Schneider-Serie

Roberto Kalin, der ruhelose Zauberer

Vorarlberg
14.08.2022 11:25

In seiner Reihe „Hier war ich glücklich“ begleitet Robert Schneider Vorarlberger an die Lieblingsplätze ihrer Kindheit. In Bregenz traf er jüngst den Zauberer und Moderator Roberto Kalin.

Ein heißer Sommernachmittag. Ich schlendere über die Kirchstraße hinauf zur Pfarrkirche St. Gallus in Bregenz, wo ich mit meinem heutigen Gast verabredet bin. Es ist noch etwas Zeit. Ich bin gerne pünktlich, aber nicht gerne überpünktlich. Die Kirchstraße hält Siesta. Die Jalousien sind geschlossen, die Fensterläden zu. Wie in einer spanischen Kleinstadt am Nachmittag. Kein einheimischer Dialekt ist zu hören. Zwei junge Japaner ziehen mit großen Schritten an mir vorbei. Sie unterhalten sich angeregt. Was wollen die hier sehen oder erkunden?

Ecke Kapuzinergasse laufe ich direkt in einen Schwarm hessisch redender Pensionisten. Eine mit Regenschirm bewaffnete Dame ist gerade dabei, über die Belagerung der Stadt Bregenz von annoirgendwas zu dozieren. Dabei sticht sie mit der Schirmspitze drohend in die blaue Sommerluft. Im Vorbeigehen höre ich den Namen Ehreguta. Zwei beleibte Herren lästern: „Die Frauen hatten schon damals die Hosen an.“ Vor mir öffnet sich der begrünte Kirchplatz mit der Gallus-Kirche. Im Schatten, auf einer Bank, neben der öffentlichen Bücherei, wartet Roberto Kalin, Zauberer, Feuerschlucker und ehemals Radio-, heute Fernseh- und Eventmoderator. Er scheint der überpünktlichen Fraktion anzugehören. Er springt auf, begrüßt mich, und noch ehe ich die Standardfrage zum Lieblingsplatz stellen kann, ist er schon im Erzählschwang.

„Hier oben haben wir Bregenzer Buben unsere Spergamentle getrieben. Das war mein Platz. Ich war ja Ministrant. Das war Ende der sechziger Jahre unter dem späteren Dekan Roman Amann. Ein feiner, aber sehr strenger Herr. Eines Sonntags haben wir beim Hochamt das Wasser heimlich mit einem Obstler vertauscht. Wir standen beim Altar, konnten kaum das Lachen unterdrücken, als der Herr Pfarrer aus dem Kelch trank. Er stellte den Kelch ganz ruhig auf den Altar zurück, schaute uns Ministranten an und sagte, dass es alle hören konnten: ’Das wird Konsequenzen haben!’ Wir bekamen einen Monat lang Ministrierverbot, was deshalb so schlimm war, weil wir unseren Eltern irgendwann doch die Wahrheit erzählen mussten.“

Zauberer Roberto Kalin im Interview mit Autor Robert Schneider. (Bild: Mathis Fotografie)
Zauberer Roberto Kalin im Interview mit Autor Robert Schneider.

Robert Schneider: Herr Kalin, woher kam der Wunsch, zaubern zu können?
Roberto Kalin: Ausbrechen. Etwas anders tun. Ich war ein Showman, schon in der Schule. An Schnorrawaggler, wie man so schön im Dialekt sagt. Nachdem ich kein Sportler war und mich Fußball null interessierte, beschloss ich, Zauberer zu werden. Ich erfuhr nämlich durch eine Bekannte, dass es in St. Gallen einen echten Zauberer gab, den Eddy Künzler alias Eddy Tenaris. Der hatte ein Geschäft mit Zauberartikeln in der Webergasse. Da durfte ich als Kind einmal seinen Laden sehen. Das war Zauberliebe auf den ersten Blick. Eddy fand Gefallen an mir und ich an ihm. Innerhalb von zwei Jahren bildete er mich zum Sprechzauberer aus, etwas, was es damals noch kaum gab. Und so durfte ich dann im Alter von elf Jahren im Club der Ostschweizer Magier die Zauberartisten-Prüfung ablegen und wurde als jüngstes Mitglied in den Zirkel der Zauberer aufgenommen. Dort machte ich auch die Bekanntschaft mit einem Feuerschlucker. Diese enorme Kunst wurde meine eigentliche Obsession.

