„Krone“-Interview

Machine Head: Musik als Ventil für das Negative

Wien
13.09.2022 06:01

Obwohl Machine-Head-Mastermind Rob Flynn eigentlich keine Alben mehr machen wollte, kehrte er mit „Of Kingdom & Crown“ vor wenigen Tagen tatkräftig ins Rampenlicht zurück - sogar mit dem ersten Konzeptalbum der Bandkarriere. Für die bereits laufende Europa-Tour hat die Band zudem in Wien geprobt, wo man zuletzt vor Corona im Wiener Gasometer die gesamte Debütplatte „Burn My Eyes“ samt einer Best-Of-Show spielte. Nun kommen Machine Head mit Amon Amarth zum wuchtigsten Metalkonzert des Herbstes sogar in die Wiener Stadthalle. Rob Flynn gibt uns indes Einblick in sein Seelenleben.

„Krone“: Robb, das letzte Mal, als du in Österreich zu Gast warst, hast du mit Machine Head 2019 zwei Konzerte an einem Abend gespielt - jeder Auftritt war rund dreieinhalb Stunden lang. Warum tut man sich sowas an?
Robb Flynn:
 Dafür war ich in der Form meines Lebens. (lacht) Die Idee dazu kam uns, weil wir unbedingt unsere Debütplatte „Burn My Eyes“ durchspielen wollten, das Album aber nur 49 Minuten dauert. Das reicht noch nicht einmal für eine Headlining-Show. Wir haben uns dann überlegt, warum wir nicht zwei Line-Ups zusammenstellen, außerdem konnte ich mir nicht vorstellen, ohne Songs wie „Halo“, „Locust“ oder „Imperium“ auf die Bühne zu gehen. Vom „Burn My Eyes“-Line-Up konnte ich auch nicht verlangen, die neuen Songs zu lernen - also mussten eben zwei Teams her.

Zwischen dir und Gitarrist Logan Mader bzw. Drummer Chris Kontos gab es jahrelang viel Stress. Ihr musstet erst einmal eure Probleme aussortieren…
Mit Logan habe ich mich schon 2004 wieder angefreundet. 2008 waren wir für „The Blackening“ für einen Grammy nominiert und er war damals unser Fahrer. (lacht) Er ist seit mittlerweile 18 Jahren wieder gut mit mir. Chris hat mit dem Musikbusiness komplett aufgehört, aber wir hatten nie wirklich Stress. Er ging einfach nur in Musikpension. Sein Lebensstil war ein ganz anderer, er ist ein liebender Familienvater. Wir gingen damals Abendessen und haben über die Idee dieser Tour gesprochen. Er war sofort dabei.

Die ersten Proben fanden in Oakland statt. Wie war denn da der Vibe, denn viele der Songs habt ihr jahrelang nicht gespielt?
„Death Church“ war der erste Song, den ich damals für das Album schrieb und wir haben ihn ewig nicht live gespielt. Den mit Chris zu proben war fast magisch, weil er uns automatisch in die Vergangenheit zurückgebeamt hat. Es war ein unglaublich cooler Moment und es fühlte sich auch an, als würden wir einen neuen Song spielen.

Gab es gröbere Probleme beim Comeback? Dass man nicht gleich zusammenfand und sich gewisse Hürden auftaten, weil nicht alles sofort floss?
Ich war extrem überrascht, wie gut Chris war, denn er hat die alten Songs niemals mehr gespielt, während ich schon immer wieder mal Hand daranlegte.

Wie habt ihr euch denn über die letzten knapp 30 Jahre in eurer Persönlichkeit verändert?
Wir sind komplett andere Menschen. Die Wissenschaft sagt, dass man nach jeweils 21 Jahren durch die Zellveränderungen keine Zelle mehr im Körper hat, die es anfangs gab. Über diesen Zeitraum findet also ein Komplettaustausch der menschlichen Zellen statt - man ist also nach 21 Jahren eine ganz neue Persönlichkeit. Wir alle sind in unseren 40ern und 50ern und haben andere Prioritäten. Wir unterhalten uns über völlig andere Dinge als früher und sind keine 20-jährigen Arschlöcher mehr. Es gibt keinen Macho-Bullshit und wir gehen alle viel offener miteinander um.

