Wer in Österreich den Rettungs-Notruf 144 wählt, dem wird im Regelfall rasch geholfen. Nur: Wie diese Hilfe aussieht, unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland dramatisch. Besonders deutlich sind diese Unterschiede am Beispiel von Salzburg und Niederösterreich zu sehen.
Ein frei erfundenes, aber realistisches Beispiel: Drei Uhr morgens in Lamprechtshausen, einer Gemeinde im nördlichen Bezirk Flachgau. Ein Diabetiker fällt ins Koma. Der Rettungswagen vom örtlichen Rettungsstützpunkt kommt nach drei Minuten an, doch der Notarzt lässt noch länger auf sich warten. Denn: Nachts fliegt der Rettungshubschrauber nicht und das nächste Notarztfahrzeug muss mindestens 20 Kilometer auf der Landesstraße zurücklegen. Ohne den Arzt sind die Rettungssanitäter zum Warten verdammt, obwohl die Gabe einer Zuckerlösung über die Vene schnell helfen und das Leiden des Patienten beenden würde.
Sanitäter sind anfangs oft auf sich allein gestellt
Fälle, in denen Sanitäter auf sich alleine gestellt sind, gibt es natürlich nicht nur im Reich der Fiktion. Tatsächlich sind diese Situationen Alltag. Oftmals trifft der Notarzt erst nach dem Rettungswagen ein. Das kann mehrere Gründe haben. Entweder der Rettungswagen hat einen kürzeren Weg zum Patienten oder die Rettungsleitstelle hat aufgrund der telefonischen Einschätzung entschieden, dass zunächst kein Notarzt entsendet wird.
Ein besonders tragischer Fall: Im Jahr 2020 kollabierte ein 70-Jähriger in seiner Wohnung in Salzburg-Maxglan und atmete nicht mehr. Eine Woche später verstarb er. Seine Frau ist sich sicher: Ihr Gatte hätte nicht sterben müssen, wäre der Notarzt schneller vor Ort gewesen. Das Notarztfahrzeug brauchte 27 Minuten und kam aus Bayern, weil alle näheren Notärzte bereits mit Einsätzen beschäftigt waren.
In Fällen wie diesen können Notfallsanitäter mit speziellen Zusatzausbildungen den betroffenen Patienten helfen. Oder vielmehr: „könnten“.
Nicht bei jedem Notfall kommt sofort ein Notarzt
In Salzburg rückt nämlich längst nicht zu jedem Notfallpatienten auch ein Notfallsanitäter aus. Oft kümmern sich die deutlich schlechter ausgebildeten Rettungssanitäter um kritisch kranke oder verletzte Patienten. Denn: In Salzburg befinden sich auf den wenigsten Rettungswagen auch tatsächlich Notfallsanitäter.
Selbst wenn die Salzburger Rettungswagen mit Notfallsanitätern besetzt sind, werden diese nicht bevorzugt zu schwer erkrankten oder verletzten Patienten geschickt. So kann es zu der absurden Situation kommen, dass ein Notfallsanitäter einen Patienten vom Spital nach Hause fährt, während zeitgleich ein Team von Rettungssanitätern zu einer Wiederbelebung oder einem schweren Unfall geschickt wird.
Notfallsanitäter dürfen und müssen mehr tun als Rettungssanitäter
Dabei würden Notfallsanitäter für den Patienten einen echten und messbaren Vorteil bringen. Sie dürfen mit einer Zusatzqualifikation Infusionen legen und selbstständig, oder zur Überbrückung der Wartezeit auf den Notarzt, Medikamente verabreichen. Notfallsanitäter absolvieren eine viel umfangreichere Ausbildung als Rettungssanitäter und machen dabei auch Praktika in Notaufnahmen, Intensivstationen und auch im Notarztdienst. Damit sind sie als Teamleiter im modernen Rettungsdienst prädestiniert.
Rettungssanitäter absolvieren eine 260-stündige Ausbildung, davon sind nur 100 Stunden Theorie. Sie dürfen außer Sauerstoff keine Medikamente geben.
