Mumien im CT

Forscher rekonstruieren jahrhundertalte Morde

Wissenschaft
11.09.2022 12:01

Ein zielsicherer Dolchstich in die Bauchschlagader und eine gewaltsam verdrehte Halswirbelsäule: In wissenschaftlicher Detektivarbeit haben Forscher den Hergang etwa tausend Jahre zurückliegender tödlicher Verbrechen aufgedeckt. Sie untersuchten südamerikanische Mumien im 3D-Computertomographen (CT) - und zeigten, dass die Menschen brutal ermordet wurden.

Für ihre Studie hatte ein internationales Team mit dem speziellen Röntgenverfahren drei Mumien aus dem präkolumbianischen Südamerika untersucht, die seit dem späten 19. Jahrhundert in europäischen Museen aufbewahrt werden. Die Aufnahmen zeigen, dass die beiden männlichen Mumien tödliche Verletzungen aufweisen, wie Andreas Nerlich, Mitautor und Leiter der Pathologie am Münchner Klinikum Bogenhausen berichtet. Die Frau sei mutmaßlich eines natürlichen Todes gestorben.

Bei der Mumie aus dem „Museum Anatomicum“ der Philipps-Universität Marburg handle es sich um einen jungen Mann von etwa 20 bis 25 Jahren. Die Wissenschaftler rekonstruierten den Ablauf der Tat so: Ein Angreifer schlug dem Opfer mit voller Wucht auf den Kopf, derselbe oder ein zweiter Angreifer stach dem Mann, der noch stand oder kniete, mit einer Art Dolch in den Rücken. Er habe zielsicher die Bauchschlagader getroffen und das Opfer ausbluten lassen.

Täter hatte anatomische Kenntnisse
„Der Stich, so wie er geführt wurde, zeigt, dass der Täter hochgradige Kenntnisse der Anatomie und der Wirkung gehabt haben muss“, sagt Nerlich. Es sei ein Vorgehen, „wie man das von rituellen Schlachtungen von Tieren kennt“. Erstmals sei damit eine Tötung auf diese Art bei einer südamerikanischen Mumie nachgewiesen worden.

Auch bei dem zweiten Mann - die Mumie stammte wie die der Frau aus dem Geschichtsmuseum von Delémont in der Schweiz - habe der Täter anatomische Kenntnis gehabt: Dem Opfer wurde regelrecht „der Hals umgedreht“ und durch massive Verschiebung der Halswirbelkörper das Rückenmark abgerissen.

Eine Mumie aus dem „Museum Anatomicum“ der Philipps-Universität Marburg. (Bild: dpa/A.-M. Begerock, R. Loynes, O. K. Peschel, J. Verano, R. Bianucci, I. Martinez Armijo, M. González, A. G. Nerlich)
Eine Mumie aus dem „Museum Anatomicum“ der Philipps-Universität Marburg.

Ritueller Mord nicht auszuschließen
„Die Arten von Verletzungen, die wir gefunden haben, wären nicht nachweisbar gewesen, wenn diese menschlichen Überreste bloße Skelette gewesen wären“, sagte Nerlich. Die CT-Scans mit der Möglichkeit zur 3D-Rekonstruktion böten einzigartige Einblicke in den Körper. Früher hätte für eine solche Studie die Mumie zerstört werden müssen; mit herkömmlichen Röntgen oder älteren CT-Scans sei eine so detaillierte Diagnostik nicht möglich.

Nerlich schloss nicht aus, dass es sich um rituelle Morde handelte - zumal beide Männer mit Grabbeigaben bestattet worden waren. Täter und Motive bleiben allerdings im Dunkeln. Die Frage danach könne womöglich durch weitere Funde geklärt werden.

Gewalt war in Südamerika vor gut tausend Jahren offenbar an der Tagesordnung. Eine andere kürzlich durchgeführte Untersuchung hatte ergeben, dass jeder fünfte Mann Kopfverletzungen aufwies.

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