaotisch. Politikwissenschafter Peter Filzmaier hat bei Gesundheitsmanagerin Reich und Infektiologe Thalhammer nachgefragt.

Peter Filzmaier: Frau Doktorin Reich, Sie haben - mit allem Respekt - letzte Woche in unserem Gespräch ein wenig herumgeeiert, ob die Quarantänepflicht fällt. Ich verstehe, dass Sie dem Gesundheitsminister nicht vorgreifen konnten. Können Sie mir jetzt erklären, warum Ottilie Normalverbraucherin - im Großraumbüro arbeitend, zwei Kinder, betagte Eltern mit womöglich Vorerkrankungen - den Wegfall der Quarantäne gut finden soll?
Katharina Reich (denkt länger nach): Ich denke bei Ihrem Fallbeispiel an eine Freundin, für welche die Dinge während einer Coronainfektion organisatorisch sehr kompliziert waren. Ich glaube, dass hier jede Vereinfachung eine Erleichterung bringt. Sie darf jetzt mit Maske die Wohnung verlassen, um den Alltag zu organisieren, also Erledigungen zu machen und so weiter. Es wird also insgesamt einfacher.

Katharina Reich ist Allgemeinmedizinerin und seit Dezember 2020 Sektionsleiterin und Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium in Wien sowie Vorsitzende der Coronakommission, Co-Vorsitzende der Taskforce GECKO und weiters Mitglied des nationalen Impfgremiums. (Bild: APA/Helmut Fohringer)
Katharina Reich ist Allgemeinmedizinerin und seit Dezember 2020 Sektionsleiterin und Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium in Wien sowie Vorsitzende der Coronakommission, Co-Vorsitzende der Taskforce GECKO und weiters Mitglied des nationalen Impfgremiums.

Herr Professor Thalhammer, Sie waren gegen eine Aufhebung der Quarantäne und stattdessen für deren Verkürzung bei einer Medikamenteneinnahme. Haben wir nun bestenfalls die zweitbeste Lösung?
Florian Thalhammer: Die Regelung ist nach dem Motto: „Wasch mir den Pelz, aber mache mich nicht nass!“ Da hätte man gleich die Maskenpflicht für Infizierte weglassen und bloß auf die bei uns zu wenig vorhandene Eigenverantwortung vertrauen können. In einer Verordnung stattdessen vorzuschreiben, dass jemand infiziert ist und ins Restaurant gehen darf, dort jedoch eine Maske aufbehält, weil er ja ohne zu essen damit plaudern darf ... Das kann nicht funktionieren!

Die Mehrheit der Experten in der gesamtstaatlichen Krisenkoordination GECKO sagt - ich zitiere den Molekularmediziner Andreas Bergthaler: „Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund für das Ende der Quarantänepflicht.“ Warum konnten Sie Bergthaler nicht überzeugen?
Reich: Das müssen Sie ihn fragen. Das Diskussionsthema in der GECKO war jedoch weniger die Furcht vor explodierenden Infektionszahlen, sondern die Befürchtung, dass sich die Menschen angesichts einer Symbolwirkung des Wegfalls der Quarantäne leider noch weniger impfen lassen und im Erkrankungsfall keine Medikamente nehmen.

Na ja, die GECKO warnt auch vor „unkalkulierbaren Risiken“. Ich muss sowieso mit Ihnen auch über Kommunikation sprechen. Wie haben Sie als Arzt von der Verordnung über das Quarantäneende erfahren?
Thalhammer: Ich habe im Krankenhaus erzählt bekommen, dass die Medien voll mit einem diesen offenbar zugespielten Verordnungsentwurf sind.

Florian Thalhammer ist Infektiologe an der Medizinischen Universität Wien, stellvertretender Ärztlicher Direktor und Epidemiearzt am Universitätsklinikum Allgemeines Krankenhaus (AKH) sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (ÖGIT). (Bild: APA/HERBERT NEUBAUER)
Florian Thalhammer ist Infektiologe an der Medizinischen Universität Wien, stellvertretender Ärztlicher Direktor und Epidemiearzt am Universitätsklinikum Allgemeines Krankenhaus (AKH) sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (ÖGIT).

Warum erfahren mitten in der Coronapandemie sowohl ein führender Epidemiearzt als auch wir alle eine so grundlegende Entscheidung durch ein Informationsleck?
Reich: Das müssen Sie die Politik fragen.

