Nach der Unwettergefahr am ersten Tag, mussten die Frequency-Fans gestern nach einem schwülen Tag nur etwas Regen und Wind überstehen. Für einen kräftigen Akustiksturm sorgten Rapper G-Eazy, die brechharten Nova Twins und Deutschrapper Apache 207. Die jungen Besucher feiern begeistert und schütteln sich wohlverdient den Corona-Lockdown-Staub aus den Hemden.
Gitarren sind auf dem Frequency seit dem großen Line-Up-Relaunch schon länger ein Fremdwort, aber wer sich schon früh am Nachmittag auf das Festivalgelände bequemt oder die sengende Sonne gegen die Klimakühle auf der Indoor-Red-Bull-Stage tauscht, der kriegt zumindest noch einen Hauch der alten FRQ-Nostalgie in die Nüstern geblasen. Der Gefälligkeitspop des Holländers Blanks, Musiker der Marke „Muttis Liebster“, rauscht noch relativ bieder und teilnahmslos durch die Gehörgänge, aber kantige Provokation ist auch nicht das bevorzugte Stilmittel der jungen bis sehr jungen Anwesenden. Kurz darauf lässt Alexander Kotz aka Elderbrook für zwei Handvoll Anwesende auf der Space Stage mediokre Kommerzelektronik über den staubigen Boden gleiten, spätestens nach drei Nummern fühlt man sich aber in einer sich ständig wiederholenden Zeitschleife gefangen. Also schnell rüber zur Green Stage, der man allerdings sehr nahekommen muss, um überhaupt einen Ton zu vernehmen.
Besorgt um die Besucher
Wo nämlich ansonsten das Prinzip „schriller, greller, lauter“ gilt, wird hier Musik für die ruhige Seele geboten. Robin Daniel Skinner aka Cavetown wurde über die letzten fünf Jahre zu einem YouTube-Wunder und hat den Terminus Bedroom-Pop schon geprägt, bevor Billie Eilish überhaupt etwas in den virtuellen Orbit geladen hat. Mit Birkenstock-Sandalen und Latzhose steht das zarte Männlein samt junger Band auf einer viel zu großen Bühne. In der Hand eine monströs wirkende Gitarre, dahinter ein Plakat mit dem Namensschriftzug in Skelettfledermausform und hervorstechendem Herzen. „Habt ihr bei dieser Hitze wohl genug Wasser getrunken“, erkundigt er sich vorsichtig und die zahlreich Anwesenden nicken still zustimmend gegen die strahlende Sonne an. Seine verbindenden Songs sind ruhig, bedächtig und „wholesome“. Eine kurze Oase der Ruhe in einem nicht enden wollenden Sturm des Lärms.
Lärm ist natürlich gut und soll auch sein. Vor allem dann, wenn er sich als kompositorisch ausgefeilt und innovativ erweist, wie beim weiblichen britischen Krachduo Nova Twins aus Großbritannien. Ihr zweites Album „Supernova“ wurde für den prestigeträchtigen „Mercury Prize“ nominiert, was die beiden im „Krone“-Interview freudig zur Kenntnis nehmen. „Wir würden lügen, wenn wir das nicht geil finden würden“. Beim Gig müssen sie erst einmal krachige Gitarrenrückkoppelungen und technische Probleme überwinden. Nach zähen Anfangsschwierigkeiten springen sie gleich mitten ins Publikum und werden zum Kern eines Circlepits, lassen die Mittelfinger wedeln und rauschen mit ihrer Mischung aus Break-Beats, Punk, Grime, Alternative Metal und Hip-Hop durchs Gebälk. Der Rap-affinen Jugend kann man durchaus harte Gitarren servieren, der Sound muss halt nur innovativ klingen. Das sei den alten Genrehasen hinter die Ohren geschrieben...
Bemüht vor leerer Halle
Die gebürtige Holländerin Eyelar hatte es kurz davor nicht ganz so gut erwischt. Mehr als 20 Schaulustige fanden sich nicht ein, als die aus Amsterdam stammende Wahl-Londonerin ihre mehr oder weniger schlimmen Eigenfehler und grausigen Beziehungserfahrungen in Songform teilte. Unterstützt wurde sie von einem Gitarristen, der Rest kam vom Band, doch mit ihrem Charisma machte sie die dünne Besetzung schnell wett. Songs wie „Fuck Your Friend“ mäanderten zwischen Grunge, Alternative und Pop und sind unzweideutig verständlich. „Ich verwandle meine Erfahrungen in Songs, damit ich aus Rache sonst keine Dummheiten mache.“ Ehrlich währt am längsten, zum Top-Act fehlt es aber doch noch an so einigem.
