Die zahlreichen Fälle getöteter Frauen in Österreich ließen zuletzt die Rufe lauter werden, den Schutz gegen häusliche Gewalt zu verbessern. Nun will auch die Bundesregierung ihr erst 2019 beschlossenes Gewaltschutzgesetz nachschärfen und dabei bestehende Schutzlücken schließen. Das kündigten Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Frauen- und Familienministerin Susanne Raab (ÖVP) am Freitag auf einer Pressekonferenz in Wien an.
Laut Karner werden die sicherheitspolitischen Fallkonferenzen intensiviert und institutionalisiert. Derzeit wird dieses Instrument zum Schutz vor häuslicher Gewalt in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt, wie Sandra Messner vom Zentrum für Sozialforschung und Wissenschaftsdidaktik (ZSW) erläuterte, die im Auftrag des Innenministeriums mit einem Team das Gewaltschutzgesetz evaluiert hat.
Beschuldigte haben Zugriff auf Protokolle
Die sicherheitspolitischen Fallkonferenzen würden von Expertinnen und Experten grundsätzlich begrüßt, seien aber „nicht das Allheilmittel, um Frauenmorde zu verhindern“, legte Messner vor Journalisten dar. Bedenklich sei es, dass Protokolle dieser Konferenzen mitunter in Gerichtsakten landen und Gefährder, gegen die von den Strafverfolgungsbehörden ermittelt wird, im Rahmen ihrer Beschuldigtenrechte dann darauf Zugriff haben. Dass gehöre abgestellt, die Koordination zwischen Polizei, Justiz und Hilfseinrichtungen für von Gewalt betroffene Familien, Frauen und Kinder verbessert, sagte Messner.
Fokus auch auf Pflegebeziehungen
Innenminister Karner will mit dem Installieren von Expertengruppen in jedem einzelnen Bundesland die Wirkung der Fallkonferenzen stärken. Im heurigen Jahr wurden bis Mitte September österreichweit rund 120 Fallkonferenzen durchgeführt, eine deutliche Steigerung gegenüber 2020 (27) und 2021 (57). Als weitere Maßnahme gegen die Gewalt im häuslichen Bereich wird eine interministerielle Arbeitsgruppe zum Thema Gewalt gegen ältere Menschen erweitert.
In Pflegebeziehungen komme es immer wieder zu körperlichen Übergriffen bis hin zu Tötungsdelikten, führte Karner aus: „Es ist hier für die Polizei kaum möglich, wirksame Maßnahmen zu setzen, da kaum eine polizeiliche Vorgeschichte vorliegt. Hier ist eine enge Vernetzung mit Pflegeorganisationen und dem Sozialministerium nötig.“
„Stiller Notruf“ wird weiterentwickelt
Ein „stiller Notruf“, den derzeit rund 5000 meist weibliche Personen zum Schutz vor potenziellen Gefährdern nutzen, soll weiterentwickelt und offensiver beworben werden. Am Ende könnte es eine so genannte verdeckte App geben. Schließlich wird für alle Streifenpolizistinnen und -polizisten in Österreich eine Unterstützungs-Hotline geschaffen, die rund um die Uhr zur Verfügung steht. Expertinnen und Experten sollen dann den Beamten an Ort und Stelle bei Bedarf fernmündlich bei Amtshandlungen zu häuslicher Gewalt mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Ministerin ortet noch Verbesserungsbedarf
Familienministerin Susanne Raab bezeichnete das Gewaltschutzgesetz als „Meilenstein“. 2021 wurden 13.690 Betretungs- und Annäherungsverbote erlassen, heuer waren es bis Ende Juli schon 9500. 11.000 Gefährderberatungen, die mit September 2021 implementiert wurden, sind durchgeführt worden. Allerdings gibt es in beiden Bereichen Verbesserungsbedarf.
Bei Stalking und Cyber-Stalking würden aus Sicht von Expertinnen und Experten zu wenig Annäherungsverbote ausgesprochen, auch hinsichtlich Anrufen und Textnachrichten wären Kontaktverbote wünschenswert, berichtete Sozialforscherin Messner. Es gebe außerdem den Ruf nach strengeren Kontrollen dieser Kontaktverbote und dem Erlassen von Festnahmeanordnungen bei Verstößen dagegen.
Männer „wissen oft nichts von Betretungsverbot“
Bei der verpflichtenden Gewaltpräventionsberatung für Gefährder bedürfe es einer „qualitätsvollen Kooperation“ zwischen Exekutive und NGO‘s. Für die Beratungsgespräche sind generell sechs Stunden vorgesehen, hier wäre eine flexiblere zeitliche Ausgestaltung erstrebenswert. Immerhin 40 Prozent der Betroffenen - im Regelfall Männer - nehmen nach den sechs Stunden weitere Beratung in Anspruch.
Die Beratungsstellen wünschen sich eine rechtliche Möglichkeit, proaktiv Kontakt mit Gefährdern aufnehmen zu können. Defizite gibt es in der Praxis beim Kommunizieren, wenn Betretungs- und Annäherungsverbote verlängert werden. „Da stehen dann die Männer oft vor der Tür, weil sie nichts davon wissen“, berichtete Messner.
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