Notfallsanitäter haben bis zu 940 Stunden Ausbildung, die in Modulen absolviert wird und auch im Spital stattfindet. Außerdem haben sie zum Zeitpunkt ihrer Ausbildung im Regelfall bereits hunderte, wenn nicht tausende Stunden Erfahrung im Rettungsdienst. Sie dürfen ab einer gewissen Ausbildungsstufe Infusionen setzen und Medikamente geben - in Salzburg aber viel weniger als andernorts. Nach der Meinung von Experten sollten Notfallpatienten primär von Notfallsanitätern behandelt werden.
In Salzburg dürfen Notfallsanitäter nur mit wenigen Medikamenten helfen
Selbst wenn in Salzburg dann ein Notfallsanitäter vor Ort ist, darf er aber nicht im gleichen Umfang helfen, wie das in anderen Bundesländern - etwa Wien, Niederösterreich oder Kärnten - der Fall wäre. Denn: Die Liste an Notfallmedikamenten, die der Salzburger Rettungs-Chefarzt freigegeben hat, ist sehr knapp. Deshalb dürfen Notfallsanitäter in Salzburg etwa bei zu hohem Blutdruck, unstillbaren Blutungen, Heroin-Vergiftungen oder sogar bei der Wiederbelebung von Kindern keine entsprechenden Medikamente geben. In vielen anderen Rettungsdienstbereichen in Österreich wären diese Maßnahmen absoluter Standard.
Niederösterreich setzt im Rettungsdienst auf höhere Standards als Salzburg
In Niederösterreich etwa, in dem das Rote Kreuz auch eine dominierende Rolle im Rettungsdienst einnimmt, sieht ganz anders aus. Und das obwohl es viel Vergleichbares gibt; Nämlich die Zahl der Notarztmittel relativ zur Bevölkerung, teils lange Wegstrecken und auch der große Teil an Ehrenamtlichen im Rettungsdienst.
Der niederösterreichische Rot-Kreuz-Chefarzt Berndt Schreiner, im Hauptberuf Anästhesist und Notarzt, traut seinen Notfallsanitätern wesentlich mehr zu, als sein Salzburger Kollege - seit kurzem dürfen diese auch Schmerzmittel verabreichen. Er sagt: „Das ist vielleicht eine Generationenfrage bei den Chefärzten. Der Rettungsdienst und die Anforderungen haben sich gewandelt“, so Schreiner. „Man hatte natürlich auch bei uns Bedenken, dass man diese Anforderungen und die entsprechende Ausbildung den Ehrenamtlichen nicht zumuten könnte. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn man den Leuten etwas zutraut und sie so ausbildet, dass sie den Patienten besser helfen können, ist das unglaublich motivierend“, fasst Schreiner zusammen. Für die Patienten sei es, Schreiners Einschätzung zufolge, jedenfalls ein deutlicher Vorteil, von einem Notfallsanitäter anstatt von einem Rettungssanitäter behandelt zu werden.
Medikamenten-Anwendung durch Notfallsanitäter wirksam und sicher
Bedenken, seinen Sanitätern eventuell zu viel Verantwortung zu übertragen, hat Schreiner keine. Das System funktioniere gut, mit strengen Regeln und nur durch hochwertige und umfangreiche Aus- und Fortbildung. Der Notfallmediziner sagt: „Die Notfallsanitäter arbeiten mit den gleichen Leitlinien, die auch ein Arzt befolgen sollte. Das ist sicher und lässt dem Patienten schnell die nötige Therapie zukommen.“ Große Erwartungen setzt Schreiner auch in die Tele-Medizin und den sogenannten „Tele-Notarzt“. Sanitäter können sich dabei per Videotelefonie mit einem Notarzt verbinden. Außerdem erhält der Tele-Notarzt alle Messwerte, wie Blutdruck, Puls, Sauerstoffsättigung und EKG automatisch auf seinen Bildschirm. Die Sanitäter können so mit einem Notfallmediziner den jeweiligen Einsatz besprechen und die weitere Behandlung planen, ohne dass dieser dazu vor Ort sein muss. „Es gibt viele Einsätze, wo ein Notarzt vor Ort nicht unbedingt gebraucht wird und die Sanitäter gewisse Aufgaben mit dem Tele-Notarzt gemeinsam übernehmen können“, sagt Schreiner. Ziel sei es dabei, die Notarztmittel für jene Patienten freizuhalten, die diese besonders dringend brauchen. In Niederösterreich läuft bereits ein entsprechendes Pilotprogramm. Die Erfahrungen seien bislang sehr positiv, so Schreiner, der dem Konzept einen großen Stellenwert in der Zukunft des Rettungsdienstes einräumt.
