Nutzt Baku Konflikt?

Kämpfe in Armenien im Schatten des Ukraine-Kriegs

Ausland
14.09.2022 11:07

Im Schatten des Ukraine-Kriegs sind zwischen Armenien und Aserbaidschan im Südkaukasus erneut schwere Kämpfe mit Dutzenden Toten ausgebrochen. Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinjan telefonierte mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und bat um Hilfe der Militärallianz OVKS - Russland ist deren wichtigstes Mitglied und traditionelle Schutzmacht Armeniens. Der Kreml setzt aber lieber auf Diplomatie, mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine ist das Militär bereits schwer beschäftigt. Es gibt Spekulationen, dass Aserbaidschan diese Situation für einen Angriff nutzte.

Die Gefechte zwischen den verfeinden Ex-Sowjetrepubliken begannen in der Nacht auf Dienstag und gingen auch am Tag vereinzelt weiter. Gegen Abend habe sich der Artilleriebeschuss etwas beruhigt, teilte das armenische Verteidigungsministerium mit. Beide Seiten meldeten am Dienstag den Tod von jeweils etwa 50 ihrer Soldaten. Für Armenien sagte Ministerpräsident Paschinjan, das seien noch keine endgültigen Zahlen. Die EU, die Vereinten Nationen und die USA drangen auf ein Ende der Kämpfe. Am Mittwoch soll sich der Sicherheitsrat in New York mit dem Konflikt befassen.

Ruf nach Ende der Kämpfe
US-Außenminister Antony Blinken rief zu einem Ende der Kämpfe auf. Blinken habe den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev in einem Gespräch aufgefordert, „die Feindseligkeiten einzustellen“, teilte das US-Außenministerium mit. In einer Unterhaltung mit Paschinjan betonte Blinken dem Ministerium zufolge „die Notwendigkeit eines Rückzugs der Streitkräfte“. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron sprach mit Aliyev und forderte ein Ende der Feindseligkeiten.

Auch die EU forderte Jerewan und Baku zu Verhandlungen für einen Waffenstillstand auf und will auch weiterhin vermitteln. Der EU-Sonderbeauftragte Toivo Klaar soll laut Außenbeauftragten Josep Borrell unverzüglich in beide Länder reisen. Auch das österreichische Außenministerium rief zur Deeskalation auf. Österreich war in der Vergangenheit mehrmals Schauplatz von Vermittlungsgesprächen zwischen den beiden Konfliktparteien gewesen.

Gegenseitige Schuldzuweisungen
Zum Ausbruch der Kämpfe hieß es aus Jerewan, aserbaidschanische Truppen hätten an drei Stellen armenische Stellungen mit Artillerie und großkalibrigen Waffen angegriffen. In Baku sprach das Verteidigungsministerium Aserbaidschans wiederum davon, dass ein großangelegter armenischer Sabotageversuch die Kämpfe ausgelöst habe. Auch die Türkei als Verbündete Aserbaidschans warf Armenien „Provokationen“ vor.

Wegen der angespannten Lage bat Paschinjan um Hilfe der Militärallianz OVKS. Das Verteidigungsbündnis der früheren Sowjetrepubliken Russland, Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan beriet am Dienstagabend. Putin nahm an der Videokonferenz teil. Beschlossen wurde lediglich, den OVKS-Generalsekretär Stanislaw Sass zur Erkundung der Lage ins Konfliktgebiet zu senden. Aus dem Kreml hieß es, Moskau setze auf eine diplomatische Lösung der Krise.

Nutzt Aserbaidschan die Schwäche Russlands aus?
Russland gilt zwar traditionell als Schutzmacht Armeniens im Kaukasus, derzeit hat die russische Führung aber kein Interesse, sich an einem Nebenkriegsschauplatz, wie sie es sieht, militärisch zu engagieren. Die russischen Streitkräfte sind wegen des Angriffskriegs in der Ukraine gebunden, zuletzt mussten sie dort eine empfindliche Niederlage einstecken. Wahrscheinlich nutzt Aserbaidschan das aktuell aus. Es sei möglich, dass einige Anführer der Meinung seien, dass Russland gerade anderweitig beschäftigt sei, erklärte dazu John Kirby, Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA. Generell sei es schwierig, über eine Motivation für das erneute Aufflammen des Konfliktes zu sprechen, man solle daher „mit Spekulationen vorsichtig sein“, so Kirby.

Armenien und Aserbaidschan bekriegen einander seit Jahrzehnten wegen des Gebiets Berg-Karabach. Im Herbst 2020 hatte Armenien einen Krieg gegen seinen Nachbarn verloren. Infolgedessen musste das Land die Kontrolle über den Großteil des mehrheitlich von Armeniern bewohnten Berg-Karabachs aufgeben. Damals wurde eine russische Friedenstruppe zum Schutz der Waffenruhe in der Region stationiert. Allerdings wurde diesmal nach armenischen Angaben nicht die Exklave angegriffen, sondern Stellungen im Kernland Armenien.

Schusswechsel zwischen Russlands Verbündeten
Es krachte auch zwischen zwei weiteren Verbündeten Russlands. Am Mittwoch kam es an der Grenze zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken Tadschikistan und Kirgistan zu Schusswechseln. Das teilten Vertreter beider Länder mit. Der kirgisische Grenzschutz warf tadschikischen Sicherheitskräften vor, unzulässige Stellungen entlang der Grenze bezogen zu haben. Die tadschikische Seite erklärte, kirgisische Grenzschützer hätten grundlos ihre Posten beschossen. Berichte über Opfer gab es von keiner Seite. An der Grenze zwischen den beiden jeweils mit Russland verbündeten Ländern ist es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Konflikten gekommen. Die jüngste Auseinandersetzung erscheint jedoch angesichts der aktuellen Entwicklung in einem neuen Licht.

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