Mercedes bleibt seiner Linie der stromlinienförmig glatten Elektroautos treu: Nach dem E-Flaggschiff EQS bleibt auch am EQE weder Wind noch Auge hängen. „Krone“-Motorredakteur Stephan Schätzl hat sich den Mercedes-AMG EQE 43 zur Brust genommen, an dem zwei Aspekte besonders spannend sind: Wie ist der EQE als kleiner Bruder des EQS? Und: Wie ist der Stromer als AMG? Die Antworten gibt’s hier im Video!
Der Stromlinien-Eindruck des EQE entspricht dem EQS, aber er ist ein ganzes Eck kürzer (wenn man bei dieser Karosserie überhaupt von einem Eck sprechen möchte. Vom Rekord-cW-Wert bleibt 0,22 statt 0,20 übrig, der Radstand ufert mit 3,12 Meter um neun Zentimeter weniger aus, die Länge liegt mit 4,95 Meter fast 30 cm unterhalb des EQS-Werts.
Das geht zulasten des Kofferraums (nur 430 Liter) und der Heckklappe, die einer kleinen Haube weichen muss. Andernfalls hätten Scharniere im Dach den Kopfraum der Rückbank-Passagiere zu sehr eingeschränkt. So streifen auch über 1,80 Meter große Menschen nicht mit dem Scheitel an, jedenfalls wenn das optionale Panorama-Glasdach verbaut ist. Die Beinfreiheit ist großzügig, die Haltung der Beine aber wegen des hohen Bodens etwas unnatürlich.
Die Optik der Karosserie ist nicht allzu böse. Dass es sich um einen AMG handelt, erkennt man vor allem an den senkrechten Chrom-Leisten auf dem Plastikfeld, das den Kühlergrill darstellen soll. Wenn man weiß, dass diese Leisten im Allgemeinen für AMG stehen.
Cockpit aus dem EQS
Das Cockpit entspricht dem des EQS, der Hyperscreen als Komplettverglasung des Armaturenbretts mit Displays darunter ist gegen rund 10.000 Euro Aufpreis erhältlich. In den Fall kann der Beifahrer auf einem eigenen Screen Netflix schauen.
Der Testwagen verfügt über eine sehr natürlich wirkende, jachtartige Holztafel in der Form des Hyperscreens mit einem aufgesetzten Tacho-Display und einem zentralen Touchscreen. Unumgänglich sind die Touchelemente am Lenkrad, die auch hier im AMG EQE 43 nicht besser zu bedienen sind als in anderen aktuellen Mercedes-Baureihen.
Die Besonderheit am Lenkrad ist der dicke Lenkradkranz, an dem man Alcantara in der Hand hat. Das auffälligste und mit den Sportsitzen das wichtigste AMG-Tool im Innenraum.
AMG-Leistung, PlayStation-Sound
Die Antriebs-Power des EQE 43 ist der Bezeichnung AMG durchaus würdig: Zwei Motoren (der hintere mit zwei mal drei Phasen besonders leistungsfähig) leisten zusammen 350 kW bzw. 476 PS und liefern ein maximales Drehmoment von insgesamt 860 Nm an alle vier Räder. Das ermöglicht einen Standardsprintwert von 4,2 Sekunden. Der Antritt ist wie erwartet mächtig und macht die rund 2,5 Tonnen Leergewicht vergessen.
Nicht AMG-like: Die Höchstgeschwindigkeit wird auf 210 km/h begrenzt. Auch nicht AMG-like: Es lässt sich künstlicher Motorsound zuspielen, dezent im Modus Sport, auffällig im Modus Sport+. Die Klangwelt wird „Authentic“ genannt, was vom Gebotenen nicht weiter entfernt sein könnte. Der Sound ertönt sogar im Stand, was vor allem auf Sport+ eher an Tinnitus erinnert als an einen Motor im Leerlauf. Über Lautsprecher in der Stoßstange wird der Sound auch draußen verbreitet.
Echtes AMG-Fahrwerk
Das Dreikammer-Luftfahrwerk mit adaptiven Dämpfern stammt von AMG bzw. aus dem GT-Viertürer. Es verleiht dem EQE 43 ein sehr solides, sportliches Fahrverhalten. Mit der optionalen 21-Zoll-Mischbereifung (265/295) liegt der 2,5-Tonner extrem gut und untersteuert kaum. Das Gewicht würde man ihm auch in Kurven nicht zutrauen. Hut ab!