Noch etwas läuft in Niederösterreich deutlich anders als in Salzburg. „Wir alarmieren zu möglicherweise lebensbedrohten Patienten spezielle Rettungswagen mit Notfallsanitäter an Bord“, erklärt Philipp Gutlederer von der Rettungsleitstelle „Notruf Niederösterreich“. Das ist ein gravierender Unterschied zu Salzburg. In ganz Niederösterreich werden an ausgewählten Standorten solche speziellen Rettungswagen für die Notfallrettung vorgehalten. In ein paar Jahren sollen es insgesamt 86 Stützpunkte sein. Diese Fahrzeuge verfügen über umfangreiche Medizintechnik, etwa einen Herz-Kreislauf-Monitor mit EKG-Funktion, zahlreiche Medikamente und sind immer mit einem Notfallsanitäter besetzt. Das System funktioniere gut, so Gutlederer. Die Notfall-Teams würden dabei helfen, unnötige Einsätze von Notarztfahrzeug und Hubschrauber zu reduzieren und zudem Patienten schnell auch eine angemessene medikamentöse Therapie zu ermöglichen, ist sich Gutlederer sicher.
Keine Herz-Kreislauf-Überwachung auf Salzburgs Rettungswägen
Auch die Geräte für die Herz-Kreislauf-Überwachung und die Erstellung eines EKGs sucht man auf den allermeisten Salzburger Rettungswagen vergeblich. Das ist bemerkenswert, weil Patienten mit Brustschmerzen binnen zehn Minuten nach Erstkontakt mit medizinischem Personal ein EKG angelegt werden sollte, um einen Herzinfarkt auszuschließen. Das Rote Kreuz Salzburg beteuert, dass Einsätze mit dem Stichwort „Brustschmerzen“ automatisch die Alarmierung eines Notarztes nach sich ziehen würden und dieser dann mit seinem Equipment ein EKG schreiben würde. Tatsächlich dürfte es aber so sein, dass regelmäßig Sanitäter ohne Notarzt zu Patienten mit Brustschmerzen geschickt werden. Das berichten zumindest zahlreiche aktive Sanitäter aus Stadt und Land Salzburg. Allerdings betonte das Rote Kreuz in einer Stellungnahme, dass man ab 2023 die ersten Rettungswagen in der Stadt Salzburg mit entsprechenden Gerätschaften ausstatten wolle.
Auch Wiens Rot-Kreuz-Chefarzt traut seinen Sanitätern mehr zu
Auch Harald Hertz, der Chefarzt des Wiener Roten Kreuzes, hat seinen Sanitätern eine sehr umfangreiche Liste an Medikamenten freigegeben. „Es ist nicht möglich, auf jeden Rettungswagen einen Arzt zu setzen. Sanitäter können mit den freigegebenen Medikamenten aber schnell eine Therapie einleiten“, so der Mediziner. Seine Erfahrungen damit seien jedenfalls durchwegs positiv, meint der Professor. Dass Notfallsanitäter schwer erkrankte und verletzte Patienten besser versorgen würden als Rettungssanitäter, ist für Hertz „ganz logisch“ und sollte, seiner Meinung nach, auch der Regelfall sein. Notärzte seien aus der Notfallversorgung jedenfalls nicht wegzudenken, so der Chefarzt. Allerdings seien Notfallsanitäter eine gute Ergänzung, von der die Patienten profitieren würden.
