An diesem Sonntag vor 90 Jahren wurde die schier unglaubliche Erfolgsstory des Österreichers Alexander Stirling mit dem Marathon-Olympiasieg seines Schützlings Juan Carlos Zabala in Los Angeles 1932 gekrönt. Es ist ein goldenes Märchen, das selbst in rot-weiß-roten Leichtathletik-Fachkreisen unbekannt ist. Alexander Stirling, in seiner aktiven Zeit als Hoch- und Stabhochspringer, ein Rapidler, war 1923 nach Argentinien ausgewandert, hatte in Buenos Aires in einem Waisenheim das Talent des Juan Carlos entdeckt und den Argentinier bis zum Olympia-Gold 1932 geführt.
Zum 90-Jahr-Jubiläum erscheint in Buenos Aires auch ein neues Buch über Zabala mit einem eigenen Kapitel über Stirling, der in Argentinien weiter hoch geschätzt wird, aber in seiner Heimat total vergessen ist. Zudem tauchte jetzt in Buenos Aires ein bislang kaum bekanntes Video auf, das Zabala und Stirling gemeinsam nach dem Zieleinlauf im „Coliseum“ zeigt.
Die Geschichte des Marathon-Sieges von Zabala, der ein Jahr zuvor in Hütteldorf einen sensationellen 30.000-m-Weltrekord aufgestellt hatte, ist Tausende Male erzählt worden. Dabei wird nicht nur der spannende Verlauf auf der Strecke außerhalb des Stadions, sondern immer wieder das dramatische Finale im „Coliseum“ geschildert, bei dem vier Läufer gleichzeitig auf der letzten Runde waren und Zabala in der neuen olympischen Rekordzeit von 2:31:36 gewann. Dies alles ist hinlänglich bekannt. Spannend ist aber, einmal nachzuvollziehen, wie der Österreicher diesen denkwürdigen 7. August 1932 als Coach selbst erlebt hat und wie die Reaktionen in seinem Heimatland ausfielen …
„Gebrauch deinen Kopf“
Die Bilder, wie Zabala als Führender des um 15.30 Uhr gestarteten Rennens das Olympiastadion verließ, gingen vor 90 Jahren um die die Welt und sind in unzähligen Zeitungen und Büchern abgedruckt worden. Stirling selbst verfolgte den Marathonlauf in einem Begleitauto. So erlebte der Österreicher entlang der Strecke, die laut dem „Official Report of The Games“ von einer halben Million Zuschauer gesäumt wurde, wie Zabala seinen Vorsprung zunächst ständig vergrößerte.
Der Österreicher deutete seinem Schützling mehrmals, er solle etwas langsamer laufen. Der Coach bezweifelte, dass Zabala diesen hohen Rhythmus halten könnte. Die Finnen unternahmen jenes Teamwork, das Stirling befürchtet hatte. Er musste mit ansehen, wie Virtanen näherkam und Zabala beim 31. Kilometer überholte. Der Trainer soll zu seinem Läufer gerufen haben: „Gebrauch deinen Kopf!“ Den Mitfahrenden im Auto habe er gesagt: „Ich denke nicht, dass er gewinnen wird. Er ist mit übermäßigem Selbstvertrauen in seine eigene Stärke gelaufen.“ Es heißt, Zabala habe die Anordnungen, die Stirling ihm vom Straßenrand und den Kreuzungen gegeben „weder gehört noch befolgt“. „Denn Zabala hatte sich seinen eigenen Plan zurechtgelegt.“ Stirling gab ihm keine Siegchance mehr.
Schließlich fuhr der Österreicher enttäuscht ins Stadion zurück. Dort teilte er einer Gruppe Argentinier mit, dass Zabala das Rennen verloren habe. Dies ist drastisch geschildert worden. Stirling, „zersaust und außer sich“, habe über Zabala gesagt: „Durch den Kampf mit den Finnen ist er kaputt! Er wollte die Führung nicht abgeben und dann kam der Engländer, um ihn zu erledigen. Der Junge ist gebrochen.“ So warteten Alexander Stirling und mit ihm 75.000 Zuschauer im Stadion auf die Ankunft des Marathonsiegers.