Serienmäßig lenken die Hinterräder bis zu 3,6 Grad mit (beim Standard-EQE hat man die Wahl zwischen 4,5 und zehn Grad, wegen unterschiedlicher Reifenbreite ohne Preisunterschied). Die Lenkung verlangt vor allem auf Sport+ deutlichen Krafteinsatz, was ein besonders gutes Gefühl für die Fahrbahn suggeriert. Tatsächlich ist da aber noch Luft nach oben. Vor allem das angedeutete Einrasten in der Mittellage irritiert etwas.
Noch mehr irritiert aber das Eigenleben, welches das Bremspedal entwickelt. Druckpunkt und Pedalposition variieren mit der Rekuperation, das ist unangenehm.
Prinzipiell ist das Thema Rekuperation gut gelöst, über die Lenkradpaddles lassen sich die Stufen einstellen: Keine Rekuperation (segeln), normale Rekuperation (wie ein Verbrenner nach Gaswegnehmen), starke Rekuperation (one pedal, bis zum Stand, funktioniert gut) und automatisch. Letzteres ist sehr gewöhnungsbedürftig und verwirrt im Alltag mehr als dass es nützt.
Schnelles, aber nicht superschnelles Laden
Der 400-Volt-Akku im Fahrzeugboden speichert 90,5 kWh, auch er stammt - wie praktisch die gesamte Technik/Plattform - vom EQS. Die größere Variante hat wegen des geringeren Radstandes im EQE keinen Platz.
Im EQE 43 gibt Mercedes eine WLTP-Reichweite von 533 Kilometer an. Im Test waren es eher rund 350 Kilometer, bei einem am Bordcomputer abgelesenen Durchschnittsverbrauch von gut 25 kWh/100 Kilometer. Die maximale Ladeleistung beträgt 170 kW, die aber nur erreicht werden, wenn man mit vorkonditionierter Batterie an der Ladesäule ankommt. Mit Wechselstrom lädt der Mercedes serienmäßig mit 11 kW, optional mit 22 kW.
Der reichweitenstärkste EQE ist übrigens der heckgetriebene EQE 350+ mit 215 kW/292 PS und einer Reichweite von 669 Kilometer.
Ein Wort zur Verarbeitung
Der Mercedes-AMG EQE 43 macht im Umgang einen hochwertigen Eindruck und löst ein Wohlfühl-Empfinden aus. Aber: Im Testwagen drang ein vernehmliches Knistern aus dem Armaturenbrett. Ob es sich dabei um einen Einzelfall oder um ein echtes Problem handelt, lässt sich an dieser Stelle nicht klären.
Darüber hinaus wies die Karosserie teilweise auffällige Verarbeitungsmängel auf. Karosserieteile, die unsauber zueinander stehen, oder auch Lacknasen. Da auch schon beim EQS häufig über Verarbeitungsmängel berichtet wurde (inklusive reihenweise gesprungenen Frontscheiben), ist das eher ein Hinweis auf Probleme.
Die Preise
Bei 67.800 Euro fängt die Sache mit dem EQE an, der AMG EQE 43 liegt bei 105.240 Euro, vor dem Gang durch die Aufpreisliste. Der Testwagen kommt auf fast 130.000 Euro.
Fahrzit
Wer das bessere Platzanagebot nicht benötigt und lieber selbst fährt, statt sich chauffieren zu lassen, kann den EQE locker dem EQS vorziehen. Technisch sind sie identisch, sie lassen sich auch annähernd gleich ausstatten. Das AMG-Feeling ist beim EQE 43 in Ansätzen vorhanden. Ein echter Fan klassischer AMGs wird sich jedoch schwertun. Und beim Sound kann es sich nur um ein Missverständnis handeln.
Warum?
Feine Fahreigenschaften
„Vernünftige“ Sportlimousine
EQS-Klasse-Feeling
Warum nicht?
Qualitätsprobleme am Testwagen
Kleiner Kofferraum
Oder vielleicht …
… Polestar 2, Tesla Model S, Audi e-tron GT
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