Seit drei Jahren leidet Pauline an Bulimie. Doch das Paradoxe ist: Die Krankheit, die sie kaputt macht, gibt ihr gleichzeitig auch Kraft.
Als wären es zwei Persönlichkeiten. Eine, die gesund werden will. Und die andere, die sagt, es ist falsch, etwas zu essen. So beschreibt Pauline (Name geändert) die Stimmen in ihrem Kopf und den zwiespältigen Versuch, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, das ihr vor drei Jahren aus den Händen geglitten ist: Sie war 18, in der Matura-Klasse, eine aufregende Zeit. Für Pauline war es eine Zeit, in der sich alles verändert hat. „Es fing mit Verzweiflung an“, sagt sie.
Vieles kam damals zusammen: „In der Familie hat es nicht gepasst, wir sind oft umgezogen und ich hatte das Gefühl, keine Kontrolle mehr über mein Leben zu haben.“ Dass andere alles bestimmen und sie selbst nicht mehr beeinflussen konnte, was rund um sie herum passiert, sei ihr über den Kopf gewachsen. „Nichts lag mehr in meinen Händen, so habe ich das zumindest wahrgenommen.“
Eines Tages sei es ihr nicht gut gegangen. „Es hat sich so angefühlt, als hätte ich zu viel gegessen. Dann habe ich mich übergeben, das war so einfach.“ Plötzlich kam die Erkenntnis: „Es ist egal, was ich esse, denn ich muss es nicht behalten.“
Hunger nach Kontrolle
Mit ihrem Aussehen hingegen habe sie sich gar nicht so beschäftigt: „Ich war immer schlank, die Kilos auf der Waage waren mir nicht wichtig.“ Vielmehr sei es um ihre eigene Entscheidung gegangen: „Selbst zu bemessen, was ich zu mir nehme und was nicht, hat mir ein Gefühl von Macht gegeben. Endlich wieder die Kontrolle zu haben, das war eine Erleichterung“, beschreibt Pauline jenen Wendepunkt, ab dem es bergab ging. Die Krankheit kam schleichend, aber schnell, wie sie erzählt: „Ich habe immer mehr abgenommen, war so dünn, dass mich die Schulärztin ins Spital geschickt hat.“ Trotzdem sei sie nicht in der Lage gewesen, etwas an der Situation zu verändern. „Du bist in einem Teufelskreis gefangen, versuchst, alles zu vertuschen.“
Unterstützung im Leli-Tageszentrum
Dann kam Corona und mit dem Studium ein neuer Lebensabschnitt. „Ich bin ins Studentenheim gezogen und habe mich dort nur noch mehr verkrochen“, erzählt die junge Frau. Gleichzeitig zu der schwindenden Silhouette wurde auch ihr Bewegungsradius immer schmaler. „Ich konnte dort nicht einmal in die Küche gehen, aus lauter Angst vor den Fragen, warum ich nichts esse .“ Die mittlerweile 21-Jährige blickt auf den Boden: „Man hat nicht das Gefühl, einen Platz bei den anderen zu haben.“ Zu Hause hingegen äußerte der Vater seine Sorgen um die Tochter. „Mir war oft schwindelig, auch viele Haare sind mir ausgegangen.“ Schlussendlich musste die Steirerin stationär aufgenommen werden. „Anfangs habe ich mich innerlich gewehrt.“ Im Nachhinein sei es ein wichtiger Schritt gewesen. Im Leli-Tageszentrum in Graz geht der Heilungsprozess weiter. „Die Unterstützung gibt mir Halt, zu frühstücken schaffe ich hier gut“, lächelt Pauline zaghaft. Schon der Blick auf eine Hauptmahlzeit stresst sie nach wie vor. Sie weiß: „Ich kann nur gesund werden, wenn ich zunehme. Doch es ist wahnsinnig schwer.“
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