Bei so einem Projekt kommen unweigerlich nostalgische Gedanken und Ausflüge in der Vergangenheit auf. War das bei dir auch der Fall? Was bedeutet dir „Burn My Eyes“ heute?
Ich wusste von Anfang an, dass dieses Album etwas ganz Besonderes sein würde. Ich wusste auch, dass wir damit rausstechen würden - egal ob gut oder nicht gut, aber wir mussten unseren eigenen Pfad beschreiten. Das war schon immer die oberste Prämisse für Machine Head. Knapp 30 Jahre später ist es unglaublich zu sehen, welchen Einfluss das Album auf viele Menschen hat. Viele Musiker sehen ihre Alben immer als eine Art Polaroid-Bild einer bestimmten Lebensphase. Für mich ist „Burn My Eyes“ der Beginn einer immer noch anhaltenden Emotion. Ich habe damals alles in diese Musik geworfen. Ein Teil von mir romantisiert den Typen, der „Burn My Eyes“ zusammenstellte. Ich war immer high, ständig besoffen und machte rundum nur Stress. Ein anderer Teil von mir ist froh, dass ich heute nicht mehr der Typ von damals bin. Aus diesem Wahnsinn, in dem wir damals lebten, entstand aber diese wundervolle, starke und bleibende Musik. Wir haben unsere Gefühle perfekt in der Musik eingefangen.

Wäre das Album auch so ausgefallen, wenn du eine ruhigere Person gewesen wärst oder war dein fragiler Allgemeinzustand notwendig dafür?
Nichts ist heute so, wie es damals war. Selbst wenn ich zum Haus zurückgehe, in dem 1993 lebte und meine Texte schrieb, hätte ich heute ganz andere Gefühle als damals. Die meisten Venues existieren heute gar nicht mehr. Es gab ein eigenes Ökosystem von 300 bis 400 Menschen fassenden Punkrock-Clubs, in denen wir unsere Karriere starteten. Die Bay Area war voll davon, aber das ist lange her. Wir haben damals einfach den Moment genutzt.

Gerade bei Metalfans ist das Romantisieren und Zurücksehnen nach den „besseren alten Tage“ extrem ausgeprägt. Lügen die Menschen sich da nicht was vor?
So habe ich die Welt nie gesehen. Heute finde ich alles besser als es früher der Fall war. (lacht) Es macht Spaß Dinge zu romantisieren und etwas verklärt zurückzuschauen, aber ich will heute nicht mehr in diesen kleinen Clubs spielen. Ich habe das alles hinter mir. Es war echt und authentisch und wir haben wortwörtlich auf der Straße geschlafen. Wäre ich heute 20, dann würde ich das vielleicht nochmal cool finden, aber das ist kein Thema mehr. Für mich heißt leben, immer nach vorne zu schauen und nicht zu sehr in der Vergangenheit zu verweilen. Ich schaue zurück auf meine Erfolge und bin stolz darauf. Ich schaue aber auch zurück auf meine furchtbaren Fehler und denke mir, sie waren unnötig. Am Ende macht aber all das das Leben aus.

Wenn man einmal das Aufkommen des norwegischen Black Metal außer Acht lässt, war 1994 nicht unbedingt das rosigste Jahr für Heavy-Metal-Bands. Hat „Burn My Eyes“ damals das gesamte Thrash-Genre gerettet?
Viele Menschen behaupten das, aber ich will das nicht so leicht glauben. Es ist natürlich großartig, sollte das stimmen. Es gab damals viele großartige Alben und all die Bands, die damals schon da waren, haben sich gewaltig entwickelt. Wir kamen alle aus dem Groove, dem Sludge oder einer puren Härte und haben uns gegenseitig zu neuen Top-Leistungen gepusht. Das war gesund, um wirklich großartige Musik zu erschaffen. Wir haben „Cowboys From Hell“ von Pantera gehört und wollten unbedingt diesen fetten Gitarrensound. Ein gutes Jahr nach „Burn My Eyes“ erschien „Roots“ von Sepultura und hat den Metal wieder verändert.