Schneider: Was sind Zauberer für Menschen?
Kalin: Ich will es einmal hart ausdrücken. Es sind Selbstdarsteller durch und durch. Aber ein Zauberer manipuliert sein Publikum nicht. Er entfacht Illusionen, er beflügelt das Unmögliche. Dass z. B. aus weißen Papierblättern im Handumdrehen Geldscheine werden.

Der Magie der Zauberei ist er bereits als kleiner Bub verfallen. (Bild: Mathis Fotografie)
Der Magie der Zauberei ist er bereits als kleiner Bub verfallen.

Schneider: Sie haben aber auch einen Brotberuf erlernt.
Kalin: Natürlich, weil meine Eltern sagten, aus dem Buben muss etwas Köhriges werden. Ich habe die Hotelfachschule in Bad Gleichenberg in der Steiermark absolviert. Mit allen Abschlüssen. Vermutlich bin ich der einzige Hotelier, der seinen Beruf nicht einen Tag lang ausgeübt hat, weil ich schon damals so viele Engagements hatte.

Schneider: Als Feuerschlucker. Sie haben es sogar ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft, waren neunfacher Weltmeister.
Kalin: Ja, das war eine schöne Zeit. Ich durfte von Tokyo bis Las Vegas in den größten Live- oder Fernsehshows auftreten.

Roberto Kalin in der Bregenzer St.-Gallus-Kirche. (Bild: Mathis Fotografie)
Roberto Kalin in der Bregenzer St.-Gallus-Kirche.

Schneider: Ausgerechnet im Bregenzer Gösser-Saal kam es einmal zu einer lebensgefährlichen Situation
Kalin: Das war am Anfang, noch lange vor meinem ersten Weltmeistertitel. Ich erinnere mich ganz genau daran. Es war anlässlich eines bunten Abends des Alpenvereins. Man muss ja zwischen Feuerschlucken und Feuerspeien unterscheiden. Beim Feuerschlucken, wo die Flamme durch Kohlenmonoxid erstickt wird, kann man sich Blasen im Mund oder an den Lippen holen, und dann ist es wieder gut. Das Gefährliche aber ist das Speien des Feuers. Jeder Feuerspucker mischt seine eigene Kerosinmischung und mengt Farbextrakte bei, damit das Feuer dann in allen Farben schillert. Man nimmt das Kerosin in den Mund, bläst es mit ganzer Lungenkraft hinaus und entzündet es gleichzeitig mit der Fackel. Klingt einfach, ist aber im wahrsten Sinn des Wortes brenzlig und eine Sache von Sekundenbruchteilen. In meinem Fall hatte ich noch Kerosin Mund. Etwas davon musste sich auf dem Boden abgesetzt haben. Ich rutschte aus, den Mund offen, alles explodierte. Ich brannte wie eine Fackel. Wäre ein Herr in der ersten Reihe nicht so geistesgegenwärtig gewesen und hätte das Tischtuch samt Geschirr über mich geworfen, wäre es das vermutlich mit mir gewesen. Dieser Feuerunfall hat mich für alle Zeit geerdet.

Schneider: Sie sind aber nicht nur als Weltmeister im Feuerschlucken bekannt geworden. Viele kennen Sie noch als Moderator von Radio Lindau oder der Welle Vorarlberg.
Kalin: Das Moderieren machte - und macht mir immer noch - viel Freude. Ganz besonders glücklich bin ich aber, wenn ich mit Kindern arbeiten darf. Unlängst habe ich für meinen Enkel noch einmal Feuer geschluckt und gespeit, obwohl ich das seit dreißig Jahren nicht mehr mache. Er hatte es sich so sehr gewünscht. Habe wochenlang heimlich trainiert. Hätte ich einen Wunsch, würde ich mir ein Radio- oder Fernsehformat mit Kindern wünschen. Sie sind die ehrlichsten und unbestechlichsten Zuhörer überhaupt.

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