Siedler sind entsetzt

„Ordination darf nicht eingespart werden“

Ein letztes Mal zum Arzt des Vertrauens gehen, bevor die Praxis für immer geschlossen wird.

(Bild: Jöchl Martin)

Wegen der Schließung ihrer Arztpraxis: Floridsdorfer Siedler protestieren gegen Krankenkasse und Ärztekammer.

Es ist nur ein Kapitel in der traurigen Geschichte des Ärztemangels - symptomatisch für die Gesamtsituation: Weil der Allgemeinmediziner Dr. Kurt Kellner seine Ordination im Zentrum der Floridsdorfer Nordrandsiedlung wegen Pensionsantritt schließt und die Vergabe nicht neu ausgeschrieben wird, steigen die Bürger jetzt auf die Barrikaden.

„Er hat sich immer Zeit für die Patienten genommen, hat auch spätabends noch Hausbesuche gemacht“, berichtet der Obmann des Siedlervereins Nordrandsiedlung, Gottfried Krause, der „Krone“ bei einem Lokalaugenschein. Davon hätten vor allem die älteren Bewohner profitiert. Natürlich ist man deswegen auch länger im Wartezimmer gesessen, aber das war es den Patienten wert. „Das Problem ist, dass der Hausarzt dadurch weniger Scheine gemacht hat und für die ÖGK daher verzichtbar erscheint“, meint Krause.

Neue Gruppenpraxis ist 30 Gehminuten entfernt
Ab 13. August muss die Patientenschar von Dr. Kellner in eine Gruppenpraxis wechseln. Zu Fuß braucht man eine halbe Stunde. Das Auto ist auch keine Alternative, denn es gibt keine Parkplätze vor der Tür.

Wie vor allem die vielen älteren Menschen die weite Wegstrecke an die Landesgrenze bewältigen, interessiert scheinbar niemanden.

Lokalpolitiker Hans-Jörg Schimanek

Auch der Lokalpolitiker Hans-Jörg Schimanek übt Kritik: „Die Begründung, es gebe für das Gebiet bereits einen Antrag auf Neuausschreibung einer Gruppenpraxis, kann nur von Leuten stammen, die keine Ahnung von den Örtlichkeiten haben. Wie vor allem die vielen älteren Menschen die weite Wegstrecke an die Landesgrenze bewältigen, scheint weder die Kasse noch die Kämmerer zu interessieren.“ Gemeinsam mit den Obmännern der drei Siedlervereine hat er eine Unterschriftenaktion ins Leben gerufen.

Von der Ärztekammer heißt es dazu: „Im Versorgungsgebiet der ehemaligen Ordination von Dr. Kellner in Floridsdorf befindet sich eine Gruppenpraxis im Aufbau. Im 21. Bezirk wurden zuletzt zwei Ausschreibungen für Kassenplanstellen mit hohem Versorgungsbedarf wiederholt ausgeschrieben. Leider sind bislang keine Bewerbungen eingegangen.“

(Bild: Martin Jöchl, Krone KREATIV)

Mich erreichen tagtäglich Anrufe von verzweifelten Bewohnern. Die nächste Ordination ist viel zu weit weg. Hier wohnen vor allem alte Leute, viele sind schlecht zu Fuß.

Gottfried Krause

(Bild: Martin Jöchl, Krone KREATIV)

Es ist traurig. Der Herr Doktor hatte immer Zeit für all seine Patienten und ist gerne einmal länger geblieben. Die freie Stelle einfach nicht nachzubesetzen ist keine Lösung.

Marianne Kraus

(Bild: Martin Jöchl, Krone KREATIV)

Seit 34 Jahren bin ich bei Dr. Kellner. Oft musste ich lange im Warteraum sitzen, aber dafür war ich in guten Händen. Die Ordination darf nicht eingespart werden!

Gertrude Dienech

(Bild: Martin Jöchl, Krone KREATIV)

Dr. Kellner war anders als die anderen. Er hat nicht auf die Uhr geschaut, zu ihm konnte man Tag und Nacht kommen, oder er kam zu mir nach Hause. Was machen wir jetzt?

Hans Neubauer

Wien braucht dringend mehr Kassenärzte
Gemessen an der Bevölkerung, hat Wien heute um 20 Prozent weniger Kassenärzte als 2010. Bei Kinderärzten ist die Lage noch dramatischer. Gleich in mehreren Bezirken ordiniert lediglich ein Mediziner. Und auch der Blick in die Zukunft ist düster: Bezug nehmend auf die zu erwartende demografische Entwicklung in der Stadt geht das WIFO von einem Anstieg des gesamten Ärztebedarfs von 18 Prozent bis zum Jahr 2030 aus.