Rückkehr der Legende

Colosseum: Kein Schiffbruch beim Comeback

Wien
06.09.2022 06:01

In den späten 60er- und frühen 70er-Jahren revolutionierten Colosseum rund um Drummer Jon Hiseman die Jazzrock-Szene. Das Gründungsmitglied ist mittlerweile verstorben, doch drei frühe Weggefährten noch quietschfidel. Samt neuem Album kommt die Kultband bald wieder ins Wiener Porgy & Bess. Wir haben mit dem Trio vorab gesprochen.

Mit Superlativen sollte man gemeinhin immer vorsichtig umgehen. Noch mehr, wenn ein Konzert als „The Return Of A Legend“ angekündigt wird, doch in wirklich seltenen Fällen hat das werbewirksame Zuspitzen doch auch seine Berechtigung. So geschehen zuletzt im Mai dieses Jahres, als die legendären Colosseum die Bühne des Wiener Jazzclubs Porgy & Bess betraten und ihre kultige Mischung aus Jazz, Rock und Blues mit demütiger Inbrunst feilboten. Die 2020 zum dritten Mal reformierte Band hat zwar hochgerechnet mehr als die Hälfte ihrer 54-jährigen Karriere im Pausenmodus verbracht, mit den Alben „Valentyne Suite“ oder „Daughter Of Time“ aber am Scheidepunkt der 60er- und 70er-Jahre die Rockwelt revolutioniert. Hauptverantwortlich dafür war Schlagzeuger und Bandgründer Jon Hiseman, der mit seinem präzisen Stil, der Liebe zu ausufernden Soli und seiner guten Szenevernetzung für Furore sorgte.

Schock verdauen
In der kultigsten Version Colosseum II, die zwischen 1975 und 1978 bestand, tummelten sich neben Hiseman und seinem Stammpersonal auch Größen wie Deep-Purple-Keyboarder Don Airey und Gitarren-Wunderwuzzi Gary Moore. Hiseman, Gitarrist David „Clem“ Clempson und Bassist Mark Clarke versuchten sich während der letzten Auszeit Colosseums unter dem Banner JCM, bis der Schlagzeuger 2018 nach kurzer und schwerer Krankheit an einem Hirntumor starb. Eine Zäsur, wie uns Clempson im Interview verrät. „Den Schock mussten wir erst verdauen und Mark und ich wollten mit JCM weitermachen. Wir spielten im Februar 2020 nach Jons Tod in Hamburg und London zwei Tribute-Konzerte, zu denen Chris Farlowe sich ans Mikrofon gesellte. Da haben wir kurz vor der Pandemie ernsthaft über eine gemeinsame Zukunft zu reden begonnen.“

Der bald 82-jährige Farlowe ist die schillerndste Figur der aktuellen Colosseum-Ausformung. Mit dem Rolling-Stones-Cover „Out Of Time“ eroberte er 1966 die Spitze der britischen Charts, wenig später lockte Hiseman ihn ins Colosseum-Camp. Auf der unvergesslichen Doppel-LP „Colosseum Live“ mäanderte Farlowe zwischen schwülstigem Pop, reißenden Rhythm-and-Blues-Sounds bis hin zu jazzigen Anleihen. Jahre später wurde er zum Sidekick von Jimmy Pages Solokarriere, spielte mit der Hamburg Blues Band (unzählige Male auch in Wien), unterstützte Van Morrison und blieb den Stones und vor allem Jagger immer in treuer Freundlichkeit verbunden. Als er sich von Clempson und Clarke überzeugen ließ, waren Colosseum 2020 wiedergeboren. Da schon JCM Keyboards und Saxofonspuren einflechten wollten, stießen die Neumitglieder Kem Nishikawara und Nick Steed dazu und fertig war das bunte Gespann.

Hochstapler-Syndrom
„Jon war einer der größten Drummer aller Zeiten und der Gründer der Band. Dieses Projekt unter dem Banner Colosseum weiterzuführen barg natürlich ein gewisses Risiko“, erinnert sich Clempson an seine eigenen Unsicherheiten zurück, „aber wir drei sind gut 50 Prozent der bekanntesten Ausformung der Band und wir handeln in bester Überzeugung so, wie Jon es gewollt hätte. Ich hatte aber trotzdem viele schlaflose Nächte und manchmal Angst, dass uns jemand als Hochstapler bezeichnet und wir bei einem Gig in Buh-Rufen untergehen.“ Nach mehr als 50 Jahren dicker Freundschaft (Clempson kam 1969 zu Colosseum, Farlowe und Clarke 1970) ohne gröbere Streitigkeiten einigte man sich schnell auf eine Wiederkehr, ohne allzu viel Nostalgiepatina. Deshalb hat man in der Pandemie mit „Restoration“ ein neues Album eingespielt, mit dem niemand mehr rechnete und das tatsächlich den Geist der alten, kultigen Colosseum in die Gegenwart transferiert.

„Chris und ich leben in London“, erklärt Clempson, „Mark seit geraumer Zeit in New York. So oft es ging flog er zu uns rüber, um an dem Album zu arbeiten. Das hat trotz aller Umstände erstaunlich gut funktioniert. Die meiste Zeiten haben wir uns die Files über den großen Teich hin- und hergeschickt. Wir sind extrem froh, dass das Album nicht nur uns, sondern auch den Fans gefällt. Jon wäre bestimmt stolz auf uns und das war uns immens wichtig. Sonst hätten wir es nicht veröffentlicht.“ Das Cover-Artwork erinnert nicht zufällig an die kultige Liveplatte aus 1971, auch Songwriting und Sound wurden den stärksten Phasen der Bandgeschichte angepasst. Das gelingt, ohne gezwungen und kalkuliert zu wirken. Da haben ganz andere Bands im höheren Alter brutalen Schiffbruch erlitten. „Die Reaktionen, die wir auf die Musik bekommen, bedeuten uns extrem viel.“ Durch die Pandemie musste die Band auch nichts überstürzen und konnte in Ruhe an allen Details feilen. „Ein wichtiger Grund für die Auflösungen früher war, dass wir stets dachten, wir könnten nicht mehr besser werden. Dahingehend sind wir heute wesentlich entspannter.“

Bewegende Geschichten
An die alten Zeiten denken die drei Granden dennoch gerne zurück. „Wir können uns glücklich schätzen, vor allem in Europa immer viele Fans gehabt zu haben. Ich weiß, dass wir vor allem den Menschen hinter dem Eisernen Vorhang helfen konnten. Sie kamen nach dem Ende des Kommunismus mit Tränen in den Augen zu unseren Konzerten und erzählten uns Geschichten, wie jemand in den 60ern illegal ein Tape von uns besorgte und es dann geheim für alle vervielfältigte. Das sind bewegende Erlebnisse, die uns natürlich rühren.“ Mit dem neuen Album im Gepäck und den gefeierten Konzerten haben die Herren im stattlichen Alter Lunte gerochen. „Jetzt touren wir einmal bis November fertig und dann schauen wir weiter.“ Klingt nicht nach einem schnellen Ende…

Noch einmal im Porgy & Bess
Österreich-Fans von Colosseum haben Glück, denn am 19. September sind Farlowe, Clempson, Clarke und Co. noch ein weiteres Mal im Porgy & Bess zu Gast. Unter www.porgy.at gibt es Tickets und alle weiteren Infos zur Top-Show.

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Wien Wetter
Kostenlose Spiele
Vorteilswelt