„Qualität im Rettungsdienst darf kein Zufallsprodukt sein“
„Eines ist klar: Der Herzinfarkt ist überall gleich schlimm. Da kann es nicht sein, dass der Patient irgendwo schlechter oder besser behandelt wird als andernorts“, plädiert Clemens Kaltenberger vom Bundesverband Rettungsdienst für bundesweit einheitliche Regeln. Qualität im Rettungsdienst dürfe kein Zufallsprodukt sein. An einer Versorgung von Notfallpatienten durch Notfallsanitäter führt für Kaltenberger daher kein Weg vorbei. „Unsere Mitglieder, darunter auch Ehrenamtliche, sprechen sich für eine bessere Ausbildung und mehr Qualifikationen für die Sanitäter in Österreich aus“, erklärt Kaltenberger.
Unsere Mitglieder sprechen sich für eine bessere Ausbildung und mehr Qualifikationen für Österreichs Sanitäter aus.
Clemens Kaltenberger vom Bundesverband Rettungsdienst
Jurist plädiert für differenzierten Einsatz von Sanitätern
Für einen differenzierten Einsatz von Sanitätern spricht sich auch Medizinjurist Michael Halmich von der österreichischen Plattform für Ethik und Recht in der Notfall- und Katastrophenmedizin aus. Er sagt: „Es sollte eine Fahrzeugkategorie für Notfallpatienten mit entsprechender Ausstattung und einer Besetzung durch Notfallsanitäter vorgehalten werden.“ Wenn man die rechtlichen Vorschriften systematisch interpretiere, werde klar, dass sich der Gesetzgeber bei den verschiedenen Sanitäter-Kategorien etwas gedacht habe und demzufolge primär die besser ausgebildeten Notfallsanitäter schwer erkrankte oder verletzte Patienten behandeln sollten.
Dass die Ausbildung der Sanitäter vom Bund und die konkrete Gestaltung des Rettungswesens von den Ländern definiert werde, sei laut Halmich problematisch. „Eine bundeseinheitliche Regelung wäre sinnvoll und könnte durch eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern zustande kommen“, sagt der Jurist. Halmich meint außerdem: „Der Rettungsdienst sollte nicht nur eine reine Transportleistung sein. Gut ausgebildete Sanitäter könnten auch unnötige Transporte ins Spital vermeiden und gewisse Therapien vor Ort vornehmen. Dabei kann auch die Telemedizin helfen.“
Es sollte eine Fahrzeugkategorie für Notfallpatienten mit entsprechender Ausstattung und einer Besetzung durch Notfallsanitäter vorgehalten werden. Schwer erkrankte und verletzte Patienten sollten durch sie versorgt werden.
Medizinrechts-Experte Michael Halmich
Notfallsanitäter: „Jedes Mal frustrierend“
Ein Sanitäter, der sowohl in Salzburg als auch in Niederösterreich tätig war und seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte, sagt: „Es war jedes Mal frustrierend, in Salzburg Dienst zu machen. Es ist schade, wenn man weiß, dass man seinem Patienten jetzt eigentlich besser helfen könnte, man aber weder das Material, noch die Erlaubnis dazu hat. Da sind auch ethische Bedenken aufgekommen.“ Mit seinen Anregungen und Vorschlägen sei er immer auf taube Ohren gestoßen. „Man kann seitenlange Briefe schreiben und Vorgesetzte ansprechen, aber außer Lippenbekenntnissen passiert nichts“, macht der Notfallsanitäter seinem Ärger Luft.
Rotes Kreuz Salzburg betont Einhaltung gesetzlicher Mindeststandards
Vom Roten Kreuz Salzburg heißt es in der Sache, dass man alle gesetzlichen Vorgaben einhalte und sich das Landesrettungsgesetz eben mit zwei Rettungssanitätern am Rettungswagen zufriedengäbe. Außerdem bilde man seit 2019 vermehrt Notfallsanitäter aus. Insgesamt gäbe es unter den tausenden Kräften im Salzburger Rettungsdienst 256 Notfallsanitäter. In absehbarer Zeit soll sich auch etwas an der Medikamenten-Liste für die Notfallsanitäter ändern. Außerdem müssten alle Sanitäter jährlich vier Fortbildungsstunden mehr absolvieren, als das Gesetz vorschreibt. Künftig vorrangig Notfallsanitäter als Teamleiter am Rettungswagen einzusetzen sei zwar geplant - allerdings nur werktags zwischen 6.00 Uhr und 19:30 Uhr in der Stadt Salzburg.
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