Normalerweise versuchen Kommentatoren in russischen Medien seit Beginn des Krieges, sich damit zu übertrumpfen, Solidarität mit Präsident Wladimir Putin zu zeigen und Erfolge beim „militärischer Spezialeinsatz“ zu bejubeln. Außerdem werden die Ukraine sowie deren Verbündete regelmäßig geschmäht. Doch seit dem Wochenende ist die Stimmung gedämpfter. Die Rückschläge der russischen Armee im Osten der Ukraine nach der blitzartigen Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte bringen nicht nur Moskau, sondern auch die Staatsmedien in Erklärungsnot.
Als Rechtfertigung wird etwa die angeblich zahlenmäßige Überlegenheit der ukrainischen Truppen angeführt, oder es wird die vom Verteidigungsministerium ausgegebene Erklärung für den fluchtartigen Abzug Tausender Soldaten aus der Region Charkiw bekräftigt, die besagt, es handle sich um eine „taktische Umgruppierung“.
Die für ihre extremen Ansichten berüchtigte Talkshow-Gastgeberin Olga Skabejewa versuchte, den Entwicklungen einen positiven Dreh zu geben. Sie eröffnete ihre tägliche Sendung am Montagmorgen mit dem Verweis auf die russische Bombardierung ukrainischer Kraftwerke und die daraus resultierenden großflächigen Stromausfälle im Osten der Ukraine. Das sei ein „Wendepunkt“ in der Militäroperation. Mehrere Gäste zitierten dann noch einmal Putins Worte aus dem Juli, wonach Russland mit seiner Operation noch nicht mal ernsthaft begonnen habe. Sie zeigten sich überzeugt, dass das militärische Vorgehen nun verstärkt werde.
„Regruppierung“ statt Abzug
Der Nachrichtenkanal Rossija 24 wiederum interviewte Russlands Statthalter für Charkiw, Witali Gantschew. Dieser betonte, dass die Ukrainer den Russen um das Achtfache zahlenmäßig überlegen gewesen seien. Außerdem behauptete er, die ukrainischen Truppen seien von westlichen Söldnern unterstützt worden. Belege dafür lieferte er nicht. Dimtri Kisseljow, einer der einflussreichsten russischen Journalisten, sagte zu Beginn seiner TV-Sendung am Sonntagabend, dass es „eine äußerst schwierige Woche an der Front“ gewesen sei. Die Studiokulisse präsentierte allerdings deutlich das Motto des Verteidigungsministeriums: „Regruppierung“ war im Hintergrund zu lesen.
Auch die russischen Zeitungen betteten ihre Berichterstattung über den Abzug der Soldaten überwiegend in die Devise des Verteidigungsministeriums ein. Die Tageszeitung „Iswestja“ etwa fasste das Wochenende so zusammen, dass Russland 4000 ukrainische Soldaten getötet habe und das Militär sich nun neu gruppiere, um sich auf den Donbass zu konzentrieren.
„Extrem verstörende Nachrichten“
Die „Nesawissimaja Gaseta“ merkte allerdings kritisch an, das Verteidigungsministerium habe sich über mehrere Tage hinweg nicht zu den „extrem verstörenden Nachrichten aus der Ukraine“ geäußert. Das Blatt hielt auch fest, dass ukrainische Truppen auf Russlands Grenze vorrückten, während Russlands Militärführung derzeit Tausende Kilometer entfernt bei Großmanövern im Fernen Osten zugegen sei.
Deutliche Kritik an Putins Beratern wiederum äußerte der regelmäßige Talkshow-Gast Boris Nadeschdin im Sender NTV, der dem Staatskonzern Gazprom gehört. Sie hätten bei dem Präsidenten den falschen Eindruck aufkommen lassen, dass die Ukraine schnell aufgeben würde. Nadeschdin forderte umgehende Friedensgespräche, um den Konflikt zu beenden.
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