Live in der Arena

Bright Eyes: Stark hergerichtet beim Comeback

Wien
26.08.2022 02:49

Rund 2000 Fans fanden sich Donnerstagabend am Open-Air-Gelände der Wiener Arena ein, um mit gut zwei Jahren Verspätung endlich das heiß ersehnte Live-Comeback der Indie-Legenden Bright Eyes zu beubeln. Frontmann Conor Oberst erwischte einen wankelmütigen Tag und torkelte fast zwei Stunden lang schwer illuminiert über die Bühne und entpuppte sich als Märchenonkel. Die hervorragend eingespielte Band musste seine Eskapaden dulden.

Das Konzert dauert noch keine zwei Minuten und man weiß bereits, hier auf der Bühne ist bei Weitem nicht alles in Ordnung. Eine sechsköpfige Band und ein aus unterschiedlichen Österreicherinnen zusammengestelltes Streicherkollektiv drängt sich auf der viel zu engen Open-Air-Bühne der Wiener Arena, aber Scheinwerfer und Aufmerksamkeit sind einzig und allein auf Conor Oberst gerichtet - und dem geht es gar nicht gut. Elf Jahre nach den letzten Konzerten mit den Indie-Legenden Bright Eyes ist der sentimentale Exzentriker endlich wieder unter alter Flagge unterwegs. Nach einer fast achtjährigen Pause fand sich Oberst wieder mit den Ur-Mitgliedern Mike Mogis und Nate Walcott zusammen, stellte seine bis in den Lap-Steel-Country-Rock reichende Experimentierphase in den Abstellraum und kreierte 2020 mit „Down In The Weeds, Where The World Once Was“ ein mediokres, aber von den Fans hochgefeiertes Comebackalbum.

(Bild: Andreas Graf)

Zwischen besser und schlechter
Dass der Veröffentlichungszeitpunkt im Hochsommer nach dem ersten großen Lockdown nicht gerade ideal war, das ist Oberst heute bewusst, doch die Euphorie über die Wiederkehr war zu groß. Unter den rund 2000 Fans in der Arena findet sich somit eine Vielzahl solcher ein, die ihre Tickets schon vor fast drei Jahren gekauft haben. Die Pandemie hat dem seelisch labilen Künstler alles andere als gutgetan. Jeder Tag ist eine neue Herausforderung, es gibt bessere und schlechtere. Einen sehr guten dürfte er unlängst etwa in der Fabrik Hamburg gehabt haben, weniger gut ging es ihm vergangenen Mai in Houston, als er nach nur zwei Songs die Bühne verließ und das Konzert spontan zu Ende war. Das Wien-Comeback der Bright Eyes ordnet sich da irgendwie dazwischen ein, aber mit leichter Schlagseite in den negativen Bereich.

(Bild: Andreas Graf)

Oberst wirkt von der ersten Minute an motorisch unsicher und wacklig. Er vergisst Textzeilen und verpasst Songeinsätze, er schüttet Bier über sein Klavier und fällt fast torkelnd vom Drum-Riser. Dazwischen schwadroniert er darüber, wie sehr er Gott verachtet und wie stark er seine alten Bandkollegen vermisst hat. Der starken Vorgruppe Penelope Isles huldigt er gefühlt nach jedem Song und vor dem Publikum kniet er sich mehrmals demütig hin. Angesichtes dieser Showeinlagen-Tour-de-Force vergisst man allzu schnell, dass sich die Band hinter dem sichtlich illuminierten Frontmann nach Kräften bemüht, für das teure Geld eine amtliche Show auf die Beine zu stellen und dabei alles richtig macht. Immer wenn Oberst sich wieder in den Saiten vergreift oder in die falschen Tasten haut, ist sein Korpus zur Stelle, um alles geradezubiegen. Oberst selbst dürfte sich vor dem Auftritt nicht sonderlich gut vorbereitet, dafür aber kräftig hergerichtet haben.

(Bild: Andreas Graf)

Ein steter Kampf
Die fast zweistündige Vorstellung bei schwülen Sommertemperaturen gleicht einer kathartischen Therapiestunde mit einem Hauch von Fremdschämfaktor. Wenn Oberst etwa über seinen verstorbenen Bruder erzählt und hinzufügt, dass es auch dem zweiten nicht gut geht, stockt den Fans der Atem. Mit gerade einmal 42 Jahren sinniert er ausgiebig darüber, dass er nun eben in einem Alter angelangt sei, wo Freunde und Menschen in seinem Umfeld sterben müssen. Das Publikum, fügt er schmunzelnd an, sei noch viel zu jung, werde das später einmal verstehen. Man ist sich nicht sicher, wie viel Sarkasmus oder beißende Selbstironie hinter den traurigen Ansagen stecken, doch der stete Kampf mit sich selbst und gegen seine Dämonen ist spürbar. Conors Techniker hat aufgrund seines labilen Zustands am meisten zu tun. Immer wieder muss er die Gitarre einstoppeln, das Mikro aufheben und die Biersuppe von den Klaviertasten wischen. Während die Band ihr Programm stoisch und qualitativ stark abfertigt, kämpft Oberst zu jedem Moment mit seinem Gemütszustand.

(Bild: Andreas Graf)

Song-Preziosen wie das stampfende „Another Travelin‘ Song“, „Poison Oak“, „I Believe In Symmetry“ oder „No One Would Riot For Less“ bekommen einen bittersüßen Beigeschmack, wenn der Frontmann einmal wieder an sich selbst verzweifelt und den Drive der restlichen Band nicht mitgehen kann. Hat Oberst stimmlich aber einmal in die Schiene gefunden, merkt man wenig Unterschied zu den Glanztagen von früher. Wenn er sich konzentriert, dann zieht er sein devotes Publikum noch immer mühelos in seinen Bann. Nehmen aber die Sorgen und Nöte überhand und vermischen sich mit seiner sicht- und hörbaren Illuminierung, dann hat das Dargebotene weder die nötige Kraft, noch das nötige Durchsetzungsvermögen für ein derart großes Event. Die Unsicherheiten kulminieren in mehr oder weniger schlechten Witzen, bei denen der Sänger immer wieder den Faden verliert, die Pointe verschläft oder schlichtweg nicht mehr weiterweiß.

(Bild: Andreas Graf)

Blick in den Abgrund
Rund um ihn erklingen bunte Instrumentalsträuße. Geigen, Gitarren, Trompeten, eine Mandoline, die Keyboards oder die Pedal Steel Gitarre vermengen die bunte Soundwelt der Bright Eyes zu einer Gemengelage aus Indie Rock, Alternative, Folk, psychedelischen Klängen und einer erdigen Americana-Schlagseite. Oberst scheint dabei den Schmerz der ganzen Welt in sich zu tragen und ihn nicht mit Unbeteiligten teilen zu wollen. Seine lallenden Sätze sind nur auf den ersten Blick witzig und ironisch, hinter der Fassade tun sich die Abgründe einer veritablen Depression und psychischen Ungleichgewichtung auf, die hoffentlich nicht irgendwann zu einer Explosion führen. Die Dankesbotschaften und das Klatschen für die Fans kommen direkt aus dem Herzen, doch so sehr sich Oberst sich auch bemüht, seine eigens geschaffene Legende zu tragen, er verschwindet hinter dem Nebel der eigenen Unzulänglichkeit. Eine sonderbare Vorstellung mit mehrfachen Deutungseben. Als Trost: da haben schon wesentlich Nüchternere wesentlich schlimmere Auftritte verbrochen.

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