„Zabala war besser, als ich dachte!“
Als die Trompetenfanfaren den Führenden ankündigten, wird selbst Stirling seinen Augen nicht getraut haben. Zabala, der nach 38 Kilometern Wright überholt hatte, gewann in 2:31:36. Hinter dem Argentinier blieben auch der Brite Sam Ferris (2:31:55) und Armas Toivonen (2:32:12) unter der zuvor seit 1920 bestehenden olympischen Bestzeit von Hannes Kolehmainen (Fin/2:32:35,8). Dunky Wright blieb als Vierter in 2:32:41 nur knapp über dieser Zeit.
Die Dramatik des Rennens, der Zusammenbruch nach dem Rennen, eine angebliche Ohnmacht bei der Siegerehrung (die Zabala später selbst aufklärte) verstärkten den Mythos um den Marathon-Olympiasieger von 1932. Stirling, der seinen Schützling schon abgeschrieben hatte, tat dazu das Seine. Er sprach von einem „erstaunlichen Kunststück“ und stufte Zabalas Leistung als „fast übermenschlich“ ein. So bekannte er, dass sein Athlet „besser war, als ich dachte“. Zabala, der nicht auf die Anweisungen des Trainers gehört und vielmehr seinen eigenen Stärken vertraut hatte, dankte Stirling nach dem Rennen, „meinem Freund, Trainer und Ersatzvater“.
„Teils österreichischer Erfolg“
In zahlreichen österreichischen Tageszeitungen wurde herausgestrichen, dass Zabala durch seinen 1931 in Hütteldorf erzielten Weltrekord den Wienern bekannt sei. Alexander Stirling wurde in vielen Berichten gewürdigt, beispielsweise in der „Illustrierten Kronen Zeitung“: Zabalas Erfolg „ist zum Teil auch ein österreichischer Erfolg, da sein Trainer, der ehemalige Wiener-Neustädter Leichtathlet Stirling, den Argentinier auf die jetzige sportliche Höhe brachte.“
Oder: „Der beste unter seinen Freunden, dem Juan Zabala zum großen Teil seinen Überraschungssieg verdankt, ist Stirling, der vor Jahren in Wien in den Farben Rapids gestartet ist und der in Argentinien den jungen Läufer Zabala trainiert hat“ („Die Stunde“). Stirling habe schon ein Jahr zuvor in Wien „mit dem Marathonsiege seines Schützlings gerechnet und seine Erwartungen sind, wie man sieht, vollauf erfüllt worden“, schrieb der „Wiener Tag“. Zum generellen Abschneiden Österreichs betonte die „Freie Stimme“: „Aber auch die Tatsache ist festzustellen, daß die ausgezeichnete Schule Österreichs repräsentiert wurde durch Zabala (Argentinien)“, der ein Schüler des österreichischen Rapid-Leichtathleten Stirlings sei. So wurde Alexander Stirling 1932 in seiner Heimat gewürdigt.
Stirlings Bericht: „Ein wilder Kampf“
Mit einem Abstand von 24 Jahren schilderte Stirling in seinen unveröffentlichten „Aufzeichnungen eines Sport-Weltenbummlers“ den 7. August 1932. Dies ist ein rares Dokument! „An diesem Tag war mein Schützling Zabala bei bestem körperlichen Befinden. Ich war daher sehr zuversichtlich. Freilich, Wetter und Wind - Gegenwind oder Mitwind beispielsweise - legen bei diesen Rennen ein nicht geringes Gewicht mit in die Waagschale.
Seit 1920 galt Hannes Kolehmainens Siegerzeit von 2 Stunden 32 Minuten und 35,8 Sekunden als olympische Bestleistung. In Los Angeles waren Zabala und die folgenden zwei Läufer schneller. Zum erstenmal sah man beim Marathonrennen den Sieger als Ersten das Stadion verlassen und nach einem Kampf gegen Schwäche und Erschöpfung - geführt mit erbarmungsloser Energie - als Ersten wieder zurückkehren. Auch geschah es erstmalig, dass beim Finish vier Läufer gleichzeitig auf der Stadionbahn liefen.“
Schließlich kommentierte Stirling das Finish: „Die letzten 3000 Meter waren ein wilder Kampf, doch Zabala hielt eisern seinen Vorsprung fest. 28 liefen aus dem Stadion aus, 22 kamen zurück. Nach dreimaligen Trompetenstoss lief Zabala als Erster ein. Das Stadion explodierte in einem Jubelruf. Er schien erschöpft, strahlte aber über das ganze Gesicht.“
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