Der Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi, der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, bringt die chinesische Regierung unter Xi Jinping zur Weißglut: Offen drohte die Regierung in Peking dem Inselstaat und seinen Verbündeten am Mittwoch mit militärischen Konsequenzen. Doch Taiwan hat für den Fall einer Invasion ein Ass gegen den übermächtigen Nachbarn im Ärmel: seine weltweit führende Chipindustrie, ohne die sowohl in China als auch im Rest der Welt heute rein gar nichts geht …
Taiwan ist mit 23 Millionen Einwohnern bei der Bevölkerungsgröße ein Zwerg, aber ein echter Gigant in der internationalen Chipindustrie: Kein anderer Staat der Erde kann es im Halbleiterbereich mit den taiwanesischen Chipriesen, allen voran Branchenprimus TSMC, aufnehmen.
AMD, Apple, Nvidia, Qualcomm - alle fertigen in Taiwan
Der weltgrößte Chipfertiger betreibt die meisten seiner Werke in der taiwanesischen Heimat - und zählt mit Apple, AMD, Nvidia und Qualcomm einige der größten Namen der Hightech-Branche zu seinen Kunden. Und TSMC ist nur die Spitze des taiwanesischen Chip-Eisbergs, hebt das IT-Portal „Heise“ in einer Analyse hervor. Auch UMC, die Nummer drei am globalen Chipmarkt, ist in Taiwan daheim - und unter anderem für die globale Autoindustrie von entscheidender Bedeutung.
Niemand kann TSMC mit Gewalt kontrollieren.
TSMC-Chef Mark Liu
Wie wichtig diese Unternehmen für Taiwans Wirtschaft sind und wie selbstbewusst sie daher gegen den übermächtigen Nachbarn auftritt, zeigte sich kürzlich in einem Interview, das TSMC-Boss Mark Liu dem US-Fernsehsender CNN gab. Darin erklärte der Chef der mit einem Börsenwert von 425 Milliarden US-Dollar wertvollsten Firma Asiens: „Niemand kann TSMC mit Gewalt kontrollieren.“
Im Falle einer chinesischen Invasion würden TSMCs weltweit führende Chipfabriken schlicht nicht mehr funktionieren. Liu: „Es handelt sich um so hoch entwickelte Produktionsanlagen, dass sie von der Echtzeit-Anbindung an die Außenwelt - Europa, Japan, die USA - abhängig sind.“ Dabei gehe es etwa um Materialien, Chemikalien, Maschinen, Ersatzteile und Software.
Auch China ist abhängig von Taiwans Chipfabriken
Auch Peking müsse ein Interesse daran haben, dass Asiens wichtigstes Unternehmen weiter hoch entwickelte Mikrochips herstelle, analysiert der TSMC-Chef. Denn chinesische Rivalen wie der Halbleiterkonzern SMIC hinken TSMC bei der Fertigungstechnik hinterher. Sie versuchten in den vergangenen Jahren zwar, auch durch das Abwerben von TSMC-Personal, den Anschluss zu schaffen. Noch ist das aber nicht geglückt.
Aktuell machen chinesische Abnehmer aber immer noch ein Achtel des TSMC-Gesamtumsatzes aus, was einem Volumen von zwei Milliarden US-Dollar entspricht. Hinzu kommen andere bei TSMC gefertigte Chips, die in China weiterverarbeitet werden. AMD beispielsweise lässt seine Prozessoren, die dann zum Teil in chinesischen Computerfabriken weiter verbaut werden, ausschließlich bei TSMC produzieren.
Bilderstrecke: Wie es in einer TSMC-Fabrik aussieht
Ohne Taiwan-Chips käme Wirtschaft zum Erliegen
Wie bedeutend Taiwan für die globale Halbleiterindustrie ist, zeigt sich auch bei den Marktanteilen: Der Marktforscher Trendforce schätzt den nach Umsatz berechneten taiwanesischen Anteil an der globalen Chipindustrie auf rund zwei Drittel. Bei der Fertigungskapazität ist Taiwan mit 48 Prozent ebenfalls ein Gigant. Käme es zu einer Invasion und käme die taiwanesische Chipindustrie dadurch zum Erliegen, würde dies einer Katastrophe gleichen und Schockwellen in die Weltwirtschaft aussenden. Ganze Branchen, die auf Halbleitertechnologie aus Taiwan angewiesen sind, kämen zum Erliegen. Der Chipmangel, der in den letzten Jahren etwa wiederholt zu Kurzarbeit bei Autoherstellern führte, wäre dagegen geradezu harmlos.
Diese Aussichten sorgen in Taiwan für Zuversicht, dass der übermächtige Nachbar eine Invasion nicht wagen würde. Taipeh sieht seine global führende Chipindustrie als Lebensversicherung: Solang unzählige große Unternehmen - in Nordamerika genauso wie in Europa oder eben China - von Taiwans Chip-Expertise abhängig sind, werden sich im Falle einer chinesischen Aggression auch Verbündete finden, die an Taiwans Unabhängigkeit interessiert sind. Grundsätzlich, appelliert Liu an die Vernunft der politischen Akteure, bringe ein Krieg niemandem etwas. Wenn Russlands Invasion der Ukraine eines zeige, dann nur, dass alle Seiten verlieren.
Konflikt hat seinen Ursprung 1949
Dass der kleine Inselstaat vor Chinas Küste die Regierung in Peking überhaupt derart in Rage versetzt, hat historische Ursachen: 1949 endete der chinesische Bürgerkrieg zwischen der Kommunistischen Partei Mao Zedongs und der nationalistischen Kuomintang-Partei unter Maos Widersacher Chiang Kai-shek damit, dass sich die unterlegenen Nationalisten nach Taiwan zurückzogen und dort die Republik China ausriefen. Es kam zum Streit mit der kommunistischen Volksrepublik. Beide Seiten betonten, es könne nur ein China geben und stellten den Führungsanspruch.
Der Konflikt schwelt seit Jahrzehnten. Damit es zu keiner Eskalation kommt, erkennen die meisten westlichen Länder Taiwan heute nicht als Staat an, behandeln es aber wie einen. Im Streit mit Peking begrub Taipeh seine Rückeroberungspläne später wieder und wandelte sich unter der Schutzmacht USA von einer Militärdiktatur zur Demokratie. In Peking festigten die Kommunisten ihre Macht, dort hat Präsident Xi Jinping die Rückholung der „abtrünnigen Provinz“ immer noch auf seiner Agenda.
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