Süden droht Strom-Aus

Kiew: Russen wollen AKW Saporischschja abschalten

Ukraine-Krieg
19.08.2022 13:41

Die Ukraine fürchtet, dass Russland das größte Atomkraftwerk des Landes vom nationalen Stromnetz trennen will. Es gebe Hinweise darauf, dass russische Truppen das Abschalten der noch betriebenen Reaktoren im AKW Saporischschja vorbereiteten, teilte der staatliche Energieversorger Energoatom am Freitag mit. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte an, sich bei Russlands Machthaber Wladimir Putin für eine Lösung des Streits um das AKW einzusetzen.

Ein Ausfall der Stromlieferungen aus der riesigen Anlage - Saporischschja ist das größte Atomkraftwerk Europas - würde vor allem den Süden der Ukraine treffen. Das Land bereitet sich angesichts von Krieg und Verknappung der Energieversorgung auf den schwierigsten Winter seit Jahrzehnten vor. „Das russische Militär sucht derzeit Treibstofflieferanten für Dieselgeneratoren“, teilte Energoatom mit. Mit den Dieselgeneratoren sollten die Kühlsysteme für die hoch radioaktiven Kernbrennstoffe nach dem Herunterfahren der Atommeiler am Laufen gehalten werden.

Das Unternehmen bekräftigte den Vorwurf, Russland bereite eine „Provokation großen Ausmaßes“ vor. Umgekehrt hatte die Regierung in Moskau der Ukraine genau denselben Vorwurf vorgehalten, sie warnt vor einer „Falsche-Flaggen-Aktion“.

Rettungskräfte des ukrainischen Katastrophenschutzes üben in der Stadt Saporischschja das Szenario eines Reaktorunfalls. (Bild: APA/AFP/Dimitar DILKOFF)
Rettungskräfte des ukrainischen Katastrophenschutzes üben in der Stadt Saporischschja das Szenario eines Reaktorunfalls.

Beschuss ist „Spiel mit dem Feuer“
International wird ein besonderes Augenmerk auf Saporischschja gelegt, denn ein Treffer in den Reaktoren könnte eine Nuklearkatastrophe ähnlich jener in Tschernobyl 1986 auslösen. Damals wurde nicht nur die unmittelbare Umgebung dauerhaft verstrahlt, sondern radioaktiver Niederschlag ging auch in mehreren europäischen Ländern nieder. Der Chef der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA, Rafael Grossi, warnte Anfang August mit Blick auf Kämpfe in der Umgebung des AKW vor einem „Spiel mit dem Feuer, mit möglichen katastrophalen Folgen“.

Am Freitag wiegelte der stellvertretende russische Außenminister Sergej Ryabkow ab: Die russische militärische Präsenz sei Garant dafür, dass sich Tschernobyl nicht wiederholen werde. Bereits am Donnerstag hatte Russland den Vorschlag der Vereinten Nationen zurückgewiesen, Saporischschja zu demilitarisieren.

Erdogan soll auf Putin einwirken
Der türkische Präsident Erdogan kündigte nach einem Treffen mit seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag an, er werde mit Putin über Saporischschja sprechen. Selenskyj habe ihm gesagt, Russland müsse alle Minen in der Gegend entfernen. „Wir werden diese Fragen mit Putin erörtern und ihn ausdrücklich darum bitten, dass Russland das tut, was es als wichtigen Schritt für den Weltfrieden tun muss“, erklärte Erdogan.

Die Kraftwerksanlage wurde im März von russischen Streitkräften eingenommen. Sie liegt in der Nähe des derzeitigen Frontverlaufs. In der Vergangenheit haben sich Russland und die Ukraine gegenseitig vorgeworfen, das AKW beschossen zu haben. Auf dem Gelände waren Geschosse eingeschlagen. Die Anlage wird trotz russischer Besetzung von ukrainischen Technikern betreut. Derzeit laufen nur zwei der sechs Reaktoren mit voller Leistung.

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