Auf der Space Stage erwies sich der US-Rapper G-Eazy als Gamechanger des Abends. Mit ihm kehrten um etwa 18.30 Uhr erstmals die Massen vor die Bühnen und bewiesen damit einmal mehr, welcher Sound das Frequency auch in diesem Jahr wieder prägt. Der Old-School-Stil des New Yorkers trifft auf eine enthusiasmierte Menge, die dem Chef auf der Bühne ein verwundertes Lächeln ins Gesicht zaubert, das ebenjenes auch nach einer Stunde nicht mehr verlassen sollte. Mit der Ansage „das ist das beste Konzert meines Lebens“ bricht er aber die romantische Realitätsebene durch klassisch amerikanische Übertreibung - Matchball knapp verschossen. Trotz allem ist der Auftritt mit Songs von „I Mean It“ über „No Limit“ bis hin zu „Me, Myself & I“ ein musikalisch als auch stimmungstechnischer Triumphzug. Berechtigter Jubel für einen hervorragenden Auftritt - und das frühe Highlight des Tages.
Verdienter Eskapismus
Nach mehr als zwei Jahren des Darbens dürsten die Fans verständlicherweise nach Hedonismus und Abriss. Der verdiente Eskapismus einer ganzen Generation, die zwei ihrer wichtigsten jungen Jahre in den eigenen vier Wänden verbringen musste, und nun endlich wieder auf den Putz hauen kann. Das passiert in unterschiedlichen Bereichen wie beim Techno-Yoga, beim Flunkyball oder tanzend auf dem dauerhämmernden „Desperados Fortress“, wo DJs wie Molly Pocket oder Mozhart ihre Turntables zwischen Hardstyle, Happy Hardcore oder Psy Trance drehen und für Stimmung sorgen. Die Ausgelassenheit ist zu jeder Zeit spürbar und, weil der Terminus heute einfach wie die Faust aufs Auge passt, wholesome.
Wer es dann doch lieber poppig und erdig mag, der lässt sich von der britischen Popsängerin Anne-Marie mit Zuckerbrot und Peitsche verwöhnen. Riesige aufgeblasene Teddybären und eine amtliche Pyroshow sind bei ihr kein Widerspruch, ihre eigenen Hits vermengt sie mit schlüpfrigen Schmähs und Nostalgie-Samples zwischen „Oops!... I Did It Again“ und „99 Problems“. Songs der Marke „2002“, „Birthday“ oder der Clean-Bandit-Hit „Rockabye“ sind absolute Stimmungskanonen. Das freche Auftreten der unangepasstesten aller weiblichen Oberliga-Popstars deckt sich mit der immensen Spielfreude und dem großen Zuspruch. Das lockt vielleicht nicht so viele Massen an wie G-Eazy oder die langweiligen Herzschmerz-Schüttelreimer von AnnenMayKantereit, bringt dem Treiben aber eine gewisse Leichtigkeit.
Die projiziert auch der deutsche Rap-Superstar Apache 207, der nach der fad-braven Vorstellung der Kölner zum Tagesabschluss doch etwas mehr Pfeffer aufs Gelände streut. Im Gegensatz zum Gros seiner Kollegen setzt der Pfälzer auf melodiöse Pop-Beats und viel 80er-Chic, doch das kann im Endeffekt nicht über die Mängel in der Publikumsinteraktion hinwegtäuschen. Die Breaks zwischen den Songs sind zu lang, die Zwischenansagen oft holprig und wenn die Stimmung nicht am Siedepunkt ist, setzt der 24-Jährige auf Nostalgie und lässt „Rhythm Is A Dancer“ oder „My Heart Will Go On“ erschallen. Mit „Ferrari Testarossa“, „Roller“ oder „Wieso tust du dir das an?“ hat Apache zahlreiche Hits in petto, doch so richtig in Fahrt kommt die Show nicht. Einen Stadthallen-Gig absolviert der millionenschwere Superstar längst problemlos, um als Festival-Headliner zu reüssieren, muss aber aktiv deutlcih mehr kommen. Dann füllt sich das Gelände vielleicht auch so wie bei RAF Camora...
Festivalabschluss
Abgeschlossen wird das Frequency heute u.a. mit Bilderbuch, Yung Hurn, Timmy Trumpet oder dem aufstrebenden Ghostemane.
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