(Bild: Andreas Graf)
(Bild: Andreas Graf)

Siehst du Musik immer noch als eine Art Wettbewerb? Als ein Antreten gegen andere große Bands und ein es sich ständig beweisen zu müssen?
Ich bin lieber inspiriert davon und lasse mich gerne beeinflussen. Ich achte auch sehr auf neue Musik, versuche immer up to date zu bleiben und höre mir neue Bands an. Ich höre auch viel Rap und Pop, weil ich Musik generell mag. Metal ist in meinen Venen und wird da sein, bis ich sterbe, aber er ist nicht alles, was ich höre. „Burn My Eyes“ hätte es ohne eine kräftige Dosis Hip-Hop nie gegeben. Auch Industrial Metal, Punkrock und Thrash Metal waren dafür wichtig. Ich suche konstant nach neuen Einflüssen und guter Musik, die mich mitreißt. Ich bin jemand, der immer Bands liebt, die selbst große Probleme haben, weil ich mich damit gut identifizieren kann. (lacht) Bis auf das schwarze Album von Metallica gab es Anfang der 90er nicht viel Metal, der mich in meiner schwierigen Situation begeisterte, also habe ich mich an den Hardcore gehalten. Snapcase, Madball und Poison Idea haben die Wut, die ich fühlte, in Musik kanalisiert. Ich habe die Welt gehasst und das tat auch diese Musik.

Dein Leben ist heute wesentlich ruhiger und stabiler als früher. Ist es dadurch auch schwieriger, kreativ und künstlerisch bissig zu sein?
Zuhause ist definitiv alles stabiler als früher. Ich habe tolle Kinder, ein Haus und eine fantastische Familie, für die ich extrem dankbar bin. Man lebt aber auch ein Leben innerhalb der Band und ich weiß nicht, ob daran irgendwas stabil ist. (lacht) Oft bin ich 14 Monate lang von meiner Familie entfernt und führe auf Tour ein öffentliches Leben. Es fühlt sich so an, als würde man in den 14 Monaten 140 Monate erleben, weil alles an einem vorbeirauscht und man niemals zur Ruhe kommt. In einer Band zu sein, öffnet dir die Augen und zeigt dir, dass du anderen mehr ähnelst als du glaubst. Auf Tour sehe ich immer, dass wir alle dieselben sind und das ist etwas sehr Schönes. Ich versuche diese Eindrücke in meiner Musik zu balancieren und sie dadurch Außenstehenden näherzubringen.

Auf Tour ist alles anders als im richtigen Leben. Ist es nicht auch viel schwieriger mit beiden Beinen am Boden zu bleiben, wenn man dauernd von Leuten bejubelt und hofiert wird?
Es gibt da beide Seiten, die sich gut ausgleichen. Viele Leute verehren dich und huldigen dir, auf der anderen Seite gibt es extrem viel Hass und Verachtung. Alles was du machst oder sagst wird zu Tode analysiert. Ich versuche das so gut wie möglich auszublenden, sonst würde ich verrückt werden. Für mich geht es um die Musik. Mein Freund Jamey Jasta von Hatebreed hat einmal gesagt, gut, dass wir die Musik haben, sonst würden wir manchmal wohl Leute umbringen. (lacht) Ich stimme ihm zu, dass die Musik ein tolles Ventil für Wut und Negatives ist.

Kannst du dich in der Musik anders oder offener ausdrücken als im realen Leben?
Absolut. Die Leute mögen das heute nicht mehr glauben, aber in meinen 20ern war es für mich das Schwierigste auf der Welt, mit Menschen in eine Konversation zu treten. Sogar heute geht mir das nicht leicht von der Hand, dafür bin ich viel zu introvertiert. Wenn jemand anders ein Gespräch beginnt, dann habe ich sozial genug Sicherheit um mitzuspielen, aber ich kann es nicht forcieren. Ich habe tonnenweise Ängste und Unsicherheiten, die mich an viele Dinge im Leben hindern. Für mich ist es definitiv leichter, mich durch die Musik oder Gedichte auszudrücken, dort mein Innerstes freizulegen.

Andererseits jubeln dir bei Konzerten Tausende Menschen zu und hängen dir bei jedem Wort an den Lippen. Um diese Situation zu schaffen, darf man nicht zu introvertiert sein…
Solange ich mich erinnern kann, wollte ich auf die Bühne. Schon als Vierjähriger war ich bei frühen Schulaufführungen dabei und habe jede Chance genützt, mich im Rampenlicht zu präsentieren. Ich konnte auf einer Bühne sein wer ich will und das hat mich immer begeistert. Als ich die Bühne verließ war ich wieder total introvertiert und konnte kaum ein Gespräch führen. Auf der Bühne fühle ich mich so entspannt und so wenig verletzlich wie nirgends sonst auf der Welt.