Auch das ist eine klare Antwort. Landeshauptleute der SPÖ sagen, sie hätten vom Ende der Quarantäne auch erst aus den Medien erfahren. Die Verordnung sollten sie im Unterschied zu den Länderchefs der ÖVP begutachten, nachdem der Gesundheitsminister längst unterschrieben hatte. Die türkis-grüne Bundesregierung bestreitet das. Was stimmt?
Reich: Auch das ist außerhalb der Wirkungsbereiche von Professor Thalhammer und mir.

Wir wissen nicht, wer hier die Wahrheit sagt. Es erscheint mir aber unmöglich, dass man nicht weiß, wem man einen Verordnungsentwurf schickt, oder nicht bemerkt, wann man ihn bekommt. Also erzählen uns entweder die einen oder die anderen Politiker Unwahrheiten.
Reich und Thalhammer:
… (Schweigen)

Peter Filzmaier ist Politikwissenschafter an der Universität für Weiterbildung Krems und der Karl-Franzens-Universität Graz sowie Leiter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien. (Bild: Sepp Pail)
Peter Filzmaier ist Politikwissenschafter an der Universität für Weiterbildung Krems und der Karl-Franzens-Universität Graz sowie Leiter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien.

Dann zu einem inhaltlichen Widerspruch, wie sich die Coronazahlen im Herbst entwickeln
Thalhammer (unterbricht): Haben Sie eine Glaskugel? Ich nicht.

Unsere Politiker auch nicht. Der grüne Gesundheitsminister Johannes Rauch bezeichnet das Quarantäneende als richtige Balance von Gesundheitsvorsorge sowie gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Leben. Der rote Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker kontert, im September fliegen uns die Infiziertenzahlen um die Ohren, und wir haben Chaos. Ist da nicht einer von beiden bald rücktrittsreif, weil sich entweder Rauch als gefährlicher Verharmloser oder Hacker als verantwortungsloser Panikmacher entpuppt?
Thalhammer: Wenn sich im Herbst möglichst viele impfen lassen und im Erkrankungsfall rechtzeitig Medikamente einnehmen, wäre das Problem gelöst. Doch glaube ich leider selbst nicht daran.

Diskutierten in der „Krone“: Peter Filzmaier (li.), GECKO-Chefin Katharina Reich und der Infektiologe Florian Thalhammer. (Bild: Peter Tomschi)
Diskutierten in der „Krone“: Peter Filzmaier (li.), GECKO-Chefin Katharina Reich und der Infektiologe Florian Thalhammer.

Das Gesundheitsministerium argumentiert, dass Maßnahmen und Quarantäne immer weniger eingehalten wurden. Aber darf ein Staat kapitulieren, weil immer weniger Menschen seine Vorschriften befolgen? Da könnte ich ja auch die Promillegrenze im Straßenverkehr oder das Steuerrecht abschaffen, weil es viele alkoholisierte Autofahrer gibt und durch Schwarzarbeit Milliarden erwirtschaftet werden.
Reich: Die Überlegung ist ja nicht: „Schaffen wir alles ab, ihr befolgt es eh nicht!“, sondern ob die Quarantäne noch das angemessene Mittel zur Pandemiebekämpfung ist. Mir geht es vor allem um eines: Bei Omikron haben viele Menschen fast oder gar keine Symptome und fallen trotzdem für den Arbeitsprozess aus. Daher gibt es viele Länder, die mit anderen Methoden als Absonderung die Pandemie bekämpfen, ohne dass es ihnen sofort schlechter geht.
Thalhammer: Wenn Sie ohne Symptome nach einem positiven Test Maske tragen, ist die Ansteckungsgefahr bei der Arbeit nicht groß. Das Problem ist die Ansteckung in der Freizeit.

Das Impfpflichtgesetz ist abgeschafft, die Verordnung zur Quarantänepflicht aufgehoben. Als Laie weiß ich nicht, ob wir bei neuen Virusvarianten beides wieder brauchen könnten. Wenn ja, dauert das formal im Verordnungsfall wenige Tage, bei Gesetzen Monate. Nur was ist realpolitisch denkbar? Sie haben als Gesundheitsmanagerin eine schwierige Aufgabe, doch falls Sie wiederum politische Kehrtwendungen vollziehen und kommunizieren müssen, wird Ihr Job dann nicht zum Himmelfahrtskommando?
Reich: Das ist er schon die ganze Zeit (lacht). Trotzdem ist je nach Pandemieentwicklung so eine Möglichkeit, dass wir wieder eine Quarantäne einführen müssen, durchaus realistisch.

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