Das Warten hat ein Ende: Knapp fünf Jahre ist es her, dass sich Onlineriese Amazon die Fernsehrechte an J.R.R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“ sicherte. Am Freitag startet mit „Die Ringe der Macht“ nun der Auftakt zu einer groß angelegten Vorgeschichte des Fantasyepos‘, die neue Maßstäbe setzen soll. Und dafür wollen die einzelnen Figuren auf diesem überdimensionierten Schachbrett erst mal vorsichtig in Position gebracht werden.
Diesen Eindruck erwecken jedenfalls die ersten beiden Episoden: Erhabene Elben, zwielichtige Menschen, starrköpfige Zwerge und eine dunkle Bedrohung - die Grundzutaten sind allesamt vorhanden. Aber in welchem Verhältnis sie zueinanderstehen, darüber wollen die Showrunner J.D. Payne und Patrick McKay offenkundig noch nicht zu viel verraten. Dementsprechend kommt ihre mehrere tausend Jahre vor dem „Herrn der Ringe“ angesiedelte Handlung, die die zentralen Ereignisse des Zweiten Zeitalters von Mittelerde abdecken soll, nur langsam in die Gänge und strotzt vor neuen Charakteren, die eingeführt werden wollen.
Da kann es schon hilfreich sein, auf Altbewährtes zurückzugreifen: Wie schon Peter Jackson in seiner mittlerweile legendären Kinoverfilmung der Buchtrilogie, lassen auch Payne und McKay Elbin Galadriel die Eröffnungssequenz aus dem Off kommentieren. Die junge Waliserin Morfydd Clark gibt der diesmal ziemlich kriegerisch angelegten Figur nicht nur eine starke Stimme, sondern auch eine gesunde Portion Sturheit mit auf den Weg, was angenehm erfrischend wirkt. Sie will, im Unterschied zu ihrem Volk, nicht an ein Ende des Bösen glauben und macht sich selbst in Zeiten des augenscheinlichen Friedens auf die Suche nach ihm - nach Sauron.
Der Bärtige im Feuerball
An ganz anderer Stelle geht unterdessen ein Feuerball auf Mittelerde nieder, der einen bärtigen, seltsame Dinge vor sich hinbrabbelnden Fremden (Daniel Weyman) in sich verbirgt. Gefunden wird er von der jungen Harfüßin Nori (Markella Kavenagh), die im Unterschied zu den restlichen Hobbit-Vorfahren ziemlich viel Neugier und Abenteuerlust mitbringt. Anstelle sich vor dem Fremden zu fürchten, will sie ihm helfen - sehr zum Missfallen ihrer Freundin Poppy (Megan Richards). So leichtfüßig Regisseur J. A. Bayona diese Sequenzen anlegt, so sehr vertraut er andernorts auf seine Horrormeriten, wenn im Osten des Landes erste Menschendörfer angegriffen werden und sich der Boden auftut.
Währenddessen liegt es an Halbelb Elrond, die diplomatischen Bande zwischen Elben und Zwergen wiederherzustellen. Immerhin soll in Eregion Großes entstehen, wofür beide Völker an einem Strang ziehen müssen. Aber die mächtigen Hallen von Khazad-dûm, die im „Herr der Ringe“ nur ein Schatten ihrer selbst waren, sind nicht nur reich an architektonischen Wundern, sondern auch nachtragenden Zwergenprinzen, wie der von Robert Aramayo sehr überzeugend angelegte Elrond bald feststellen muss. Immerhin: Hier offenbart sich einiges an humorvollem Potenzial für die weitere Beziehung von Bärtigen und Nicht-Bärtigen.
Wunderschön in Szene gesetzt
Optisch muss sich „Ringe der Macht“ keineswegs verstecken: Die Kulissen mögen zwar zu einem größeren Teil auf Rechnern entstanden sein als noch die erste „Herr der Ringe“-Trilogie, allerdings sind das Elbenreich Valinor und andere Schauplätze wunderschön in Szene gesetzt. Die detailreich gestalteten Kostüme tun ihr übriges zum gelungenen Gesamteindruck, was man von der Handlungsebene leider nicht immer behaupten kann. Den Machern ist ihr Bemühen zwar anzumerken, doch ist die eigenwillige Balance aus Frieden und unbekannter Bedrohung letztlich zu diffus angelegt, um zunächst Spannung zu erzeugen.
In dieser Hinsicht wird das Publikum erst im Laufe der zweiten Episode wirklich bedient, wenn sich die Geschehnisse im Westen und Osten von Mittelerde langsam in Bewegung setzen und selbst Elbenkönig Gil-Galad (Benjamin Walker) eine dunkle Vorahnung beschleicht. Dass zu diesem Zeitpunkt das legendäre Inselreich Númenor noch nicht einmal vorgekommen ist, kann einerseits als Zeichen für das langfristig angelegte Engagement gelesen werden, oder aber als unausgewogene Erzählweise.
Amazon hat nicht alle Tolkien-Rechte
Die Kritik vieler Tolkien-Fans nach der Veröffentlichung der ersten Trailer von „Die Ringe der Macht“ war harsch, die Kommentarsektion auf YouTube gleicht bis heute einem nicht enden wollenden Quell an Spott und bitterbösen Äußerungen. Klar ist: Natürlich wurde viel für diese Serie neu erdacht, hat sich Amazon doch nur die Rechte am „Herr der Ringe“ und den Anhängen gesichert - und eben nicht dieses Zeitalter ebenso behandelnden Werken wie „Das Silmarillion“.
Eine buchgetreue Umsetzung liegt daher also letztlich im Auge des Betrachters, da die vom britischen Fantasyautor teils nur in Rudimenten vorhandenen Geschehnisse verbunden und ausgeschmückt werden müssen. Wie überzeugend das gelingt, wird sich erst weisen - immerhin wird das Vorhaben mit einem in jeder Hinsicht diversen Cast angegangen. Womöglich gilt für „Die Ringe der Macht“ aber ebenso wie für Tolkiens gesamtes Werk: Es braucht Durchhaltevermögen.
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