(Bild: Andreas Graf)
(Bild: Andreas Graf)

Wie viele Songs aus der Machine-Head-Historie kannst du eigentlich spontan aus der Hüfte schütteln, wenn du sie jetzt sofort spielen müsstest?
Da kommen schon so einige zusammen. Ich kann das nicht beziffern, aber ich habe wohl wenige vergessen. Es muss natürlich okay sein, wenn man sich verspielt und auch mal gewisse Passagen verhunzt. (lacht)

Nun haben wir das Album „Of Kingdom And Crown“, das erste Konzeptalbum in der Band-Historie. Du hast mir vor Corona gesagt, das Konzept eines richtigen Albums wäre für dich tot?
Ein Album muss für mich ein richtig großes, luxuriöses, alles in den Schatten stellendes Produkt sein. Es muss alles übertreffen, es muss Limited Editions geben und für den Sammler einen Wert haben. Die meisten Leute heute sehen nicht mehr den großen Wert von solchen Paketen und für mich selbst geht es auch stark um die Songs. Die meisten Metalbands veröffentlichen neue Alben alle drei bis vier Jahre und ich weiß nicht, ob das nicht zu lange ist. Die Leute wollen schneller neues Material hören und das lässt sich mit Singles besser bewerkstelligen. Alle paar Monate einen Song rausschießen und damit Spotify erobern. In den 50er- und 60er-Jahren ging es auch nur um Singles und nicht um Alben - und irgendwie kehren wir wieder in diese Richtung zurück. Mir ist eigentlich egal, wie die Leute meine Musik konsumieren, solange sie die Songs mögen.

Ende der 60er gab es aber aber den großen Paradigmenwechsel. Eine Band wie CCR hat schon auch mal drei Alben in einem Jahr veröffentlicht. Auch die Beatles waren sehr fleißig…
Ja, das war die andere Seite der Medaille. Das war aber auch nur möglich, weil sie zu der Zeit alle nicht auf Tour waren. Wenn du die ganze Zeit unterwegs bist und live spielst, dann kannst du nicht drei Alben im Jahr machen. Als die Beatles nach Amerika kamen, haben sie anfangs zwei Städte gespielt und das war’s dann wieder. Aber ohne Tour gibt es heute kein Geld mehr. Was auch wieder ein Grund ist, warum wir in den Single-Markt zurückkehren. Dort kann man auch noch mit neuer Musik leichte Lücken schließen.

Wie konsumierst du heute Musik?
Ich bin nur mehr auf Spotify. Ich bin mit Vinyl aufgewachsen und kann es schätzen, keine Frage. Aber es ist für mich viel einfacher zu streamen. Jetzt muss ich auch nicht mehr dauernd CDs aus irgendwelchen Stapeln kratzen, die eigentlich komplett verborgen sind. (lacht) Man bekommt Playlists vorgeschlagen, kriegt gute Tipps und sieht Statistiken. Ich bin ein absoluter Fan davon und entdecke extrem viele neue Künstler dadurch.

Ist es eigentlich realistisch, dass du nicht nur mit deiner neuen Band, sondern auch mit Logan und Chris einmal neue Songs schreiben wirst?
Auf jeden Fall. Ich würde es nicht ausschließen. Ein Teil von mir würde gerne mit den zwei Arten von Machine Head weitermachen. Wir brauchen dafür nur große Bühnen und zwei Drumkits. Aber mein Management wird mich für diese Aussagen sicher umbringen. (lacht)

(Bild: Andreas Graf)
(Bild: Andreas Graf)

Live in der Wiener Stadthalle
Ihr neues Album „Of Kingdom & Crown“ und alle großen Hits präsentieren Machine Head live am 17. September in der Wiener Stadthalle. Mit an Bord haben sie niemand Geringeren als die schwedischen Metal-Chartstürmer Amon Amarth. Unter www.oeticket.com gibt es alle Infos und die Karten für das Mega-Event.

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